Sportverletzungen – Pech oder prognostizierbar?
Die Bedeutung von körperlicher Aktivität für die Vorbeugung von Krankheiten und die Gesunderhaltung des Körpers geht, das weiß man heute, weit über die reine Beeinflussung von Muskulatur und Herz-Kreislauf-System hinaus. Das erkennt auch der Gesetzgeber an – und hat Bewegung als wichtige Maßnahme ins Präventionsgesetz aufgenommen, das 2015 in Kraft getreten ist. Die Krankenkassen setzen ebenfalls vermehrt auf Vorbeugung statt auf Reparatur: Immer mehr Versicherer übernehmen nicht nur Kosten für zertifizierte Sport- und Präventionsprogramme, sondern auch für eine sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung, was die DGSP sehr begrüßt.
Auch der Arzt ist für die Förderung von Bewegung als Präventivmaßnahme ein wichtiger Player. »Leider sind die Möglichkeiten bislang nicht optimal. Zwar gibt es das ‚Rezept für Bewegung‘, mit dem ein Arzt spezielle Bewegungsformen, -umfänge und -intensitäten verordnen kann, doch leider kann dies bislang nicht als Einzelleistung abgerechnet werden«, betont Prof. Dr. Rüdiger Reer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e. V. (DGSP).
Dass Bewegung und Sport in der Prävention von Krankheiten und Verletzungen eine immense Bedeutung hat, wird also gemeinhin anerkannt. Wie und in welcher Form dieses Medium am besten eingesetzt wird, ist weiterhin Gegenstand der Forschung. Kampagnen wie »Exercise is Medicine« des American College of Sports Medicine und »Exercise Prescription for Health« der European
Federation of Sports Medicine Associations möchten die präventive Verordnung von Bewegung stärker in den Fokus rücken. In unserem Gesundheitssystem ist eine Diagnose der standardmäßige Einstieg in einen Arztkontakt. Das Fehlen einer Diagnose sollte aber kein Problem darstellen, sondern vielmehr erwünscht sein!
Die »Nachteile« der Prävention
Trotz zahlreicher Erkenntnisse zur Wirksamkeit und den positiven Aspekten von Bewegung als präventiver Maßnahme kann es aber auch Nachteile geben. In den meisten Fällen ist es allerdings eher so, dass durch eine Maßnahme schlicht keine Vorteile bestehen. Dieser Widerspruch wird als Präventionsparadox bezeichnet. Es wurde Anfang der 1980er-Jahre von dem Epidemiologen Geoffrey Rose (3) am Beispiel der Koronaren Herzkrankheit beschrieben, trifft aber auch auf andere Krankheiten zu.
Das Präventionsparadox, wenngleich kein Paradoxon im engen Sinne der Definition, beschreibt ein grundlegendes Dilemma der Prävention auf Ebene der Population und der Risikogruppen: Eine präventive Maßnahme, die einer großen Population, der Bevölkerung oder großen Gemeinschaften einen hohen Nutzen bringt, hat für den Einzelnen oft nur wenig konkreten Effekt. Umgekehrt profitiert bei einer kleinen Gruppe mit hohem Risiko jedes Individuum stark von einer spezifischen Maßnahme, doch durch die geringe Anzahl der Betroffenen ist der Effekt für die Gesamtpopulation gering.
Das Präventionsparadox gilt für alle medizinischen Interventionen und Zielsetzungen, die auf Risikofaktoren basieren. Zu nennen sind etwa Ernährungs- oder Lebensstilinterventionen sowie medikamentöse Maßnahmen zur Senkung von Cholesterinwert, Blutdruck oder Blutzuckerspiegel, Screenings auf Diabetes, unentdeckte Hypertonie oder auch bei der Koloskopie zur Darmkrebsprophylaxe. Ebenso gilt es im Breiten- und Leistungssport immer dann, wenn Risikofaktoren für Verletzungen bestehen.