Sauerstoff und Leistung

Editorial von Prof. Dr. Walter Schmidt und Prof. Dr. Dieter Böning aus der Ausgabe #5/2019 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Der Beitrag beleuchtet die verschiedenen Erkenntnisse über Anpassungsmechanismen an akute Belastung, Training und unterschiedliche Umwelteinwirkungen und deren Effekt auf neue Trainingsmethoden.

Sauerstoff und Leistung
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Neben der Prävention und Rehabilitation liegt der Leistungssport im Fokus der Sportmedizinischen Forschung. Erkenntnisse über Anpassungsmechanismen an akute Belastung, Training und unterschiedliche Umwelteinwirkungen werden häufig zur Entwicklung neuer Trainingsmethoden genutzt. Dabei müssen ethische Grundsätze eingehalten werden, um den oft schmalen Grad zur Manipulation nicht zu überschreiten.

Seit den Olympischen Spielen in Mexico City ist allgemein bekannt, dass die Sauerstoffverfügbarkeit die Ausdauerleistung bestimmt, aber auch zu weitreichenden Anpassungserscheinungen führen kann. Dies ist offensichtlich bei Aufenthalten in größeren Höhen, die bei verminderter Leistung zu akuten Veränderungen der Organfunktion führen und mittelfristig Akklimatisationsvorgänge hervorrufen. Wenn Volksgruppen langfristig, das heißt zum Teil über Tausende von Jahren, in der Höhe leben, wie es in Ostafrika, dem Himalaya und den Anden Südamerikas der Fall ist, finden neben den Akklimatisationsvorgängen auch Adaptionen mit genetischen Veränderungen statt. Deren Richtung und Ausmaß ist in den drei oben genannten Populationen sehr unterschiedlich ausgeprägt und wahrscheinlich von der Dauer des Aufenthalts (zwischen 10 000 und maximal 200 000 Jahren) geprägt (z. B. (1)).

In dem einleitenden Beitrag von Böning werden für die drei Höhengruppen systematisch alle Abschnitte des Sauerstofftransports im Körper analysiert und ihre Bedeutung für die Leistungsfähigkeit herausgestellt. Die „typische“ Erhöhung der Hämoglobinkonzentration bei kurzem Aufenthalt in der Höhe und bei Andenbewohnern fehlt bei Tibetern und einem Teil der Äthiopier bis zu 4000 m Höhe. Sie kompensieren dies durch Mehratmung und Mehrdurchblutung, wobei Stichstoffmonoxid eine wichtige Rolle spielt. Auch eine Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve wie bei Höhentieren (Vögel, Lamas) wurde beobachtet. Überraschenderweise scheint jedoch die Herkunft aus der Höhe kein allein entscheidender Faktor für die exzellente Leistungsfähigkeit der ostafrikanischen Läufer zu sein. Günstige anthropometrische Voraussetzungen und regelmäßiges Ausdauertraining schon ab dem ersten Schuljahr spielen eine wichtige Rolle.

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Prof. Dr. Dieter Böning, Beisitzer Verein zur Förderung der Sportmedizin (VFSM) e.V. © Böning
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Seit ca. 50 Jahren versuchen Athleten aus dem Flachland, ihre Ausdauerleistung durch Höhentraining zu verbessern. Das ursprünglich angewandte Konzept „live high – train high“ wurde zunehmend modifiziert, indem das Leben in Hypoxie mit Trainingseinheiten unter Normoxie oder auch umgekehrt das Leben unter Normoxie mit hypoxischen Trainingseinheiten kombiniert wurde (7). Mittlerweile wird das Hypoxietraining nicht allein zur Verbesserung der Sauerstofftransportkapazität infolge einer Erhöhung der Erythropoieserate genutzt, sondern weitere zelluläre Anpassungen an den hypoxischen Reiz sollen auch die Leistung im Kraft- und Schnellkraft-Bereich verbessern. Seit ca. 6 Jahren wird in diesem Kontext das Konzept „repeated sprint training in hypoxia“ propagiert, dass u.a. auch dem Mannschaftssportler leistungssteigernde Effekte in Form verbesserter Sprintleistungen im Wettkampf bringen soll. In dem Beitrag vom Millet et al. aus Lausanne wird ein Überblick über den aktuellen Stand dieser Methode gegeben.

Ein Nachteil des Trainings unter Hypoxie ist die Reduktion der absoluten Trainingsintensität. Dies ist der Hintergrund, der zum Konzept des Trainings unter Hyperoxie führte. Die hierbei höhere Intensität und das höhere Trainingsvolumen könnten die muskulären Anpassungen noch effektiver gestalten. Die zugegebenermaßen noch recht spärlich vorliegenden Ergebnisse werden von Zinner und Sperlich einer Meta-Analyse unterzogen. Nach einem mehrwöchigen Hyperoxietraining können statistisch nachweisbare Leistungsverbesserungen unter normoxischen Testbedingungen aufgezeigt werden. Es scheint also so, dass dem Athleten eine weite Palette von Aufenthalts- und Trainingsmethoden in Umgebungen mit unterschiedlichsten Sauerstoffgehalten zur Verfügung steht, um eine Leistungsverbesserung zu erzielen. Welche Trainingsmethode am effektivsten ist und ob es individuelle Präferenzen gibt, kann noch nicht ausreichend konstatiert werden.

Wenn Leistungsverbesserungen durch die Veränderung der Umweltbedingungen erreicht werden können, besteht die Gefahr, dass die auf zellulärer und molekularer Ebene erfolgenden Regulationsmechanismen durch pharmakologische Substanzen imitiert werden. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Erythropoietin, das bei mangelnder Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff verstärkt endogen gebildet wird, aber auch als Dopingmittel missbraucht wird. Bevor Erythropoietin als Medikament verfügbar war, wurden anämische Zustände über mehr als drei Jahrzehnte mittels oraler Gaben von ionisiertem Kobalt behandelt, was allerdings mit schwersten Nebenwirkungen verbunden war (4).

Ähnlich wie unter hypoxischen Bedingungen stabilisiert Kobalt den Hypoxie-induzierbaren Faktor α (HIFα), was zu erhöhter endogener Produktion von Erythropoietin führt. Da die World Antidoping-Agency (WADA) vermutet, dass Kobalt aus diesem Grund zu Dopingzwecken missbraucht wird, wurde es im Jahr 2015 auf die Liste der verbotenen Substanzen gesetzt. Zurzeit ist Kobalt in vielen Nahrungsergänzungsmitteln, die als „Performance Booster“ angepriesen werden, enthalten, wobei es oft gar nicht oder auch falsch deklariert wird (10). In der vierten hier vorgestellten Arbeit beschreiben Schmidt et al. die erythropoietische Wirkung von gering dosiertem Kobalt und die Möglichkeit, einen Missbrauch zu detektieren. Ihre Forderung an die WADA ist, umgehend Grenzwerte für Kobalt im Urin und evtl. Blut festzulegen und systematische Tests durchzuführen.

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Prof. Walter Schmidt, Leiter der Abteilung Sportmedizin/Sportphysiologie an der Universität Bayreuth © Schmidt
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Der durch ein Höhentraining oder auch eine Blutmanipulation zumeist angestrebte Effekt ist eine Erhöhung der Erythrozytenmenge und damit eine Optimierung der Sauerstofftransportkapazität. Bis vor ca. 30 Jahren war jedoch eine Quantifizierung des Erythrozytenvolumens oder der Hämoglobinmasse schwierig möglich, da hierzu allein Detektionsmethoden mit radioaktiven Markern zur Verfügung standen. Im Jahre 1991 wurde die schon 1899 beschriebene CO-Rückatmungsmethode, nachdem eine Mikromethode zur Messung von Carboxy-Hämoglobin im Blut entwickelt worden war, erstmals wieder angewandt (11) und in den Folgejahren u.a. von unserer Forschungsgruppe weiter optimiert (3, 6, 9). Erste Höhenstudien, bei denen diese Methode verwandt wurde, wurden 1997 von Böning et al. (2) und 1998 von Gore et al. (5) publiziert. In der Zwischenzeit ist die Methode in der Sportmedizin und Sportphysiologie etabliert und es konnte umfangreiches Datenmaterial zur Auswirkung von Höhen- und Hypoxietraining auf die Blutbildung gesammelt werden.

Sehr wichtig ist die Messung der Hämoglobinmasse auch in der Klinik. Häufig kann eine Anämie, die z. B. oft im Intensivbereich, bei Herzinsuffizienz und bei Lebererkrankungen zu beobachten ist, nicht durch die Messung von Hämoglobinkonzentration und Hämatokritwert von einer Pseudo- oder Verdünnungsanämie unterschieden werden. Auch während und nach operativen Eingriffen sind beide Größen in ihrer Aussage limitiert. Bei einer Reihe von Erkrankungen zeigen aktuelle Studien u. a. von Otto et al. (8), dass die Bestimmung des Erythrozytenvolumens und der Hämoglobinmasse eine Pseudoanämie von einer echten Anämie unterscheiden und zu einer modifizierten Therapie führen kann. Es ist daher durchaus zu erwarten, dass eine weitere Messmethode, die zuerst in der Sportmedizin angewandt wurde, auch in der klinischen Medizin zum Einsatz kommt.

■ Schmidt W, Böning D

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Quellen:

  1. Beall CA. Detecting natural selection in high-altitude human populations. Respir Physiol Neurobiol. 2007; 158: 161-171. doi:10.1016/j.resp.2007.05.013

  2. Böning D, Maassen N, Jochum F, Steinacker J , Haider A, Thomas A, Schmidt W, Noé G, Kubanek B. After-effects of a high altitude expedition on blood. Int J Sports Med. 1997; 18: 179-185. doi:10.1055/s-2007-972616

  3. Burge CM, Skinner SL. Determination of hemoglobin mass and blood volume with CO: evaluation and application of a method. J Appl Physiol. 1995; 79: 623-631. doi:10.1152/jappl.1995.79.2.623

  4. Ebert B, Jelkmann W. Intolerability of cobalt salt as erythropoietic agent. Drug Test Anal. 2014; 6: 185-189. doi:10.1002/dta.1528

  5. Gore CJ, Craig N, Hahn A, Rice A, Bourdon P, Lawrence S, Walsh C, Stanef T, Barnes P, Parisotto R, Martin D, Pyne D. Altitude training at 2690m does not increase total haemoglobin mass or sea level VO2max in world champion track cyclists. J Sci Med Sport. 1998; 1: 156-170. doi:10.1016/S1440-2440(98)80011-X

  6. Hütler M, Beneke R, Böning D. Determination of circulating hemoglobin mass and related quantities by using capillary blood. Med Sci Sports Exerc. 2000; 32: 1024-1027. doi:10.1097/00005768-200005000-00022

  7. Millet GP, Roels B, Schmitt L, Woorons X, Richalet JP. Combining hypoxic methods for peak performance. Sports Med. 2010; 40: 1-25. doi:10.2165/11317920-000000000-00000

  8. Otto JM, Plumb JOM, Clissold E, Kumar SB, Wakeham DJ, Schmidt W, Grocott MPW, Richards T, Montgomery HE. Hemoglobin concentration, total hemoglobin mass and plasma volume in patients: implications for anemia. Haematologica. 2017; 102: 1477-1485. doi:10.3324/haematol.2017.169680

  9. Schmidt W, Prommer N. The optimised CO-rebreathing method: a new tool to determine total haemoglobin mass routinely. Eur J Appl Physiol. 2005; 95: 486-495. doi:10.1007/s00421-005-0050-3

  10. Thevis M, Krug O, Piper T, Geyer H, Schänzer W. Solutions advertised as erythropoiesis-stimulating products were found to contain undeclared cobalt and nickel species. Int J Sports Med. 2016; 37: 82-84. doi:10.1055/s-0035-1569350

  11. Thomsen JK, Fogh-Andersen N, Bülow K, Devantier A. Blood and plasma volumes determined by carbon monoxide gas, 99mTc-labelled erythrocytes, 125 I-albumin and the T 1824 technique. Scand J Clin Lab Invest. 1991; 51: 185-190. doi:10.1080/00365519109091106