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Fortsetzung Problemzone Iliosakralgelenk: Wenn die »heilige Mitte« schmerzt

Mobilisieren, Manipulieren, Kräftigen

Jörg Mayer hat in seiner physiotherapeutischen Praxis viel Erfahrung mit ISG-­Beschwerden jeglicher Genese. »Neben einmaligen Blockaden sind vor allem ISG-Instabilitäten häufig, die als eigentliche Ursache für wiederkehrende Blockierungen ganz anders behandelt werden müssen. Das Motto lautet immer ,Mobilisieren und Stabilisieren’! Gute Therapie richtet ja nicht nur, was kaputt ist, sondern berichtigt die grundlegende Ursache. Bei wiederkehrenden ISG-Schmerzen muss zunächst eine gute Core-Stabilität her, um die umgebenden Strukturen zu kräftigen – das ist ja nie ein völlig singuläres Problem. Echte Beinlängendifferenzen müssen durch individuell angepasste Einlagen ausgeglichen werden. Akute Befunde werden vom verordnenden Arzt adjuvant mit NSAR, Akupunktur und/oder Stoßwellentherapie behandelt und im Einzelfall unterspritzt, z. B. mit Traumeel. Hier in der Praxis kommen je nach Beschwerdebild zusätzlich TENS, Kinesio­taping oder Fango zum Einsatz.

Zu entlastenden, stabilisierenden Beckenorthesen haben beide Experten die gleiche Einstellung: »Natürlich ist das Tragen einer solchen Orthese sehr angenehm und in der hochakuten Phase temporär auch angebracht. Aber bei chronisch instabilem ISG wäre es absolut kontraproduktiv, die alltägliche Haltearbeit an eine Orthese abzugeben.«, warnt Mickel Washington. Jörg Mayer geht bezüglich der Trainings-Wiederaufnahme sogar noch weiter: »Konsequenterweise muss man eigentlich sagen, wenn ein Sport nur mit passiver Unterstützung erträglich ist, ist der Körper noch nicht soweit. Dann muss der Athlet erst noch weiter an seiner Eigenstabilität arbeiten.«

Iliosakralgelenk, Mobilisationsbehandlung des Rumpfes
Mobilisationsbehandlung des Rumpfes © Washington M

Wie lange muss pausiert werden?

»Eigentlich gar nicht, jedenfalls nicht komplett«, sagt Jörg Mayer und rät nur Athleten aus High-Impact-Sportarten zur zeitweisen Trainingspause. »Selbst akute Zustände würden von vollständiger Schonung nicht profitieren, weil ja immer eine ganze Funktionskette nach oben und unten mit dranhängt. Wenig belastende Bewegungen wie Spazierengehen, Radfahren oder Schwimmen sollten deshalb bis zur Schmerzgrenze beibehalten oder neu aufgenommen werden. Heftig in den Schmerz hineintrainieren würde ich nicht.«

Mickel Washingtons Empfehlung sieht ähnlich aus. Er verordnet lediglich bei hochakuten Entzündungssituationen wie z. B. einer Sakroiliitis sechs bis acht Wochen Sportpause bei vorsichtiger Mobilisierung und Physiotherapie, begleitet von entzündungshemmenden NSAR. Käme außerdem ein Kortisonschema zum Einsatz, warnt er, sei an die Dopingvorgaben zu denken.

Prävention muss sein

Sind alle potenziellen Sekundärauslöser des ISG-Schmerzes ausgeschlossen und die akute Phase überstanden, können Athleten viel tun, um Rückfälle zu vermeiden. So sollte das Training für Sportarten, die mit einseitigen Belastungen, ver­mehrter lumbaler Flexion und harten Stopps einhergehen, unbedingt entsprechende Ausgleichsbewegungen beinhalten. »Eine einseitige Spezialisierung in der jeweiligen Sportart führt zu muskulären Dysbalancen, die ein Blockierungsgeschehen begünstigen. Deshalb empfehle ich dringend die Durchführung von Ausgleichssport. Bei einem leistungsorientierten Handballer wäre das beispielsweise Leichtathletik oder Schwimmen«, appelliert Mickel Washington. »Selbst gern gegen ISG-Beschwerden empfohlenen Bewegungsarten wie Bauchtanz fehlt die stabilisierende Komponente. Es muss in die Köpfe hinein, dass es mit reiner Mobilisierung eben nicht getan ist.«, ergänzt Jörg Mayer und äußert passend dazu den Wunsch, dass die Sportwissenschaft endlich konsequent Funktionszusammenhänge mit anderen Körperbereichen herstellt: »Mit einer logischen funktionsanalytischen Kaskade wäre der Behandlung von ISG-Beschwerden sehr geholfen.« Aktuelle Studien geben ihm hier recht (4).

Fazit: Der einzig wahre Diagnostik- und Behandlungsweg bei ISG-Beschwerden muss erst noch gefunden werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Sportorthopädie, Radiologie und Physiotherapie ist hier essenziell. Eine entsprechende Leitlinie, die aktuelle Forschungsergebnisse berücksichtigt, wäre für alle Beteiligten eine wertvolle Hilfe.

■ Kura L

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Quellen:

  1. Institut für angewandte Osteopathie (IFAO), Bitburg: Skript 1 – Das Becken. 2016. https://docplayer.org/59457449-Skript-1-das-becken-1.html [abgerufen am 25.03.2019]

  2. King W, Ahmed SU, Baisden J, Patel N, Kennedy DJ, Dusynsky B, MacVicar J. Diagnosis and Treatment of Posterior Sacroiliac Complex Pain: A Systematic Review with Comprehensive Analysis of the Published Data. Pain Med 2015; 16: 257–265. doi:10.1111/pme.12630

  3. Laslett M. Evidence-based diagnosis and treatment of the painful sacroiliac joint. J Man Manip Ther. 2008; 16: 142-152.

  4. Vleeming A, Albert HB, Östgaard HC, Sturesson B, Stuge B. European guidelines for the diagnosis and treatment of pelvic girdle pain. Eur Spine J. 2008; 17: 794–819. doi:10.1007/s00586-008-0602-4

  5. Vleeming A, Schuenke MD, Masi AT, Carreiro JE, Danneels L, Willard FH. The sacroiliac joint: an overview of its anatomy, function and potential clinical implications. J Anat. 2012; 221: 537–567. doi:10.1111/j.1469-7580.2012.01564.x