Was läuft falsch im Anti-Doping?
In Deutschland sind viele stolz auf das Anti-Dopinggesetz und unser nationales Kontrollsystem. Gleichzeitig fragen sich vor allem unsere Athleten, ob der internationale Wettkampf fair und dopingfrei ist. Für Zweifel gibt es gute Gründe: Im letzten Jahr zeigte der Bericht der unabhängigen Kommission der WADA, dass in der IAAF auf Basis von Bestechung jahrelang positive Dopingbefunde verfälscht bzw. unterdrückt wurden.
Auf dieses kriminelle Netzwerk von Präsident und Amtsträgern innerhalb eines Sportverbandes setzte der McLaren Report dann noch einen drauf, indem er systematische Verletzungen von Regeln im russischen Anti-Dopinglabor mit staatlicher Beteiligung nachwies, insbesondere den Austausch von positiven gegen negative Resultate und die Manipulation von Proben. Der Report gipfelt darin, dass während der Olympischen Winterspiele in Sotchi unter den Augen der WADA offenkundig Proben ausgetauscht und manipuliert wurden.
Wenn nun in Russland offensichtlich kein vertrauenswürdiges Anti-Dopingsystem etabliert ist, sollte es dann nicht sehr einfach sein, russische Sportler von den Olympischen Spielen auszuschließen – ohne Vertrauen, keine Teilnahme? Wieso mussten eigentlich Journalisten diese Skandale aufdecken? Wäre nicht mehr Misstrauen und Kontrolle von Seiten der WADA wichtig gewesen, statt Vertrauen und Nachsicht?
Zahlreiche Staaten, wie zum Beispiel Kenia, waren zwar vor den Olympischen Spielen von der WADA als nicht „compliant“ erklärt worden, das hatte jedoch keine ersichtlichen Auswirkungen. Dann wurde das kenianische Anti-Dopinggesetz einen Monat vor den Spielen verabschiedet und schon war Kenia „compliant“. Ist das dann ein funktionsfähiges Anti-Dopingsystem und ist die WADA-Übersetzung von „compliant“ ein „hoffentlich kein Doping“? Zahlreiche Leichtathletik-Medaillen wurden von Sportlern gewonnen, in deren Staaten augenscheinlich kein zuverlässiges Anti-Dopingsystem besteht, was nach zehn Jahren WADA mehr Konsequenz gefordert hätte.
Seit dem Bestehen der WADA verweigern bedeutende Sportnationen wie USA und Neuseeland aus „Datenschutzgründen“, die Testresultate von ihren nationalen Anti-Dopingorganisationen in das ADAMS-System der WADA einzustellen. Damit können die internationalen Sportfachverbände auf die „adverse analytical findings“ (AAF, auffällige Befunde der Labore) nicht zugreifen, beziehungsweise erst dann, wenn ein Verfahren national mit einem Schuldspruch abgeschlossen wurde (positive Fälle).
Damit ist nicht bekannt, welche AAF zu einer Anti-Doping Rules Violation führten. Auch die Zahlen der durchgeführten Anti-Dopingkontrollen variieren zwischen den Ländern sehr, insbesondere was die wichtigen „out-of-competition“-Kontrollen angeht. Manchmal werden solche Kontrollen direkt am Tag vor einem Wettkampf durchführt. Das verringert die Chance auf einen positiven Befund deutlich. Auch 2016 gab es bei einigen Olympiasiegern keine internationale „out-of-competition“-Kontrollen im Vorbereitungsjahr.
Die Qualität der Anti-Doping-Labore ist offenkundig unterschiedlich. Die WADA hat zwar ein sehr gutes System von Ringversuchen und Qualitätskontrollen aufgebaut, dennoch werden immer wieder Zweifel an der analytischen Qualität laut. An einem wirkungsvollen System der Anti-Dopingkontrollen und der internationalen Zusammenarbeit führt kein Weg vorbei. Die Sportorganisationen haben allerdings durchaus Recht, dass sich das gesamte Anti-Doping-System erheblich ändern müsste und Reformbedarf besteht:
1. Zu viele Kontrollen für nicht-dopende Sportler
Wenn letztendlich mit tausendenden Kontrollen nur 1,5-2% positive Sportler entdeckt werden, unterhalten wir ein wirksames System zum Nachweis von nicht-dopenden Sportlern, verwenden aber zu wenig Energie auf die Entdeckung von dopenden Sportlern. Die Erhöhung der Zahl von Dopingkontrollen führt in diesem System zwangsläufig nur zu höheren Ausgaben, nicht aber zur besseren Aufdeckung von etwaigen Dunkelziffern. Das neue Kriminaldepartment der WADA mit dem deutschen Kriminalisten Günther Younger ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, weil kriminelle Dopingnetzwerke nur mit kriminalistischen Ermittlungsmethoden und Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden aufgedeckt werden können.
2. Nationale Kontrollen sind oft zweifelhaft
Es fehlen internationale Kontrollen durch WADA und Sportverbände mit Konzentration auf die weltbesten Sportler und Mannschaften. Besonderheiten und Leistungsschwankungen müssen beobachtet werden, um gezielte Kontrollen durchzuführen. Kontrollen der internationalen Verbände dürfen nicht an die nationalen Organe der jeweiligen Sportler/-innen delegiert werden. Nationale Kontrollsysteme müssen international überwacht und die Ergebnisse zeitnah publiziert werden.
3. Schutz des sauberen Athleten
Sportler beginnen ihren Leistungssport nicht mit der Absicht zu dopen, sondern im Laufe ihrer Karriere werden sie dazu verleitet, solche verbotenen Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen verstehen, welche Mechanismen Sportler bei ihren Entscheidungen gegen Doping unterstützen. Wir müssen ebenso verstehen, wie kriminelle Netzwerke Sportler missbrauchen, um Profite zu schlagen. Dopinghändler sind nicht an der sportlichen Leistung ihrer Kunden interessiert, sondern allein am Profit.