Definierte Muskeln: Zur Bedeutung von Krafttraining für die Gesundheit

Definierte Muskeln: Zur Bedeutung von Krafttraining für die Gesundheit
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Der menschliche Körper besitzt 656 Muskeln. Die Muskelmasse macht im Schnitt etwa ein Drittel der Gesamtkörpermasse aus – bei Männern mehr als bei Frauen. Dass die Muskulatur mehr als nur Haltefunktion erfüllt und Bewegung ermöglicht, zeigen die Forschungen der letzten Jahre immer deutlicher. Empfahlen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das American College of Sports Medicine (ACSM) lange Zeit ausschließlich aerobe Belastung für die Gesund­erhaltung, so wurden diese Empfehlungen in jüngerer Vergangenheit ergänzt. Zusätzlich zu 150 Minuten Aktivitäten aus dem Ausdauerbereich pro Woche sollen auch zweimal wöchentlich die großen Muskelgruppen mittels gezieltem Krafttraining angesprochen werden. Grund­legend dafür waren Untersuchungen wie die von Ruiz et al. (4), bei der an 8762 Probanden das Einer-Wieder­holungs-Maximum (EWM) im Bankdrücken und in der Beinpresse erhoben und über einen Zeitraum von fast 19 Jahren nachverfolgt wurde. Sowohl bei der Gesamtsterblichkeit als auch bei der kardiovaskulären und der krebsspezifischen Mortalität war die Risikoreduktion für das Patientendrittel mit den besten EWM-Werten am größten.

Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2017 bestätigte einen hohen prädiktiven Wert der Griffkraft für die kardiovaskuläre Sterblichkeit (5), was zeigt, dass auch Kraft ein wichtiger Aspekt im komplexen System »Gesundheit« ist. Des Weiteren gibt es eine signifikant positive Korrelation zwischen Muskelkraft und Gehgeschwindigkeit sowie Gleichgewichts- und Mobilitätsparametern wie z. B. der Zeit, die man zum Aufstehen von einem Stuhl braucht, der Fähigkeit, Treppen zu steigen, und der Sturzhäufigkeit.

Welches Krafttraining für wen?

Die geeignete Methode für mehr Muskelkraft und/oder einen Zuwachs an Muskelmasse (Muskelhypertrophie) sollte abhängig von Alter, Geschlecht und Fitnessstatus ausgewählt werden. Die Muskelhypertrophie lässt sich mit Maximalkrafttraining oder mit exzentrischem Training effektiv und effizient steigern. Beim klassischen Maximalkrafttraining wird mit einer 70- bis 80-prozentigen Intensität des EWM über drei bis vier Sätze mit jeweils 10 bis 12 Wiederholungen trainiert. Diese Trainingsform ist für Jugendliche, Erwachsene und Senioren gut geeignet. Eine weitere Form des Krafttrainings im Gesundheitsbereich ist das exzentrische Krafttraining. Durch die hohen Intensitäten bei gleichzeitig geringer metabolischer Belastung ist es besonders für z. B. kardiologisch wenig belastbare Patienten eine effektive Maßnahme.

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Die »Weisheit« der Muskulatur

»Grundsätzlich ist die Plastizität der Muskulatur in jedem Lebensalter vorhanden und ein Muskelaufbau möglich. Beim jungen Erwachsenen ist sie besonders ausgeprägt, aber auch beim alten Menschen kann man einen Muskel zur Hypertrophie bringen«, erklärt Prof. Granacher, Inhaber der Professur für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Universität Potsdam. Neben der Wahl der Methode spielen aber auch die individuellen Voraussetzungen eine Rolle. So reagieren manche Personen auf Krafttraining sehr sensibel und zeigen schnell einen hohen Zuwachs an Muskelmasse und Verbesserungen der Maximalkraft (High-Responder), während sich das Training bei anderen kaum messbar niederschlägt (Low-Responder). Einflussfaktoren sind etwa das Alter, der Trainingszustand, die enzymatische Situation sowie genetische Dispositionen.

Prof. Urs Granacher, Sportwissenschaftler an der Universität Potsdam. © Karla Fritze

Doch auch das »Erinnerungsvermögen« eines Muskels bzw. seine Vorgeschichte scheinen eine Rolle zu spielen. Davon geht die Muscular wisdom hypothesis aus, die sich mit der Anpassung der Muskulatur an Belastung befasst. Durch hohe Intensitäten im Krafttraining können Mikrotraumata in der Muskelzelle entstehen, die dazu führen, dass die Muskelzelle zunächst durch so genannte Satellitenzellen »repariert« wird. Die stammzellähnlichen Satellitenzellen proliferieren durch geeignete Trainingsreize, werden aktiviert und verschmelzen mit den Myofibrillen. Dadurch vergrößert sich das Zellkernmaterial und es werden mehr Zellkerne in der Muskelzelle angelegt. Diese bleiben wahrscheinlich auch nach Beendigung eines Krafttrainings über einen längeren Zeitraum, möglicherweise sogar zeitlebens, vorhanden und können bei erneutem oder intensiviertem Training schnell aktiviert werden und die Proteinsyntheserate beschleunigen.

In der Kindheit beginnen, …

Wie bei so vielen Dingen im Leben ist es auch beim Krafttraining gut, schon in der Kindheit damit zu beginnen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Kinder noch kein Krafttraining durchführen sollten. »In der Tat ist es aufgrund der hormonellen Situation im präpubertären Alter so, dass bislang auch bei einem auf das kindliche Nerv-Muskel-System optimal abgestimmten Krafttraining keine Vergrößerung des Muskelquerschnitts nachgewiesen werden konnte. Die Kraftzuwachsraten hingegen sind bei Kindern hoch; relativ auf die Körpermasse betrachtet sogar höher als bei Adoleszenten oder Erwachsenen.

Das lässt sich durch optimierte neuronale Anpassungsprozesse erklären. So verbessert sich beispielsweise das Zusammenspiel zwischen Agonist und Antagonist beim Bewegungsvollzug und die Synergisten arbeiten effektiver zusammen. Der Muskel kann nach einem Krafttraining höher frequent durch das zentrale Nervensystem angesteuert werden«, erklärt Prof. Granacher. Diese Erkenntnisse hat der Sportwissenschaftler auch in einem Artikel in der DZSM zusammengefasst (2). Ein frühes Training der Muskulatur, vor allem in der Jugend, könnte dazu beitragen, dass ein gutes Fundament angelegt wird, um im Laufe des weiteren Lebens schnell Muskelmasse hinzugewinnen zu können.

… im Alter erhalten

Eine solide muskuläre Basis ist auch und besonders für ältere Menschen wichtig. Wird nicht aktiv entgegengewirkt, verliert ein Mensch in etwa ab dem 60. Lebensjahr Muskelmasse (Sarkopenie) und Muskelkraft (Dynapenie), wobei der Verlust der Muskelkraft sogar höher mit funktionellen Einschränkungen assoziiert ist. Dass dieser Effekt mit Krafttraining gut aufgefangen werden kann, haben Walter Frontera und Xavier Bigard (1) in einem Überblicksbeitrag gezeigt. Eine Gruppe von im Durchschnitt 65-jährigen gesunden Männern, die kein spezifisches Krafttraining betrieben, wurde über zwölf Jahre verfolgt. Die Maximalkraft der Kniestrecker reduzierte sich in diesem Zeitraum um 24 Prozent, der Querschnitt des Quadrizeps um 16 Prozent. In einer anderen Studie berichteten Frontera und Bigard, dass ein zwölfwöchiges Krafttraining mit submaximalen Inten­sitäten einen Zuwachs der Maximalkraft von 16 Prozent und eine Vergrößerung des Muskelquerschnitts von 11 Prozent bewirkte. »Ein wenig zugespitzt könnte man sagen, dass drei Monate Training zwölf Jahren Alterung entgegenwirken. Das ist schon sehr eindrucksvoll!», betont Prof. Granacher.

Eine gut ausgebildete Muskulatur kann im Alter zur Prävention von Diabetes Typ 2 beitragen, da durch mehr Muskelmasse die Energiebilanz verbessert wird. Je mehr kontraktile Masse vorhanden ist, desto mehr Glukose kann metabolisiert werden. Konkret sorgt jedes Kilo mehr Muskelmasse für einen Mehrverbrauch von etwa 50 Kilokalorien. Was auf den ersten Blick nach nicht viel klingt, entspricht auf das Jahr gerechnet mehr als zwei Kilogramm Körperfett.

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Die Muskulatur als sekretorisches Organ

Eine der großen Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte ist die Funktion der Muskulatur als endokrines Organ. Ebenso wie für das einst inert geglaubte Fettgewebe sekretorische Funktionen – meist proinflammatorischer Art – nachgewiesen wurden, konnte seit Beginn des Jahrtausends Ähnliches für die Muskulatur gezeigt werden. Der große Unterschied besteht jedoch in der gesundheitsförderlichen Wirkung, welche das Muskelgewebe inne hat. Muskelzellen haben eine hohe sekretorische Kapazität. Über 100 verschiedene Faktoren wurden bereits identifiziert. Man nennt sie, in Anlehnung an das sekretorische Organ, aus dem sie stammen, Myokine (3). Die Entdeckung dieser Moleküle wirft ein neues Licht auf das Muskelsystem und besonders auf die Bedeutung von körperlicher Aktivität, Bewegung und Krafttraining für die Gesundheit. Im Fall des zuerst entdeckten und am besten untersuchten Myokins Interleukin 6 (IL-6) weiß man, dass die sekretierte Menge im Verhältnis zur vorhandenen Muskelmasse während des Trainings ansteigt. IL-6 ist involviert in die Fettoxidation und die insulinvermittelte Glukoseaufnahme.

»Die Wissenschaft«, so erklärt Prof. Mark Febbraio, Leiter der Abteilung Diabetes and Metabolism am Garvan Institute of Medical Research im australischen Darlinghurst, »fokussiert sich darauf, was die unterschiedlichen Myokine in den Zielgeweben bewirken. Diese Wirkungen sind vielfältig. Von einigen wissen wir, dass sie auf die Entstehung von Depressionen einen Einfluss haben, andere modulieren die Entstehung und Umwandlung von braunem und weißem Fettgewebe. Meine Arbeitsgruppe befasst sich einerseits damit, das gesamte Myokinom zu entschlüsseln, und andererseits mit einem bestimmten Molekül, das möglicherweise die Entstehung von Brustkrebs anhalten oder verlangsamen kann.«

Lasst die Muskeln spielen!

Die schützende und protektive Wirkung von Sport und körperlicher Aktivität auf viele Erkrankungen ist inzwischen häufig gezeigt worden. Myokine scheinen die Antreiber hinter diesen Effekten zu sein, indem sie unter anderem den schädigenden proinflammatorischen Effekten der Adipokine entgegenwirken und selbst schützende Vorgänge anregen. Schon kurze Perioden körperlicher Inaktivität führen zu Stoffwechselverschiebungen wie beispielsweise verringerte Insulinsensitivität, Abschwächung des postprandialen Lipidmetabolismus und natürlich Verlust an Muskelmasse und Zunahme an viszeralem Fettgewebe. Krankheiten wie Diabetes Typ 2, kardiovaskulären Erkrankungen, Darmkrebs, postmenopausalem Brustkrebs und Osteoporose kann durch Sport in gewissem Umfang vorgebeugt werden.

Immer eindrucksvoller wird in diesem Zusammenhang der Muskel als aktives Organ. Dank neuer oder wiederbelebter Methoden des Krafttrainings, z. B. mit dem eigenen Körpergewicht, im Rahmen der CrossFit-Bewegung oder dank attraktiver Kurse in Fitnessstudios verliert das Krafttraining den ihm lange Zeit anhaftenden Muff von vor Testosteron strotzenden Bodybuildern in der Freihantel-Ecke der Muckibude. Und das ist gut so, denn jedermann und jederfrau sollte zum eigenen Wohle regelmäßig die Muskeln spielen lassen.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Frontera WR, Bigard X. The benefits of strength training in the elderly. Science & Sports. 2002; 17: 109-116. doi:10.1016/S0765-1597(02)00135-1

  2. Granacher U, Kriemler S, Gollhofer A, Zahner L. Neuromuskuläre Auswirkungen von Krafttraining im Kindes- und Jugendalter: Hinweise für die Trainingspraxis. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. 2009; 60: 41-49.

  3. Pedersen BK, Febbraio MA. Muscles, exercise and obesity: skeletal muscle as a secretary organ. Nat Rev Endocrinol. 2012; 8: 457-465. doi:10.1038/nrendo.2012.49

  4. Ruiz JR, Sui X, Lobelo F, Morrow JR Jr, Jackson AW, Sjöström M, Blair SN. Association between muscular strength and mortality in men: prospective cohort study. BMJ. 2008; 337: a439. 10.1136/bmj.a439

  5. Yates T, Zaccardi F, Dhalwani NN, Davies MJ, Bakrania K, Celis-Morales CA, Gill JMR, Franks PW, Khunti K. Association of walking pace and handgrip strength with all-cause, cardiovascular, and cancer mortality: a UK Biobank observational study. Eur Heart J. 2017; 38: 3232-3240. doi:10.1093/eurheartj/ehx449