Positionspapier „Return to Sport“ während der aktuellen Coronavirus-Pandemie (SARS-CoV-2 / COVID-19)
Übersetzung eines wissenschaftlichen Beitrags aus der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Link zum englischsprachigen Originalartikel siehe oben.
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Die aktuelle Coronavirus-Pandemie zählt bereits jetzt zu den größten weltumspannenden Krisen und stellt nicht nur für die Gesundheitssysteme sondern für die gesamte Gesellschaft eine extreme Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass das mit einer Infektion mit SARS-CoV-2 verbundene Krankheitsbild bisher nur in Teilen erfasst und pathogenetisch verstanden ist, was insbesondere auch für mögliche Folgeschäden gilt (19). Bekannt ist, dass schwere bis letale Krankheitsverläufe vor allem bei Vorerkrankten und älteren Personen zu erwarten sind. Sportler*innen zählen nach derzeitigen Erkenntnissen nicht zu den Risikogruppen für einen schweren Verlauf einer COVID-19 Erkrankung. Das schließt allerdings nicht aus, dass Athlet*innen eine Infektion mit SARS-CoV-2 erleiden und es gibt auch Beispiele aus dem organisierten Sport, dass eine größere Anzahl an Teammitgliedern betroffen sein können (1, 16) und in Einzelfällen auch schwerere Verläufe bei ansonsten fitten und initial gesunden Sportlern möglich sind. Inwieweit Kontaktsituationen im Sport selbst zu einer größeren Prävalenz SARS-CoV-2-infizierter Personen führt, ist unklar, da hierzu bisher noch keine systematischen Erhebungen erfolgt sind (13). Aufgrund der Tragweite der CV-Pandemie ist es von zentraler Bedeutung, dass allgemeine Maßnahmen der Prävention mit Einhalten einer physisch-sozialen Distanz in der Bevölkerung auch in der spezifischen Situation des Sports Berücksichtigung finden muss. Hierzu liegt bereits ein entsprechendes Positionspapier vor (24).
Ein wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 mit bekanntermaßen schweren akuten und wahrscheinlich auch chronischen Gesundheitsschäden einhergeht. Hierbei stellt sich insbesondere für die betroffenen Wettkampfsportler die Frage, wie nach stattgehabter Infektion mit diesem Virus die Re-Integration in den Sport mit vertretbarem Risiko erfolgen kann (7). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es aktuell unklar ist, ob nicht auch nach milden oder sogar asymptomatischen Verläufen die sportliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein kann. Das vorliegende Positionspapier soll eine erste Handlungsleitlinie bei der Klärung der Sporttauglichkeit und dem Wiedereinstieg in den Wettkampfsport nach durchgemachter Infektion mit SARS-CoV-2 darstellen. In Ermangelung einer suffizienten Datenbasis zu dieser neuen Erkrankung und insbesondere auch fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu sportspezifischen Aspekten dieser Erkrankung verstehen wir das Positionspapier als ersten Expertenkonsensus zur Frage der Gestaltung eines für die Sportler*innen möglichst sicheren Einstiegs in den Wettkampfsport nach einer Infektion mit SARS-CoV-2.
Klinisches Bild
Das klinische Bild einer Infektion mit SARS-CoV-2 ist hochvariabel und reicht von einer völligen Symptomfreiheit bis hin zu einem letalen Verlauf (22, 31). Nach derzeitigem Stand liegt den Organmanifestationen und Symptomen einer Infektion mit SARS-CoV-2 eine teils ausgeprägte inflammatorische Reaktion bis hin zu einem Cytokinsturm zugrunde (4, 22, 30). Zudem sind Gerinnnungsstörungen zu beobachten mit einer vermehrten Thrombophilie und Gefahr pulmonaler oder zentraler Embolien (5). Wie in systematischen Erhebungen und/oder auch Fallberichten beschrieben, sind dabei neben der Lunge, auch das Herzkreislaufsystem, das zentrale und periphere Nervensystem, der Skelettmuskel, sowie Leber und Nieren (15, 32) akut betroffen. ACE2-Rezeptoren sind auch in Endothelzellen exprimiert und entsprechend wurden bei COVID-19 erkrankten Patienten mit insbesondere kardiovaskulären Komplikationen virale Elemente sowie inflammatorische Zellen einschl. Apoptose in verschiedensten Organen, insbesondere Herz, Intestinum und Lunge gefunden (27). Zwar sind entsprechende Komplikationen vermehrt bei Risikopersonen zu erwarten, doch kann es auch bei jungen Personen zu schweren Symptomen und Verläufen kommen. In einer Subgruppe von erkranktem medizinischen Personal (mittleres Alter 39 Jahre; mittlere stationäre Behandlungsdauer 7 Tage) mussten immerhin 2,5% beatmet werden (28).
Bei Patienten, die einen schweren Verlauf überleben, gibt es zunehmend Hinweise für gesundheitliche Folgeschäden. Bisher am besten dokumentiert sind hier Veränderungen der Lunge, insbesondere das Auftreten von fibrotischen Veränderungen (8). Diese Folgeerkrankungen oder -schäden einer Infektion mit SARS-CoV-2 können auch für die Sportausübung und insbesondere auch für die sportliche und körperliche Belastbarkeit der Betroffenen gerade im Leistungssport von hoher Relevanz sein. So sind signifikante Effekte auf die sportliche Leistungsfähigkeit nicht auszuschließen. In welcher Prävalenz diese zu erwarten sind und möglicherweise auch bei initial nur blandem Infektionsgeschehen auftreten können, ist derzeit allerdings noch unklar (7).
Kasten 1 – Fallkategorien
A) Positiver SARS-CoV-2-Test OHNE Zeichen einer Infektion bzw. Symptomatik
B) Positiver SARS-CoV-2-Test MIT Symptomen wie Fieber mit Temperaturen über 38°C, Husten, Muskel- und Gliederschmerzen, Kopfschmerzen, Geschmacks- oder Riechstörungen etc. jedoch OHNE gesicherte Pneumonie
C) Infektion mit SARS-CoV-2 MIT gesicherter Pneumonie
D) Infektion mit SARS-CoV-2 MIT V. a. oder gesicherter Myokarditis mit/ohne pulmonale Beteiligung mit/ohne weitere Symptome
Kasten 2 – Anamnese und körperliche Untersuchung
Anamnese: Schweregrad des Verlaufes, belastungsabhängige Beschwerden wie Angina pectoris, Husten und/oder Dyspnoe, jeweils auch be-lastungsinduziert, Fieber, Schwindel, Muskelschmerzen, schnelle Ermüdbarkeit. Fieberdauer, Kopfschmerzen, Anosmie, Dysgeusie, Stimmungslage, erfolgte und aktuelle Medikation, Sportanamnese.
Körperliche Untersuchung: Lymphknotenstatus, Rachenring, Herzfrequenz, Blutdruck, Herzauskultation, Lungenperkussion und -auskultation, Palpation Abdomen, Puls- und Gefäßstatus, Körpertemperatur, neurologi-sche Basisuntersuchung.
Kasten 3 – Laboranalytik
Labor Basis (I): Differenzialblutbild, C-reaktives Protein, Transaminasen, CK, Kreatinin, Urinstatus.
Labor erweitert (II): Wie I, zusätzlich je nach klinischem Bild und Vorbefunden Ferritin, kardiales hsTroponin I oder T, NT-proBNP,, D-Dimere, IL-6, Procalcitonin, Antikörperstatus für SARS-CoV-2, SARS-CoV-2-PCR aus Rachenabstrich etc.
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Organspezifische Komplikationen und Symptome
Lunge
Die häufigste Organbeteiligung bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 betrifft die Lunge. Laut WHO (29) kam es in China in 20% aller positiv getesteten Fälle zu einer Pneumonie mit einem schweren (14%) oder gar kritischen Verlauf (6%), gekennzeichnet von Lungeninfiltraten in über 50% der Lunge und einem Abfall der Sauerstoffsättigung unter 94%. Das typische radiologische Bild zeigt hierbei zumeist bilaterale zunächst peripher gelegene „groundglass“-artige Infiltrate (33). Beschrieben sind Fälle einer sich bereits in der Akutphase entwickelnden Lungenfibrose (8). Aus der früheren SARS Epidemie 2002-2003 ist bekannt, dass die betroffenen Patienten in einem zweijährigen Follow-up eine verringerte Diffusionskapazität und eine reduzierte Leistungsfähigkeit zeigten (20). In einer noch nicht original publizierten Arbeit Innsbrucker Notfallmediziner beschreiben diese Veränderungen der Lunge bei Tauchern nach einer COVID-19 Erkrankung, deren Ausprägung eine Fortführung des Tauchsports nicht mehr zuließe (11). Unter dem Aspekt der sportlichen Leistungsfähigkeit muss beachtet werden, dass möglicherweise schon geringe restriktive Veränderungen die maximale Ventilation einschränken und/oder die Atemökonomie stören. Besonders eine Störung des Gasaustausches als Folge einer Diffusionsstörung dürfte die Leistungsfähigkeit einschränken. Potenzielle Langzeitfolge wäre hierdurch die mögliche Entwicklung einer Rechtsherzbelastung. Somit sollte in Abhängigkeit der klinischen Einordnung (s. Abbildung 1) bei der Klärung der Sporttauglichkeit bereits bei symptomatischen Sportler*innen ohne stattgehabte Pneumonie eine Spirometrie und Ergometrie mit Messung der Sauerstoffsättigung durchgeführt werden. Da für viele Athlet*innen aus vorangegangenen Jahreshauptuntersuchungen spirometrische Vorbefunde vorliegen, könnten auch subtile Veränderungen besser interpretiert werden. Nach zusätzlicher Pneumonie empfehlen wir eine Spiroergometrie möglichst mit Blutgasanalyse und ggf. auch eine Messung der Diffusionskapazität. In der Spiroergometrie sollte dabei ein besonderes Augenmerk auf die Messgrößen der Atemeffizienz gelegt werden (Atemäquivalente).
Herzkreislaufsystem
Eine für die Sportler*innen spezielle Bedeutung besitzt bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 eine mögliche Mitbeteiligung des Myokards (23). Die Myokarditis zählt zu den führenden Ursachen des plötzlichen Herztods im Sport bei Athlet*innen unter 35 Jahre (2). Die Hauptursache stellt hierbei ein Virusinfekt der oberen Luftwege und des Gastrointestinaltrakts dar (6). Im Rahmen einer COVID-19 Erkrankung werden im Rahmen schwerer Verläufe fulminante Myokarditiden beschrieben (15). Bei schweren Verläufen zeigt sich zudem eine mit der Prognose korrelierende deutliche Erhöhung der Troponin-Werte (23). Offen ist die Frage, ob auch bei milden Verläufen oder gar asymptomatischen SARS-CoV-2–positiven Patienten das Risiko einer Myokarditis besteht. Das Auftreten einer schweren Myokarditis in der Rekonvaleszenzphase und Fälle von plötzlichem Herztod bei ambulant behandelten Patienten mit COVID-19 sind in Fallberichten dokumentiert (14). Allerdings ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch insgesamt unklar, wie hoch das Risiko einer Myokarditis im Rahmen einer Infektion mit SARS-CoV-2 bemessen ist.
Daher raten wir bereits bei symptomfreien SARS-CoV-2–positiven Sportler*innen zur Durchführung eines Ruhe-EKG. Bei symptomatischen Athlet*innen mit und ohne Pneumonie sollte zusätzlich eine Echokardiographie und ein Belastungs-EKG durchgeführt werden. Bei Hinweisen auf eine myokardiale Beteiligung im Sinne eines erhöhten Troponin-Wertes oder Auffälligkeiten in den oben genannten Untersuchungen sollte die Indikation für ein Kardio-MRT großzügig gestellt werden (10). Im Falle eines begründeten Verdachts oder einer gesicherten Myokarditis liegen für die Entscheidung zur Re-Integration in den Sport Leitlinien der Fachgesellschaften vor (8, 21), deren Passung für COVID-19 assoziierte Myokarditiden jedoch noch offen ist, aber zum aktuellen Zeitpunkt sicherlich nicht weiter gefasst werden darf.
Neben der myokardialen Beteiligung sind weitere kardiovaskuläre Manifestationen bei COVID-19 beschrieben. Diese umfassen akute Koronarsyndrome, Myokardinfarkte sowie thromboembolische Ereignisse in der Peripherie und der Lunge (15). So scheint auch das pulmonale Gefäßbett bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 neben dem Lungengewebe direkt betroffen zu sein. Dies betrifft zum einen das Endothel direkt im Sinne einer Infektion der Endothelzellen sowie Endotheliitis. Dies könnte auch eine Ursache für die vor allem in der späteren Phase einer SARS-CoV-2-Infektion zu beobachtende erhöhte Prävalenz an (pulmonalen) venösen Thromboembolien sein (9).
Weitere Organmanifestationen und Symptome
Etwa ein Drittel der Erkrankten zeigten in einer Studie neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Beeinträchtigung von Geschmacks- und Riechvermögen, auch zentrale thromboembolische Komplikationen mit Schlaganfällen wurden berichtet (12, 17). Einige Fall-berichte beschreiben auch die Entstehung eines Guillian-Barré-Syndroms oder anderer entzündlicher Veränderungen (26). Das Risiko einer Persistenz neurologischer Symptome oder Schäden bei Patienten mit COVID-19 ist ebenso wie die zu Grunde liegende Pathophysiologie noch unbekannt.
Passend zu anderen Virusinfekten kann es auch bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu Beschwerden im Bereich der Skelettmuskulatur kommen (3). So wurde in der Erhebung von Sun et al. (2020) bei hospitalisierten COVID-19 Patienten in 43% der Fälle über Muskelschmerzen berichtet. Weiterhin gibt es Hinweis auf das Risiko einer nach durchgemachter Infektion stark verzögerten Rekonvaleszenz mit ausgeprägter Fatigue-Symptomatik und prolongiertem Leistungsknick (3, 28).
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Entscheidung zur Re-Integration in den Sport
Nach aktuellem Stand erfordert das komplexe und bisher nur unvollständig verstandene Krankheitsbild einer COVID-19–Erkrankung, dass Sport-vor der im Mittelpunkt stehenden pulmonalen aber auch möglichen kardialen Beteiligung naheliegend. Inwieweit sich das dabei notwendige Vorgehen von den entsprechenden Empfehlungen bei anderen durchgemachten Virusinfekten zu unterscheiden hat, ist derzeit noch unklar.
Infolge der großen individuellen Varianz der Verläufe einer Infektion mit SARS-CoV-2 ist bei der Entscheidung zum Return-to-Sport ein abgestuftes Vorgehen naheliegend. Bei der Einschätzung eines möglichen Wiedereinstiegs schlagen wir zunächst eine Kategorisierung der Fälle anhand der klinischen Symptome und den pulmonalen und kardialen Befunden in vier Kategorien A – D vor (Kasten 1). In Abhängigkeit weiterer Symptome, zusätzlicher auffälliger Befunden anderer Organsysteme, dem individuellen Verlauf und/oder der Invasivität der erfolgten Therapie bzw. Medikation (z. B. Hydroxychloroquin mit potentieller Verlängerung der QT-Dauer) sollten die aus dem Algorithmus hervorgehenden Empfehlungen in Hinblick auf die Dauer der Sportkarenz und zusätzlich notwendigen diagnostischen Maßnahmen individuell angepasst werden.
Neben der im Rahmen der Akutbehandlung erhobenen Befunde und Diagnosen sowie dem klinischen Verlauf sollte zum Zeitpunkt der Einschätzung der Sporttauglichkeit erneut eine sorgfältige Anamnese in Hinblick auf COVID-19 – typische Symptome vorgenommen werden. Sowohl die Anamnese als auch die nachfolgende körperliche Untersuchung sollte auf einem standardisierten Protokoll basieren (Kasten 2). Neben einem Basislabor sollten je nach Fallcluster zusätzliche Labor-variablen (Kasten 3) bestimmt werden.
Zur Weiterentwicklung eines evidenzbasierteren Return-to-Sport Konzepts bei Sportler*innen sehen wir die Einrichtung eines Patientenregisters mit zusätzlichem Biobanking für COVID-19-Fälle im Sport als sinnvoll und notwendig an. Infolge der sich entwickelnden Erkenntnislage dieser jungen Erkran-kung besitzen diese Empfehlungen ggf. nur eine sehr kurze Gültigkeit. Anlassbezogen bzw. spätestens zum 01.08.2020 werden diese überarbeitet werden.
■ Nieß AM, Bloch W, Friedmann-Bette B, Grim C, Halle M, Hirschmüller A, Kopp C, Meyer T, Niebauer J, Reinsberger C, Röcker K, Scharhag J, Scherr J, Schneider C, Steinacker JM, Urhausen A, Wolfarth B, Mayer F
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