Return-to-Sport nach Verletzungen: Welche Rolle spielt die Psyche?

Return-to-Sport nach Verletzungen: Welche Rolle spielt die Psyche?
© master1305 / Adobe Stock

Ein hartes Foul, ein schwerer Sturz, eine falsche Bewegung – und die Verletzung ist passiert. Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht unbedingt klar, ob es sich um ein leichtes, mittelschweres oder schweres Trauma handelt, auch wenn Sportler häufig schon eine Ahnung haben. Denn ein Gefühl für den Körper, die eigenen Emotionen und die sich ändernde mentale Verfassung zu entwickeln, gehört quasi zum Anforderungsprofil eines Leistungssportlers. Die Auseinandersetzung mit Wahrnehmungen am und im Körper, Veränderungen zum Vortag und Schmerzen ist im Sport wesentlich und beginnt schon früh in der Laufbahn. Doch bereits jetzt, in den ersten Minuten nach der Verletzung, beginnt ein Prozess, der darüber mitentscheidet, ob und wie schnell ein Athlet nach einer schweren Verletzung in einigen Monaten überhaupt wieder einen Return-to-Sport vollziehen kann oder ob eine Athletin an ihr Leistungsniveau vor der Verletzung anschließen kann. Die medizinische Erstversorgung ist selbstverständlich wichtig. In diesem Text soll es um die häufig weniger beachtete Komponente bei Verletzungen gehen: Die Bedeutung der mental-psychologischen Seite im Kontext schwerer Verletzungen. Denn dass einige Sportler schwere Rückschläge besser wegstecken als andere, liegt nicht allein an einer besseren Therapie und besserer körperlicher Regenerationsfähigkeit.

Einige weitere – vorwiegend psychische – Faktoren sind daran beteiligt, z. B. ob die Verletzung mit oder ohne Gegnereinwirkung, selbst- oder fremdverschuldet aufgetreten ist, ob die Ursache bekannt ist und weitere. Es ist etwas Wahres dran, wenn man hört, dass auch »der Kopf« eine entscheidende Rolle spielt. Die körperliche und psychische Genesung verlaufen nicht immer parallel und so können Athleten physisch schon bereit für den Return-to-Sport sein, psychisch jedoch noch nicht.

Return-to-Sport-Tests – was bedeutet das eigentlich?

Return-to-Sport oder Return-to-Play sind gängige Begriffe. Sie bezeichnen gemeinhin den Zeitraum, den es nach einer Verletzung bis zum Wiedereinstieg in Training oder Wettkampf dauert. Je nach Art und Schwere des Traumas ist dieser Zeitraum unterschiedlich lang. Bei schweren Muskelverletzungen (z. B. Muskelfaser-/Muskelbündelriss Typ III und IV) sind das etwa 60 bis 80 Tage, bei knöchernen Verletzungen (z. B. Stressfrakturen) zwischen 6 und 27 Wochen und bei Läsionen der Sehnen und Bänder (z. B. Kreuzband, Bänder am Sprunggelenk, Achillessehne) je nach Geschlecht und Schweregrad mindestens sechs Monate. Ein Konsensus-Statement aus dem Jahr 2016 gliedert den Zeitraum von der Verletzung bis zum Wettkampfeinsatz in Return-to-Participation, Return-to-Sport und Return-to-Performance (1) und macht damit deutlich, dass in dem Prozess bestimmte Phasen zu unterscheiden sind.

Dr. Christian Puta, Privatdozent am Department of Sports Medicine and Health Promotion der Friedrich-Schiller-Universität Jena, verwendet gerne ein darauf aufbauendes Modell, das die Unfallversicherung VBG (4) nach Biedert et al. (2) am Beispiel einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes (V-K-B Ruptur) adaptiert hat:

1. Return-to-Activity (RTA): Übergang von der klinischen Versorgung in das allgemeine Rehabilitationstraining

2. Return-to-Sport (RTS): Zeitraum zwischen Aufnahme des sportartspezifischen Reha­trainings (im Idealfall an das Anforderungsprofil der Sportart angepasst) und bis zum individualisierten Training mit dem Team

3. Return-to-Play (RTP): Zeitpunkt, an dem das individualisierte, eingeschränkte Mannschaftstraining in die uneingeschränkte Teilnahme am Mannschafts-/Wettkampftraining übergeht. Bei Profis: Ende der Arbeitsunfähigkeit

4. Return-to-Competition (RTC): gesamter Reintegrationsprozess bis zum ersten Wettkampfeinsatz

Return to cometition, Return to Sport, Phasen-Schema
Abbildung 1: Zentrale Ansatzpunkte im posttraumatischen Rehabilitationsprotokoll (adaptiert nach Biedert et al., 2006)

»Die Einteilung in unterschiedliche Phasen ist wichtig, um auch für den Sportler den Prozess greifbar zu machen und die lange Rehadauer in überschaubare Abschnitte zu gliedern«, sagt Dr. Puta. Der in seiner Gesamtheit häufig als »Return-to-Sport« bezeichnete Ablauf wird unterstützt durch physische Tests, die zu den einzelnen Zeitpunkten durchgeführt werden und bei Erreichen den Wechsel in die nächste Stufe und zuletzt die Freigabe zur Wettkampfteilnahme anzeigen. »Allerdings«, so Puta weiter, »ist die psychologisch-mentale Komponente in dieser Prozessdefinition vernachlässigt.« Dass bei länger andauernden Verletzungen die psychische Beanspruchung zunimmt, ist bekannt. Ängste, u. a. vor erneuter Verletzung, Verunsicherung bezüglich der weiteren Sportkarriere, Gefühle der sozialen Isolation, weil der Kontakt zu Teammitgliedern und Trainern wegfällt und plötzlich der Tagesrhythmus gestört ist, verringertes Selbstbewusstsein sowie verminderte Selbstwirksamkeitsüberzeugung sind typische Reaktionen bei verletzten Athleten.

Dass diese Ängste berechtigt sind, haben Studien gezeigt. Werden die Sorgen und Ängste von Sportlern, beispielsweise vor einer Wiederverletzung, nicht ernst genommen und adressiert, kann dies die Rehabilitation verzögern und eine Rückkehr zur maximalen Leistung verlängern oder in einigen Fällen sogar unmöglich machen (3, 7). »Grundsätzlich sollten Sportler in dieser Situation nicht allein gelassen werden. Sie brauchen so früh wie möglich soziale Unterstützung und müssen sich von Trainern und Kollegen noch ‚gesehen‘ fühlen. Das hat auch Auswirkungen auf den physischen Heilungsprozess und die Wiederverletzungsgefahr. Denn wenn die Überzeugung fehlt, einerseits fester Teil des Teams zu sein und andererseits in jeder Situation adäquat reagieren zu können, ist man nicht hundertprozentig fokussiert«, erklärt Prof. Dr. Michael Kellmann, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs Sportpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum.

Doch wie der Kopf im Laufe der Rehabilitation agiert, kann schon direkt nach der Verletzung beeinflusst werden. »Wenn jemand unbedacht sagt, ‚das sieht aber schlimm aus‘, dann ist möglicherweise ein Trigger gesetzt, der schwer wieder aus dem Kopf zu kriegen ist«, sagt Prof. Kellmann. Emotionale und kognitive Prozesse sowie Ergebniserwartungen können also gravierende Auswirkungen auf die akute und chronische Schmerzverarbeitung haben (6). Dr. Puta bestätigt dies ebenfalls: »Es spielt eine große Rolle, ob und wie sich direkt nach einer Verletzung jemand um den Betroffenen kümmert und wie in dieser kritischen Situation kommuniziert wird. Sensorischer Input und schmerzbezogene Hinweise sind Trigger schmerzbezogener Erwartungen. Diese prägen den Return-to-Sport-Prozess in allen Phasen«.

Dr. Christian Puta
Dr. Christian Puta, Privatdozent am Department of Sports Medicine and Health Promotion der Friedrich-Schiller- Universität Jena © Puta

Prävention von Verletzungen – auch mental

Im Zusammenhang mit Verletzungsprävention denkt man vor allem an muskuläre und körperliche Aspekte. Doch auch hier sollte die mentale Seite mit einbezogen werden. Der VBG-Sportreport 2021 zeigt für die Sportarten Basketball, Eishockey, Fußball und Handball die Verletzungshäufigkeiten in den beiden höchsten Ligen der Männer (5). Demnach verletzen sich im Basketball 66,2 Prozent der eingesetzten Spieler (niedrigster Wert) und im Fußball 81,3 Prozent (höchster Wert der vier Sportarten). Pro eingesetztem Spieler treten zwischen 1,6 (Basketball) und 2,5 Verletzungen (Fußball) auf. Diese passieren im Basket-, Fuß- und Handball mit jeweils über 50 Prozent im Training. Diese Zahlen zeigen, dass es wahrscheinlicher ist, sich zu verletzen, als unverletzt zu bleiben. Daher sollten schon Nachwuchsleistungssportler darauf vorbereitet werden, dass sie sich in ihrer sportlichen Karriere mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrmals leicht und wenige Male mittelschwer bis schwer verletzen werden. Wenn Sportler darauf mental eingestellt sind und im Umfeld, z. B. bei betroffenen Teamkollegen, erfahren können, dass sie in einem solchen Fall trotzdem Unterstützung erwartet, können sie davon nur profitieren. Verletzungen werden dann nicht als schwerer Schicksalsschlag empfunden, sondern als Herausforderung gesehen, denen man sich stellen muss, die es zu überwinden gilt und aus denen man gestärkt hervorgehen kann (3).

Mentale Grundfertigkeiten für alle Athleten

Ängste, Sorgen und negative Gedankenspiralen können den Heilungsprozess beeinträchtigen und sogar die Rückkehr auf ein hohes Leistungsniveau verhindern. Aus diesem Grund ist eine positive Einstellung und Zuversicht auch während der Verletzungsphase essenziell. Um den negativen Gefühlen nicht die Kontrolle zu überlassen, sollten Sportler schon vor der Verletzung Techniken erlernt haben, um sich aktiv entspannen zu können. »Das können Entspannungs-, Atem- oder Visualisierungstechniken sein, die dann auf die Situation angepasst und angewendet werden können. Man weiß, dass Entspannung auch körperliche Effekte hat und die Heilung aktiv unterstützt«, erklärt Prof. Kellmann.

Wenig förderlich für den Rehaprozess ist laut Dr. Puta hingegen die Frage, wann er oder sie wieder spielen könne. Was nach außen hin unverfänglich klingt, kann für den verletzten Sportler und seine Reha zum Problem werden. Denn niemand kann wissen, wie lang der Heilungs- und Wiederaufbauprozess dauern wird, ob es Rückschläge und Verzögerungen geben wird. Doch eine konkrete Aussage schürt eine Erwartungshaltung beim Sportler: »Der frühzeitige Blick, der nur auf einen Wiedereinstieg ins Training oder Wettkampfgeschehen gerichtet ist, verhindert, dass sich der Betroffene auf die notwendigen und möglicherweise mühsamen Schritte davor einlässt. So wie es im regulären Training einen periodisierten Aufbau gibt, der in überschaubare Abschnitte gegliedert ist und mit Zwischenzielen arbeitet, sollten Sportler und Betreuer auch die Zeit der Rehabilitation in einzelne Abschnitte unterteilen.«

Dieses Wissen sollten insbesondere Betreuende verinnerlichen. Die Rehabilitation besteht sowohl aus physischen als auch aus psychologischen Anteilen. Häufig werden Letztere weitgehend vernachlässigt. Doch nur im Zusammenwirken sind Höchst­leistungen und die Rückkehr auf ein hohes Leistungsniveau nach Verletzungen
möglich.

Bild Michael Kellmann
Prof. Dr. Michael Kellmann, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs Sportpsychologie, Fakultät für Sportwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum© Kellmann

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Ardern CL, Glasgow P, Schneiders A, Witvrouw E, Clarsen B, Cools A, Gojanovic B, Griffin S, Khan KM, Moksnes H, Mutch SA, Phillips N, Reurink G, Sadler R, Silbernagel KG, Thorborg K, Wangensteen A, Wilk KE, Bizzini M. 2016 Consensus statement on return to sport from the First World Congress in Sports Physical Therapy, Bern. Br J Sports Med. 2016; 50: 853-64. https://bjsm.bmj.com/content/50/14/853

  2. Biedert RM, Hintermann B, Hörterer H, Müller AE, Warnke K, Friederich N, Meyer S & Schmeitzky C. Wissenschaftlicher Beitrag. Sports Orthopaedics and Traumatology Sport-Orthopädie – Sport-Traumatologie. 2006; 22: 249–254

  3. Kleinert J. (Hrsg): Erfolgreich aus der sportlichen Krise. Mentales Bewältigen von Formtiefs, Erfolgsdruck, Teamkonflikten und Verletzungen (S. 55-92). BLV. 2003

  4. VBG-Fachwissen. Return-to-Competition. Testmanual zur Beurteilung der Spielfähigkeit nach Ruptur des vorderen Kreuzbands. (Abruf 08.08.2022)

  5. VBG-Sportreport 2021. Analyse des Verletzungsgeschehens in den zwei höchsten Ligen der Männer: Basketball, Eishockey, Fußball, Handball. (Abruf 08.08.2022)

  6. Wiech K. Deconstructing the sensation of pain: The influence of cognitive processes on pain perception. Science. 2016; 354: 584-587. doi:10.1126/science.aaf8934