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Trainingswissenschaft – Integrativ & Experimentell

Prof. Billy Sperlich, Leiter der Integrativen und Experimentellen Trainingswissenschaft an der Universität Würzburg, geht in seinem Editorial für die Ausgabe #2/2016 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin auf die Herausforderungen an die Trainingswissenschaft ein, die diese qualitativ weiterentwickeln könnten.

Trainingswissenschaft –  Integrativ & Experimentell
© Gorodenkoff / Adobe Stock

Im Ausblick auf ihre „Vision Olympia“ 2016 erläutert die derzeitig beste deutsche Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause im Interview ihre Strategie: „Bei dem sportlichen Entwicklungsprozess muss man immer wieder hinterfragen: Was könnte ich noch optimieren, was sollte ich verändern oder wo habe ich geschludert?“ (5). Zur Optimierung von Trainings- und Erholungsprozessen und Vermeidung von Überlastung unterstützt die trainingswissenschaftliche und sportmedizinische Forschung mit einfachen aber auch mit zunehmend komplexeren Verfahren Informationen über Leistungsentwicklung und Gesundheit an die Athleten weiterzugeben.

Moderne molekulare Untersuchungsverfahren erlauben Anpassungsprozesse individuell zu bestimmen. Anfang der 1990er Jahre wurde erstmals die sogenannte microRNA (Ribonukleinsäure) beschrieben, die wichtige Funktionen im Orchester der Genregulation einnimmt und so zum Verständnis von spezifischen Anpassungsvorgängen, z.B. über die Proteinbiosynthese nach Kraft- und Ausdauertraining beiträgt (10). Die microRNA-Forschung stellt innerhalb der molekularen Biologie ein recht junges Untersuchungsgebiet dar. Der Übersichtsartikel von Meurer et al. „MicroRNAs and Exercise“ fasst die aktuellen Erkenntnisse der microRNA-Forschung hinsichtlich verschiedener Anpassungsreize zusammen (4).

Molekulare Untersuchungen sind teuer und zeitaufwendig, weshalb diese Art der Diagnostik zur unmittelbaren Ableitung von Trainingskonsequenzen (noch) unbrauchbar ist. Für die Trainingspraxis sind simple mit wenig Zeitaufwand verbundene Diagnostika mit hoher Aussagekraft wünschenswert. In der Ausgabe 2/2016 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin wird ein (einfaches) Testverfahren zur Erfassung der Verletzungsrisikoprognostik im Fußball untersucht. Der Beitrag von Schroeder et al. ebenda befasst sich im Speziellen mit dem „Functional Movement Screen for Injury Prediction in Male Amateur Football“ (8). Diese Form des Screenings wurde Mitte der 1990er Jahre mit dem Ziel entwickelt, anhand standardisierter Einzeltests wichtiger konditioneller Grundfähigkeiten, das Verletzungsrisiko in Teamsportarten zu minimieren. Anhand der vorliegenden Studie wird ein Zusammenhang zwischen dem FMS-Test und einem erhöhten Verletzungsrisiko nicht angenommen.

Erholungsstrategien sind ein wichtiger Faktor zur Optimierung von Anpassungsvorgängen und werden derzeit in mehreren Projekten in Deutschland intensiv erforscht (z. B. (6)). Dabei ist die Schlafqualität vor allem durch den Trainingsreiz aber auch durch andere externe und interne Faktoren beeinflusst. Die Schlafqualität und -quantität, insbesondere nach langen Flugreisen, haben direkten Einfluss auf die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit sowie die Gesundheit einer Person. Kölling et al. fassen in ihrem Übersichtsartikel die allgemeinen Aspekte hinsichtlich Schlaf und Sport zusammen (3).

Trainingswissenschaftliche Forschungsthemen reichen von der Erforschung immer kleinerer (molekularer) Strukturen bis hin zur Untersuchung der Verbreitung, Mechanismen und Konsequenzen von gesundheitsbezogenen Zuständen in unterschiedlichen Gruppen. Alle Themen integrieren zahlreiche Fachbereiche und basieren auf experimentell überprüften Daten. An dieser Stelle möchte ich auf Entwicklungen bzw. Themen in der Trainingswissenschaft aufmerksam machen, die aus meiner Sicht die Trainingswissenschaft in den kommenden Jahren qualitativ weiterentwickeln bzw. prägen werden:

Bild Billy Sperlich
Prof. Dr. Billy Sperlich, Leiter des Arbeitsbereichs Integrative und Experimentelle Trainingswissenschaft, Universität Würzburg © Sperlich
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