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Fortsetzung Definierte Muskeln: Zur Bedeutung von Krafttraining für die Gesundheit

Die »Weisheit« der Muskulatur

»Grundsätzlich ist die Plastizität der Muskulatur in jedem Lebensalter vorhanden und ein Muskelaufbau möglich. Beim jungen Erwachsenen ist sie besonders ausgeprägt, aber auch beim alten Menschen kann man einen Muskel zur Hypertrophie bringen«, erklärt Prof. Granacher, Inhaber der Professur für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Universität Potsdam. Neben der Wahl der Methode spielen aber auch die individuellen Voraussetzungen eine Rolle. So reagieren manche Personen auf Krafttraining sehr sensibel und zeigen schnell einen hohen Zuwachs an Muskelmasse und Verbesserungen der Maximalkraft (High-Responder), während sich das Training bei anderen kaum messbar niederschlägt (Low-Responder). Einflussfaktoren sind etwa das Alter, der Trainingszustand, die enzymatische Situation sowie genetische Dispositionen.

Prof. Urs Granacher, Sportwissenschaftler an der Universität Potsdam. © Karla Fritze

Doch auch das »Erinnerungsvermögen« eines Muskels bzw. seine Vorgeschichte scheinen eine Rolle zu spielen. Davon geht die Muscular wisdom hypothesis aus, die sich mit der Anpassung der Muskulatur an Belastung befasst. Durch hohe Intensitäten im Krafttraining können Mikrotraumata in der Muskelzelle entstehen, die dazu führen, dass die Muskelzelle zunächst durch so genannte Satellitenzellen »repariert« wird. Die stammzellähnlichen Satellitenzellen proliferieren durch geeignete Trainingsreize, werden aktiviert und verschmelzen mit den Myofibrillen. Dadurch vergrößert sich das Zellkernmaterial und es werden mehr Zellkerne in der Muskelzelle angelegt. Diese bleiben wahrscheinlich auch nach Beendigung eines Krafttrainings über einen längeren Zeitraum, möglicherweise sogar zeitlebens, vorhanden und können bei erneutem oder intensiviertem Training schnell aktiviert werden und die Proteinsyntheserate beschleunigen.

In der Kindheit beginnen, …

Wie bei so vielen Dingen im Leben ist es auch beim Krafttraining gut, schon in der Kindheit damit zu beginnen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Kinder noch kein Krafttraining durchführen sollten. »In der Tat ist es aufgrund der hormonellen Situation im präpubertären Alter so, dass bislang auch bei einem auf das kindliche Nerv-Muskel-System optimal abgestimmten Krafttraining keine Vergrößerung des Muskelquerschnitts nachgewiesen werden konnte. Die Kraftzuwachsraten hingegen sind bei Kindern hoch; relativ auf die Körpermasse betrachtet sogar höher als bei Adoleszenten oder Erwachsenen.

Das lässt sich durch optimierte neuronale Anpassungsprozesse erklären. So verbessert sich beispielsweise das Zusammenspiel zwischen Agonist und Antagonist beim Bewegungsvollzug und die Synergisten arbeiten effektiver zusammen. Der Muskel kann nach einem Krafttraining höher frequent durch das zentrale Nervensystem angesteuert werden«, erklärt Prof. Granacher. Diese Erkenntnisse hat der Sportwissenschaftler auch in einem Artikel in der DZSM zusammengefasst (2). Ein frühes Training der Muskulatur, vor allem in der Jugend, könnte dazu beitragen, dass ein gutes Fundament angelegt wird, um im Laufe des weiteren Lebens schnell Muskelmasse hinzugewinnen zu können.

… im Alter erhalten

Eine solide muskuläre Basis ist auch und besonders für ältere Menschen wichtig. Wird nicht aktiv entgegengewirkt, verliert ein Mensch in etwa ab dem 60. Lebensjahr Muskelmasse (Sarkopenie) und Muskelkraft (Dynapenie), wobei der Verlust der Muskelkraft sogar höher mit funktionellen Einschränkungen assoziiert ist. Dass dieser Effekt mit Krafttraining gut aufgefangen werden kann, haben Walter Frontera und Xavier Bigard (1) in einem Überblicksbeitrag gezeigt. Eine Gruppe von im Durchschnitt 65-jährigen gesunden Männern, die kein spezifisches Krafttraining betrieben, wurde über zwölf Jahre verfolgt. Die Maximalkraft der Kniestrecker reduzierte sich in diesem Zeitraum um 24 Prozent, der Querschnitt des Quadrizeps um 16 Prozent. In einer anderen Studie berichteten Frontera und Bigard, dass ein zwölfwöchiges Krafttraining mit submaximalen Inten­sitäten einen Zuwachs der Maximalkraft von 16 Prozent und eine Vergrößerung des Muskelquerschnitts von 11 Prozent bewirkte. »Ein wenig zugespitzt könnte man sagen, dass drei Monate Training zwölf Jahren Alterung entgegenwirken. Das ist schon sehr eindrucksvoll!», betont Prof. Granacher.

Eine gut ausgebildete Muskulatur kann im Alter zur Prävention von Diabetes Typ 2 beitragen, da durch mehr Muskelmasse die Energiebilanz verbessert wird. Je mehr kontraktile Masse vorhanden ist, desto mehr Glukose kann metabolisiert werden. Konkret sorgt jedes Kilo mehr Muskelmasse für einen Mehrverbrauch von etwa 50 Kilokalorien. Was auf den ersten Blick nach nicht viel klingt, entspricht auf das Jahr gerechnet mehr als zwei Kilogramm Körperfett.

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