Kompressionskleidung im Sport – Messbare Effekte oder modisches Accessoire?
Zum ersten Mal auffällig wurden Kompressionsstrümpfe im Sport an den Beinen der Marathonläuferin Paula Radcliff im Jahr 2003. Vorausgegangen war eine Verletzung, wegen der sie die Strümpfe tragen musste. Offenbar fühlte sie sich gut damit, denn die Sportlerin trug sie auch weiterhin beim Laufen und erzielte viele Siege. Welchen Anteil die Strümpfe an diesen Erfolgen hatten, sei dahingestellt, dennoch fanden sich unter Spitzensportlern schnell Nachahmer. Heute sieht man die meist bunten Sportkompressionsstrümpfe bei Teilnehmern von Volksläufen ebenso wie bei ambitionierten Freizeit-Triathleten, im Spitzensport bei Kraftsportlern oder Ausdauerathleten. Glaubt man den Werbebotschaften der unterschiedlichen Hersteller, dann wird durch das Tragen von Kompressionstrümpfen bzw. Kompressionskleidung generell die Ruhedurchblutung gesteigert, die Muskulatur aktiviert und schneller erwärmt, Muskelvibrationen reduziert, Sehnen und Bänder gestärkt, die Verletzungsgefahr während des Sports verringert und die Regeneration beschleunigt. Doch was ist dran an den Versprechen?
Strümpfe, die nicht halten, was sie versprechen?
Zunächst einmal berichten viele Sportler, dass sie sich mit den Strümpfen – egal ob während oder nach der Belastung getragen – besser fühlen. Untersuchungen lassen vermuten, dass sich die Propriozeption verbessert. Doch die Studienergebnisse zu Kompressionsstrümpfen im Sport sind uneinheitlich: Einige zeigen Effekte, andere finden keinerlei Wirkung. Zentral zum Verständnis dieser unterschiedlichen Ergebnisse könnte eine Untersuchung von Prof. Dr. Stefanie Reich-Schupke sein, Leiterin des Phlebologischen Studienzentrums am Venenzentrum der Ruhr-Universität Bochum.
Sie verglich fünf im Einzelhandel erhältliche Sportkompressionsstrümpfe (SKS) in vivo (Druckmessungen am Träger der Strümpfe) und ex vivo (Messungen mit einem Kompressionsprüfgerät) sowie mit den Normen für medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS). Zentrale Ergebnisse der Analysen waren, dass sich die ermittelten Druckprofile der Strümpfe stark unterschieden und alle unter der Norm für MKS lagen (5). In vivo lagen alle getesteten Strümpfe unter der niedrigsten Klasse (Klasse 1) für MKS. Für diese ist ein messbarer Druckabfall von distal (Sprunggelenk) nach proximal (Knie/Hüfte) vorgeschrieben.
Die Hersteller von SKS werben auch mit dem Druckabfall, welcher den venösen Blutrückfluss verbessert. Doch mit keinem der getesteten Strümpfe wurde dieser Druckabfall erreicht. Unklar bleibt, ob dies für Sportler überhaupt von ähnlicher Wichtigkeit ist wie in der medizinischen Anwendung, denn Studien zeigten, dass bei Menschen in Bewegung die venöse Ejektionsfraktion höher ist, wenn der höchste Druck nicht im Knöchelbereich liegt, sondern an der Wade (3). Möglicherweise ist in diesem Fall also die fehlende Wirksamkeit der getesteten SKS für Sportler gar nicht nachteilig, wenngleich es natürlich wünschenswert wäre, dass ein Produkt die Versprechen erfüllt, mit denen es wirbt. Immerhin: Zwei der fünf getesteten Strümpfe sind in den relevanten Parametern besser einzuschätzen als die übrigen Produkte.
Das auf den ersten Blick schlechte Abschneiden der SKS in der Untersuchung von Prof. Reich-Schupke muss nicht unbedingt bedeuten, dass »schwach« getestete Strümpfe völlig unwirksam sind. Sie könnten aber erklären, warum sich die Ergebnisse der Studien mitunter stark unterscheiden oder sogar widersprechen. »Gut wäre es, wenn es auch für Sportkompressionsstrümpfe Kompressionsklassen oder Graduierungen der Materialfestigkeit geben würde, mit denen man die Produkte besser klassifizieren und vergleichen kann«, fordert Reich-Schupke.
Weitere Gründe für die inkonsistente Datenlage könnte auch im Studiendesign liegen, wie Prof. Dr. Helmut Lötzerich von der Deutschen Sporthochschule in Köln weiß: »Es gibt einige sehr gute Untersuchungen; viele sind aber vom Studiendesign her nicht geeignet, um die gewünschten Aussagen überhaupt beurteilen zu können. Da werden die falschen Parameter gemessen oder wichtige Details außer Acht gelassen.«