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Fortsetzung (Übergewichts-)Prävention in Deutschland

Erfolgreiche Prävention in Kindergarten und Schule

Kindergarten und Schule bieten hierfür optimale Settings, um populationsbezogene Primärpräventionsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche zu implementieren. Nahezu alle Kinder verbringen hier regelmäßig einen bestimmten Zeitraum ihres Tages. Damit können Kinder unabhängig vom soziokulturellen Hintergrund ohne Stigmatisierung erreicht werden. Zudem sind Kindergarten- und Grundschulkinder meist wissbegierig und offen gegenüber Themen zu Körper und der Gesundheit. In dieser jungen Lebensphase können daher grundlegende Verhaltensveränderungen in Bezug auf Ernährung und Bewegung erzielt werden, die bis ins Jugend- und Erwachsenenalter hinein bestehen bleiben (9).

Wie aber sehen erfolgreiche Maßnahmen zur Primärprävention aus? Wie müssen sie konzipiert sein, um von der Zielgruppe angenommen zu werden und positive Effekte zeigen zu können? Der Nationale Aktionsplan IN FORM für ein kindergerechtes Deutschland zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten listet u.a. erfolgreiche Maßnahmen zur kinderzentrierten Primärprävention auf, welche sich u.a. dadurch auszeichnen, dass die Interventionen speziell auf die Zielgruppe konzipiert sind und die gesamte Lebensumwelt miteinbeziehen (3, 32). Besonders die aktive Einbindung der Eltern und die damit verbundene Unterstützung bei der Umsetzung der Programminhalte, sind von großer Bedeutung für den Erfolg einer Maßnahme (9).

Da Übergewicht durch eine positive Energiebilanz entsteht, welche auf unterschiedliche Art und Weise beeinflusst werden kann, wird für erfolgreiche Präventionsmaßnahmen eine Kombination aus täglich ausreichender Bewegung und ausgewogener Ernährung und eine Verknüpfung von verhaltens- und verhältnisorientierten Ansätzen empfohlen (32). Nur durch eine multimodale Intervention, mit konkreter Wissensvermittlung, einer Veränderung der Lebensumwelt und einer Präsentation von Handlungsalternativen kann der komplexen Multikausalität von Übergewicht und Adipositas (den biologischen und verhaltensbedingten Ursachen) entgegen gewirkt werden (26). Die Programme müssen langfristig angelegt, nachhaltig und theoriebasiert konzipiert sowie in das reguläre Curriculum integrierbar sein, zudem müssen die programmumsetzenden Personen, wie z.B. Erzieher und Lehrer gut fortgebildet und betreut sein (32).

Eine aktuelle Übersicht fasst die derzeit über 230 in Deutschland durchgeführten Projekte und Programme zur Primärprävention von kindlichem Übergewicht und Adipositas in Kindertagesstätten und Schulen zusammen (29). Darunter finden sich viele Maßnahmen, die nicht nur versuchen Wissen zu vermitteln, sondern auch Handlungsalternativen als Methode zur Verhaltensänderung einsetzen und die Eltern aktiv einzubinden. Da die Maßnahmenplanung von Programmen zur Primärprävention wissenschaftlich fundiert sein sollte, werden mittlerweile viele Projekte zumindest teilweise evaluiert. Wenige hingegen untersuchen das Gesamtprogramm auf seine Wirksamkeit, v.a. über einen längeren Zeitraum. Die Ergebnisse sind sehr heterogen und wie häufig in universeller Primärprävention, handelt es sich – wenn überhaupt – um überwiegend kleine Effekte, die allerdings das Potential haben, über Zeit faktisch zu werden, sofern die Interventionen fortdauern (27). Zurzeit fehlen aber immer noch gut strukturierte Studien zur Evaluation kombinierter Interventionen, welche verhältnis- und verhaltensorientierte Maßnahmen kombinieren (15).

Präventionsprogramm „Komm mit in das gesunde Boot“

Eines der größten wissenschaftlich evaluierten und kürzlich von IN FORM ausgezeichneten Präventionsprogramme in Deutschland, welches zudem positive Effekte vorweisen kann, ist das seit 2009 laufende Programm „Komm mit in das gesunde Boot“, welches niederschwellig einen gesunden Lebensstil bei Kindergarten- und Grundschulkindern fördert. Schwerpunktthemen sind eine Förderung der (Alltags-)Bewegung, eine Reduktion der Mediennutzung und die Förderung eines gesunden Essverhaltens (Reduktion gesüßte Getränke und Steigerung des Obst- und Gemüsekonsums), welche direkt in den Kindergarten- bzw. Schulalltag integriert werden.

Das Programm wurde theorie- und evidenzbasiert entwickelt (31), die Materialien orientieren sich am Orientierungs- bzw. Bildungsplan der Kindergärten bzw. Grundschulen und können direkt in das Curriculum eingebunden werden. Die flächendeckende Ausweitung des Programms in ganz Baden-Württemberg, wird durch ein Multiplikatorensystem realisiert (30). Evaluationsstudien mit Interventions- und Kontrollgruppe wurden für den Kindergarten (14) und die Grundschule (4) konzipiert, so dass das Programm nach einem Jahr bei mehr als 1.700 Grundschulkindern auf seine Wirksamkeit überprüft werden konnte.

Signifikante Interventionseffekte konnten in Bezug auf eine Medienreduktion bei Mädchen und Kindern ohne Migrationshintergrund, sowie bei Kindern deren Eltern ein niedriges Bildungsniveau haben, festgestellt werden. Bei den Zweitklässlern verbesserte sich das Frühstücksverhalten signifikant und die Ausdauerleistungsfähigkeit stieg bei den Grundschülern in der Interventionsgruppe signifikant an (17). Zudem konnte ein erhöhter Obst- und Gemüsekonsum bei Kindern mit Migrationshintergrund nachgewiesen werden (13). Außerdem verringerten sich in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe die Anzahl der Tage, an welchen Kinder und Mütter wegen Krankheit bzw. Pflege eines kranken Kindes nicht die Schule bzw. Arbeit besuchen konnten, signifikant.

Das Programm „Komm mit in das gesunde Boot“ wird von der Baden-Württemberg Stiftung finanziert und Erziehern und Lehrern in Baden-Württemberg kostenfrei zur Verfügung gestellt. Rechnet man die Kosten für das Programm auf die Kinder runter, so ist „Komm mit in das gesunde Boot“ für einen Preis von ca. 25 EUR pro Kind und Jahr (10) ein vergleichsweise günstiges Programm, v.a. wenn man berücksichtigt, dass in einer Befragung von mehr als 1.500 Eltern ermittelt wurde, dass diese bereit wären im Mittel 23 EUR pro Jahr für Präventionsmaßnahmen zu zahlen, um Adipositas und dessen Folgeerkrankungen zu vermeiden (11).

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