Regulation an der Fußsohle – Kleine Fläche, große Wirkung

Regulation an der Fußsohle – Kleine Fläche, große Wirkung
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Die Fußsohle ist ein wichtiges sensomotorisches Organ, ist sie es doch, die beim Stehen, Gehen und Laufen die Stellen, von denen die Steuerung der ganzen Bewegung von unten nach oben (und wieder zurück) ausgeht. Heutzutage nutzen wir unsere Füße aber nicht mehr so, wie es uns die Evolution ermöglichte. Wir legen nicht annähernd die Strecken zurück wie Buschmänner in der Steppe vor Hunderttausenden von Jahren, bewegen uns überwiegend auf ebenem Parkett, Asphalt und Beton und das auch noch in Schuhen. Dadurch wird die Fußmuskulatur zu wenig stimuliert, was auf Dauer zu Problemen und Beschwerden führen kann. Davon sind nicht nur die unteren Extremitäten betroffen (z. B. Fersensporn, Schienbeinkantensyndrom oder Kniebeschwerden); über die Gelenke, die Muskeln und das Bindegewebe können Fehlstellungen von ganz unten bis zum Kiefergelenk Auswirkungen haben.

Physiologie bestimmt Einlagentyp

Liegt die Ursache für Beschwerden des muskuloskelettalen Systems in einem veränderten, eventuell sogar pathologischen Gangbild, kann mithilfe von Einlagen auf die Statik des gesamten Körpers eingewirkt werden. Das weiß Prof. Dr. Frank Mayer, Ärztlicher Direktor der Hochschulambulanz der Universität Potsdam, der sich mit seinem Team über 15 Jahre lang mit Forschung an Schuhen und Einlagen beschäftigt hat: »Zuerst muss die Physiologie und Pathophysiologie der Beschwerden verstanden sein. Im nächsten Schritt ist entscheidend, zu klären, was erreicht werden soll. Die Ziele können sich deutlich unterscheiden, je nachdem, ob es sich um einen Leistungssportler, einen Patienten, Kinder, Jugendliche oder ältere Menschen handelt. Ist das Ziel definiert, überlegen wir, mit welchen Mitteln es am besten erreicht werden kann. Daher stellt sich die in weiten Bereichen und auch bei den Kostenträgern obligatorische und ideologische Frage nach einer besseren Versorgung durch mechanische oder sensomotorische Einlagen gar nicht.« Egal, welcher Einlagentyp verwendet wird, es gibt mechanische Effekte durch die verbauten Elemente, an die sich der Fuß erst gewöhnen muss, sowie sensomotorische Effekte – nur die Gewichtung ist verschieden.

Studien schwer durchführbar

Die Kostenträger und auch viele Ärzte sind von der Wirksamkeit sensomotorischer Einlagen noch nicht überzeugt. Denn während es für mechanische Einlagen Untersuchungen gibt, die beabsichtige Veränderungen für bestimmte Fehlstellungen belegen können, sucht man diese für die sensomotorische Variante fast vergebens. »Studien, die die Spezifizität der Einlagen und damit die klinische Evidenz eindeutig nachweisen können, sind sehr schwierig durchzuführen, denn es geht bei sensomotorischen Einlagen um Regulationsmechanismen und nicht um mechanische Korrektur wie bei klassischen Einlagen.

Das liegt einerseits daran, dass die inter­individuelle Variabilität sehr hoch ist. Andererseits ist eine Verblindung nicht möglich bzw. hat auch eine Einlage mit ‚falschen‘ Elementen eine sensomotorische Wirkung. Zuletzt bräuchte man vergleichbare Fälle und damit sehr große Fallzahlen«, erklärt Prof. Mayer. »Es gibt Laborstudien, die eine Wirkung gut belegen. Zudem lässt sich eine Veränderung sofort feststellen; das ist die Grundlage der Sensomotorik«, fährt er fort. Beispielsweise wurde gezeigt, dass durch eine Längsgewölbestütze die muskuläre Aktivität des Musculus peroneus longus zielgerichtet beeinflusst werden kann (1, 2).

Bild Frank Mayer
Prof. Dr. med. Frank Mayer, Ärztlicher Direktor Sportmedizin, Universität Potsdam; Mitglied des Wissenschaftsrates der DGSP e.V. © Mayer
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50 Prozent Einlage – 50 Prozent Training

Im Gegensatz zur mechanischen Wirkung von Einlagen, bei der die Fußposition vorwiegend (nicht ausschließlich) passiv verändert wird, soll bei der sensomotorischen Wirkung vor allem über die eigene Muskulatur auf den Regelkreis zwischen Rezeptoren an der Fußsohle, der Muskulatur und dem zentralen Nervensystem (ZNS) Einfluss genommen werden. Andreas Kraus, Orthopädieschuhtechniker, Lauftrainer und Videobewegungsanalyst aus Ulm, erklärt die vermutete Wirkung folgendermaßen: »Möchte man den Muskeltonus eines stabilisierenden Muskels steigern, z. B. den M. tib. post. beim Knickfuß, so bringt man durch Pelotten Ansatz und Ursprung dieses Muskels näher zusammen. Dadurch entsteht vor der Bewegung ein niedrigerer Tonus. Das ZNS wird als Reaktion nun eine Tonuserhöhung des stabilisierenden Muskels anordnen. Im umgekehrten Fall, z. B. bei Plantarfasziitis, bringt man die Muskulatur in eine Vorspannung. Als Resultat fordert das ZNS nun eine Verringerung des Muskeltonus. Die Philosophie der Sensomotorik gibt vor, dass nicht über die ganze Fußfläche korrigiert wird, sondern nur Impulse in kleinen Bereichen gesetzt werden, um den restlichen Strukturen im Fuß maximale Freiheit zu erhalten.« Doch, darauf legt Kraus großen Wert, eine Einlage allein reicht nicht aus. »Die Einlage ist die eine Hälfte, die andere Hälfte ist das Training der Fußmuskulatur, beispielsweise mit einem Balance Pad oder anderen Übungen, die die Stabilisatoren kräftigen und deren Zusammenspiel verbessern«, erklärt er.

Bild Andreas Kraus
Andreas Kraus, Orthopädieschuh­techniker und Video­bewegungsanalyst, Ulm © Kraus

Barfußlaufen – grundsätzlich empfehlenswert

Grundsätzlich, das sagen Ärzte, Physiotherapeuten und auch Orthopädietechniker, ist auch das Barfußlaufen (im Sinne von »barfuß sein« auf verschiedenen Untergründen) ein ideales Training für die Fußmuskulatur. »Jeder Mensch hat ein spezifisches Gangmuster, welches, sofern es nicht pathologisch ist, durch eine Einlage oder einen Schuh möglichst nicht gestört werden sollte«, erklärt Prof. Mayer. Dabei ist auch darauf zu achten, ob die Probleme sowohl beim Barfußlaufen als auch mit Schuhen auftreten. Doch häufig wird mit dem Barfußlaufen (im Sinne von »barfuß joggen«) über das Ziel hinaus geschossen.

In einem Artikel über Natural running in der DZSM (3) schrieb Prof. Markus Walther, Ärztlicher Direktor und Chefarzt für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie der Schön Klinik in München: »Viele von uns werden die meiste Zeit ihres Lebens in Schuhen unterwegs gewesen sein und sind daher in keinster Weise an die Belastungen gewöhnt, mit welchen sie bei Verwendung von Barfußschuhen konfrontiert werden. Im günstigsten Fall ist nur Muskelkater das Resultat der vermehrten Beanspruchung des Fußes, im ungünstigsten Fall finden sich Knochenödeme, Überlastungsbeschwerden an Bändern und Gelenken sowie Stressfrakturen. […] Einschränkungen [für die Verwendung von Barfußschuhen] gibt es bei Sportlern, die auf eine Weichbettung oder eine Schuhzurichtung angewiesen sind. […] Sportler, die aufgrund von Fußfehlstellungen zwingend Einlagen benötigen, sind daher keine idealen Kandidaten für diesen Schuhtyp.«

Statische und dynamische Analyse wichtig

Grundlage jeder guten Einlagenversorgung ist eine umfassende Untersuchung des Patienten. Sie besteht aus einer klinischen Untersuchung, einer statischen und dynamischen Analyse barfuß und im Schuh, der Beurteilung der Abnutzung der Schuhe sowie der Analyse des Abrollvorgangs auf einer Druckmessplatte, gegebenenfalls auch auf dem Laufband. Die Puzzleteile ergeben dann ein Bild der Problematik und des möglichen Vorgehens. Doch in den meisten Fällen wird eine Analyse der Druckverteilung (wenn überhaupt) »nur« barfuß durchgeführt – die Situation im Schuh wurde und wird meist aus Praktikabilitätsgründen nicht erfasst. Dabei ist diese Information für Sportler mitunter von entscheidender Bedeutung, denn Unterschiede zwischen Barfußlaufen und beschuhtem Laufen sind nicht selten.

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Mit Sensorsohlen durch den Schuh blicken

Dieser Thematik haben sich Dr. Maximilian Müller und sein Team angenommen. Die Ingenieure und Sportwissenschaftler haben in ihrer Firma Moticon Sensorsohlen entwickelt, bei denen sämtliche Technik in der dünnen Sohle integriert ist und die den Patienten beim Tragen nicht beeinflussen. Ein Speicher zeichnet die Druckverteilung beim Tragen der Sohle auf. Damit sind qualitative Kurz- und Langzeit-Gang- und Bewegungsanalysen über eine Erfassung des Gangbilds, des Abrollverhaltens, Belastungen und Bewegungen möglich. Sie dienen als Basis für die Indikationsstellung und die Planung von Interventionen.

Die Sensorsohlen sind klinisch validiert (4, 5, 6) und für den Einsatz in der Arztpraxis, beim Orthopädietechniker, im Training des Sportlers, für die Erhebung wissenschaftlicher Daten sowie im Reha-Bereich geeignet. Die Sensorsohlen verfügen über eine Anbindung zum Smartphone und können im Alltag erhobene Messdaten in einer gesicherten Cloud speichern, so dass ein Sportler damit sein Training bestreiten und der behandelnde Arzt die Daten analysieren und Interventionen anregen kann.

Im Bereich der Einlagenversorgung sieht Dr. Müller ebenfalls Anwendungsmöglichkeiten: »Ein Vorteil unseres Systems ist, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Orthopädietechniker objektivierbar wird und anhand der Messdaten konstruktiv entschieden werden kann, wovon der Patient am meisten profitiert. Die Sensorsohlen können auch über Einlagen in den Schuh gelegt werden, so dass Veränderungen des Abrollverhaltens oder der Druckverteilungen beobachtet werden können.« Möglicherweise kann diese Technik in Zukunft dazu beitragen, die Einlagenversorgung weiter zu verbessern, indem die Entwicklung in der Orthopädie und Orthopädietechnik in Richtung Verständnis der Regulationsmechanismen unterstützt und weniger das mechanische Verändern eines Zustands angestrebt wird.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Baur H, Hirschmüller A, Müller S, Mayer F. Neuromuscular activity of the peroneal muscle after foot orthoses therapy in runners. Med Sci Sports Exerc. 2011; 43: 1500-6. doi:10.1249/MSS.0b013e31820c64ae

  2. Baur H, Müller S, Hirschmüller A, Cassel M, Weber J, Mayer F. Comparison in lower leg neuromuscular activity between runners with unilateral mid-portion Achilles tendinopathy and healthy individuals. J Electromyogr Kinesiol. 2011; 21: 499-505. doi:10.1016/j.jelekin.2010.11.010

  3. Walther M. Natural Running. Dtsch Z Sportmed. 2012; 63: 91-92. doi:10.5960/dzsm.2012.017

  4. Braun BJ, Veith NT, Hell R, Döbele S, Roland M, Rollmann M, Holstein J, Pohlemann T. Validation and reliability testing of a new fully integrated gait analysis insole. Journal of Foot and Ankle Research. 2015; 8: 54. doi:10.1186/s13047-015-0111-8

  5. Braun BJ, Bushuven E, Hell R, Veith NT, Buschbaum J, Holstein JH, Pohlemann T. A novel tool for continuous fracture aftercare – Clinical feasibility and first results of a new telemetric gait analysis insole. Injury. 2016; 47: 490-4. doi:10.1016/j.injury.2015.11.004

  6. Stöggl T, Martiner A. Validation of Moticons OpenGo sensor insoles during gait, jumps, balance and cross-country skiing specific imitation movements. Journal of Sports Sciences. 2016; 1-11. doi:10.1080/02640414.2016.1161205