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Fortsetzung Trainingswissenschaft – Integrativ & Experimentell

Transfer komplexen wissenschaftlichen Wissens in die Sportpraxis

Der (trainings-)wissenschaftliche Nachwuchs ist entsprechend neueren Qualifizierungsrichtlinien gezwungen, nach wissenschaftlichen Kriterien und in entsprechenden (meist englischsprachigen) Fachzeitschriften zu publizieren. Trainer und Athleten hingegen (häufig auch Studierende) kennen sich im Wissenschaftsjargon nicht aus, sind u. U. der englischen Fachsprache nicht mächtig oder aber publizierte Arbeiten sind schlichtweg nicht öffentlich zugänglich. Der verständliche Transfer von wissenschaftsbasierten und relevanten Erkenntnissen in die Praxis bei zunehmender Datenfülle und komplexen Fragestellungen wird immer wichtiger werden. So ergibt bspw. die Suche nach „High-Intensity Interval Training“ in der Datenbank PubMed mittlerweile über 1000 Treffer, eine Datenfülle die zunehmend „unbeherrschbar“ erscheint. Formate zum schnellen Wissenstransfer wie z.B. MOOC („Massive Open Online Courses“ (1)), e-Konferenzen, open-access Veröffentlichungen bzw. die Aufgaben von Wissenschaftskoordinatoren werden zunehmen.

Stärkung evidenzbasierter Kriterien in der Trainingswissenschaft

In der Medizin werden Therapiemaßnahmen anhand der zur Verfügung stehenden Wissensquellen qualitativ analysiert, klassifiziert und dann entsprechend empfohlen (7). Ein Vorgang, den ich in der Trainingswissenschaft vermisse. Es bedarf mehr qualitativ gut geplanter, randomisierter, kontrollierter und vor allem sportartspezifischer Studien zur Beurteilung unterschiedlicher Trainingsmaßnahmen innerhalb der jeweiligen Sportarten (z. B. Höhentraining, Erholungsstrategien, etc.). Dies würde zu weniger Diskussionen und Unsicherheit über Trainingsmaßnahmen unter Trainer und Athleten führen. Meta-analytische Verfahren nehmen im trainingswissenschaftlichen Kontext zu und sind Grundlagen evidenzbasierter Trainingsempfehlungen. Ein Trend der, sofern methodisch korrekt durchgeführt und sportartspezifisch relevant, zu begrüßen ist.

Stärkere Anwendung von Einzelfallanalysen

Etwas im Kontrast zum Appell von evidenzbasierten Studien scheint die Forderung nach Einzelfallanalysen. In der (Sport-)Medizin sind Einzelfallanalysen zur Beschreibung von Krankheitsverläufen hilfreich und stellen wertvolle Beobachtungen typischer oder atypischer Krankheitsverläufe im Spiegel aktuellen Wissens dar. Gerade im leistungssportlichen Kontext verhalten sich Personen mit herausragenden mentalen und körperlichen Voraussetzungen anders als der „Durchschnitt“ und daher erscheint es nur logisch, dass Kasuistiken vermehrt in den trainingswissenschaftlichen Fokus gestellt werden sollten. Eine Öffnung der gestandenen Fachzeitschriften gegenüber Einzelfallanalysen (vor allem im leistungssportlichen Kontext und mit entsprechenden Regeln) wäre zur Stimulation
neuer Forschungsimpulse (2) sowie für Leistungssportler.

Erfassung von Biodaten mittels Wearables und Point-of-Care Diagnostik

Das American College of Sports Medicine hat für 2016 sogenannte „Wearables“ zum Fitnesstrend Nr. 1 erkoren (9). Ähnlich wie bei telemedizinischen Konzepten können miniaturisierte Computer, die am Körper getragen werden, mittlerweile verschiedene Biodaten aufnehmen und mit entsprechender Software wertvolle Unterstützung im Belastungs- und Erholungsmonitoring sein – vergleichbar mit der ersten telemetrischen Herzfrequenzmessung vor gut 30 Jahren.

Ein ähnlicher Trend ist im Bereich der athletennahen Labordiagnostik, sogenannter Point-of-Care Diagnostik (auch POCT genannt) zu verzeichnen. Mit einfachen handhabbaren Geräten, können mit minimalinvasivem Aufwand wichtige Parameter für Leistungs- und Erholungssteuerung erhoben werden, ohne komplizierte, teure und aufwendige Laboranalysen. Beide Technologietrends, Wearables und POCT, sind in der Trainingswissenschaft zukunftsweisend, sofern Messgenauigkeit, professionelle Interpretation und Datenschutz vorliegen.

Die Kunst zukünftiger Untersuchungen wird allerdings darin bestehen aus der Datenfülle (Big-Data) mit geeigneten Analyseverfahren ernstzunehmende Erkenntnisse für die Trainingspraxis abzuleiten. Die Interpretation wird sicher nur so gut sein wie der Algorithmus der Analysesoftware und wird in keinem Fall den fachkundigen Trainingswissenschaftler ersetzen können.

Ob die hier genannten Ausblicke und Forderungen tatsächlich eintreffen wird sich zeigen. Es wird wegweisend sein, integrativ mit anderen (neuen) Wissenschaftsgebieten Forschungsansätze zu verfolgen, Methoden und Verfahren experimentell zu überprüfen, diese in die Trainingspraxis zu integrieren und das Wissen verständlich an die breite Sportpraxis weiterzugeben. Nur so wird die Trainingswissenschaft (weiterhin) eine gestandene Wissenschaftsdisziplin innerhalb der Sportwissenschaft und (Sport-)Medizin bleiben.

■ Sperlich B

Quellen:

  1. CHAN TM, THOMA B, LIN M. Creating, curating, and sharing online.Faculty development resources: the medical education in cases. Series experience. Acad Med. Jun 2015; 90: 785-789. doi:10.1097/ACM.0000000000000692

  2. FLYVBJERG B. Five misunderstandings about case-study. Research. Qualitative inquiry. 2006; 12: 219-245. doi:10.1177/1077800405284363

  3. KÖLLING S, FERRAUTI A, PFEIFFER M, MEYER T, KELLMANN M. Sleep in Sports: A Short Summary of Alterations in Sleep/Wake Patterns and the Effects of Sleep Loss and Jet-Lag. Dtsch Z Sportmed. 2016; 67: 35-38. doi:10.5960/dzsm.2016.215

  4. MEURER S, KRÜGER K, MOOREN FC. MicroRNAs and Exercise. Dtsch Z Sportmed. 2016; 67: 27-34. doi:10.5960/dzsm.2015.205

  5. PFAFF E. „Mein Heimtrainer hat seine eigene Philosophie“. Interview mit Gesa Krause, Leichtathletin 3000-Meter-Hindernis. Leistungssport. 2016; 46: 54-55.

  6. REGMAN. https://regman.org/. Accessed 15.01.2016.

  7. SACKETT DL, ROSENBERG WM, GRAY JA, HAYNES RB, RICHARDSON WS. Evidence based medicine: what it is and what it isn‘t. 1996. Clin Orthop Relat Res. Feb 2007; 455: 3-5.

  8. SCHROEDER J, WELLMANN K, STEIN D, BRAUMANN KM. The Functional Movement Screen for Injury Prediction in Male Amateur Football. Dtsch Z Sportmed. 2016; 67: 39-43. doi: 10.5960/dzsm.2015.200

  9. THOMPSON WR. Worldwide survey of fitness trends for 2016: 10th Anniversary Edition. ACSM‘s Health & Fitness Journal. 2015; 19: 9-18.

  10. YATES LA, NORBURY CJ, GILBERT RJ. The long and short of microRNA. Cell. 2013; 153: 516-519. doi: 10.1016/j.cell.2013.04.003