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Fortsetzung Körperliche Aktivität und Sport in der Prävention und Therapie neurodegenerativer Erkrankungen

Sportinduzierte Neuroplastizität

Der Einfluss von körperlicher Aktivität und sportlichen Trainings auf Kognition ist bereits seit Jahrzehnten ein zentraler Forschungsschwerpunkt der Neurowissenschaft. Diesbezüglich zeigt die aktuelle Studienlage, dass sowohl eine einmalige Sporteinheit (acute exercise) (2) als auch regelmäßige körperliche Aktivität und sportliches Training (chronic exercise) (3) positive Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten haben. Das menschliche Gehirn ist dabei bis in das hohe Lebensalter in der Lage, sich strukturell und funktionell an Belastungen anzupassen, eine Fähigkeit, die als neuronale Plastizität bezeichnet wird. Neurobiologische Mechanismen der Neuroplastizität sind unter anderem die Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese), die Bildung neuer Gefäße (Angiogenese) und die Bildung neuer Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen (Synaptogenese).

Ein aktuell kontrovers diskutierter Aspekt in der Neurowissenschaft ist die adulte Neurogenese. Bis in die 1990er Jahre galt in der Medizin und der Neurowissenschaft das Dogma, dass nach der Geburt keine neuen Nervenzellen im menschlichen Gehirn gebildet werden können. Im Jahr 1998 konnten Erickson und Kollegen erstmals die Neubildung von Nervenzellen im adulten Hippocampus, einer zentralen Struktur für Gedächtnisfunktionen, nachweisen (5). Studien im Tiermodell haben gezeigt, dass insbesondere körperliche Aktivität und eine abwechslungsreiche Umgebung die Anzahl der neugebildeten Nervenzellen und deren Integration in bestehende neuronale Netzwerke fördert. In den vergangenen zwei Jahren wurden jedoch unter anderem im Journal Nature mehrere Studien publiziert, die die adulte Neurogenese negieren (18). Diesbezüglich resultiert auch die Fragestellung, inwiefern körperliche Aktivität und sportliches Training die Neurogenese induzieren oder ob die positiven Effekte über andere neurobiologische Mechanismen (Angiogenese, Synaptogenese etc.) vermittelt wird. In diesem Kontext ist jedoch auch zu konstatieren, dass die neurobiologischen Mechanismen von sportinduzierter Neuroplastizität bis heute kaum verstanden sind (8). Potentielle molekulare und zelluläre Wirkmechanismen sind unter anderem:

– Wachstumfsfaktoren (z. B. brain-derived neurotrophic factors [BDNF], vascular endothelial growth factor [VEGF], insuline-like growth factor 1 [IGF-1]

– gesteigerte cerebrale Durchblutung

– reduzierte systemische Inflammation (22, 23).

Körperliche Aktivität und Sport in der Prävention dementieller Erkrankungen

Zahlreiche epidemiologische, Querschnitts- und Interventionsstudien deuten an, dass körperliche Aktivität und sportliches Training das Demenzrisiko signifikant reduzieren kann (12). Eine Metaanalyse von Hamer & Chida aus dem Jahr 2009, welche 16 prospektive Studien inkludierte, resümierte eine Reduktion des Demenzrisikos von 28 Prozent und des Alzheimer-Demenzrisikos um bis zu 45 Prozent durch körperliche Aktivität (6). In mehreren Querschnittstudien wurde ein positiver Zusammenhang zwischen der körperlichen Leistungsfähigkeit (ermittelt mittels V˙O2max), dem Hippocampusvolumen und kognitiven Fähigkeiten gezeigt (12). Randomisierte Interventionsstudien zeigen hingegen zum Teil gemischte Ergebnisse (1). In einer Landmark-Studie aus dem Jahr 2011 konnten Erickson und Kollegen zeigen, dass ein einjähriges aerobes Ausdauertraining zu einer Zunahme des Hippcampusvolumen und einer Verbesserung von Gedächtnisleistungen führt (4).

Ein aktueller Cochrane-Review (basierend auf 12 Studien mit 754 Teilnehmern) resümiert jedoch keine Evidenz für positive Effekte eines aeroben Ausdauertraining auf kognitive Fähigkeiten bei älteren Menschen (21). Potentielle Ursachen könnten zu kleine Stichproben, zu kurze Interventionszeiträume mit einer zu geringen Intensität, Testbatterien mit geringer Sensitivität und weitere sein. Aufgrund der teilweise inkonsistenten Forschungslage stehen Leitlinien zur Bedeutung von körperlicher Aktivität und Sport in der Prävention von dementiellen Erkrankungen noch aus. Diesbezüglich empfehlen Voss und Kollegen Richtlinien für die zukünftige Forschung, um die Erstellung von Leitlinien zu beschleunigen (20). In diesem Kontext soll unter anderem ein Fokus auf hippocampale Gedächtnisfähigkeiten (z. B. mittels pattern separation) gelegt werden.

Aufgrund der multifaktoriellen Genese dementieller Erkrankungen wurde in den letzten Jahren verstärkt der Einfluss multidimensionaler Interventionskonzepte auf die Demenzprävention untersucht (9). Abgeschlossene Studien mit einer Probandenanzahl von jeweils über 1000 sind FINGER (Finnland, n=1260), PreDIVA (Niederlande, n=3526) und MAPT (Frankreich, n=1680). Ergebnisse der FINGER-Studie haben gezeigt, dass eine zweijährige multidimensionale Intervention (Sport, Ernährung, kognitives Training, Vaskuläres Monitoring) kognitive Abbauprozesse bei Personen mit einem erhöhten Demenzrisiko aufhalten kann (14). Ergebnisse der 5- bzw. 7-Jahres Follow-up Untersuchungen sind aktuell in Bearbeitung.

Die primären Ergebnisse der MAPT sowie PreDIVA-Studie waren weniger eindrücklich. Sekundäre Analysen haben jedoch auch in diesen zwei Studien gezeigt, dass Personen mit einem erhöhten Demenzrisiko von der Intervention besonders profitierten. Rosenberg und Kollegen resultieren drei zentrale Schlussfolgerungen aus den bisherigen multidimensionalen Ansätzen. So ist es (i) elementar, die richtige Zielgruppe (insbesondere Personen mit einem erhöhten Demenzrisiko), (ii) so früh wie möglich (höchste Potential der Prävention bei kognitiv-gesunden und jüngeren Senioren) und (iii) mit einer intensiven Intervention zu untersuchen (17). Basierend auf den positiven Ergebnissen der finnischen FINGER-Studie läuft aktuell eine World-Wide FINGERS-Studie (https://alz.org/wwfingers).

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