Abnehmen durch Sport? Darum klappt es häufig nicht

Abnehmen durch Sport? Darum klappt es häufig nicht
© sam richter m/ Adobe Stock

Die Rechnung scheint einfach: Wer abnehmen möchte, muss weniger Energie aufnehmen, als verbraucht wird. Körperliche Aktivität, insbesondere in Form von Sport, erhöht den Energieverbrauch und gilt daher als wichtiger Baustein, um eine Gewichts­reduktion zu erreichen. Die Leitlinie zur Adipositas-Behandlung benennt Sport klar als Teil des Therapiekonzepts (2). Doch in der Praxis zeigt sich häufig, dass die tatsächliche Gewichtsreduktion teils deutlich hinter der errechneten zurückbleibt und trotz Sport keine oder nur eine geringe Gewichtsabnahme zu beobachten ist. Sogar Gewichtszunahme wird beobachtet. Wie passt das zusammen?

Realität oder Mythos?

Die Annahmen, die hinter dem Konzept »Abnnehmen durch Sport« stehen, klingen logisch:

• Durch erhöhten Energieverbrauch erreicht man das notwendige Energiedefizit leichter.
• Zunehmende Muskelmasse und Nachbrenneffekte erhöhen den Grundumsatz.
• Körperfett wird besonders effektiv durch lange aerobe Belastungen mit niedriger Intensität abgebaut.

Wahr ist, dass es zum Abnehmen ein Energiedefizit braucht – für ein Kilogramm Fettgewebe etwa minus 7000 kcal. Damit ein Erfolg von 0,5 kg pro Woche auf der Waage sichtbar wird, bedeutet das ein tägliches Defizit von 500 kcal. Das klingt machbar. Doch wieviel Sport muss man treiben, um diese Menge an Kalorien zu verbrennen? Der Energieverbrauch bei einer Aktivität wird zur besseren Vergleichbarkeit und um das Gewicht einer Person mit einzubeziehen, in Form metabolischer Äquivalente (MET) angegeben.

• 1 MET: Sauerstoffverbrauch bei Inaktivität
• 1,1–1,5 MET: Sitzende Aktivität
• 1,6–2,9 MET: Leichte Intensität
• 3,0–5,9 MET: Moderat-intensiv
• ≥ 6 MET: Höher intensiv bis hochintensiv

Ainsworth et al. (1) haben in einem Kompendium die MET-Werte für verschiedenste Aktivitäten zusammengetragen (Tab. 1): Um 500 kcal zu verbrennen, müsste also eine 70 kg schwere Person beispielsweise 40 Minuten mit 23 km/h Rad fahren, eine 90 kg schwere Person 31 und eine 120 kg schwere Person 24 Minuten. Besonders für Personen mit hohem Gewicht und/oder geringer Sporterfahrung ist es aber in der Praxis häufig schwierig, hohe Intensitäten über längere Zeit zu erreichen und durchzuhalten. Übergewichtige Personen mit geringer kardiovaskulärer Fitness oder Gelenkbeschwerden sind zudem eingeschränkt in der Wahl der durchführbaren Sportarten. In Frage kommen vor allem Aktivitäten mit geringem Impact und geringer Intensität. Das bedeutet, dass diese Aktivitäten dafür länger durchgeführt werden müssen, um denselben Energieverbrauch zu erzielen.

Abnehmen durch Sport: Notwendige Sportdauer für Personen unterschiedlichen Gewichts, um 500 kcal zu verbrennen.
Tabelle 1: Notwendige Sportdauer für Personen unterschiedlichen Gewichts, um 500 kcal zu verbrennen. © DZSM 2024

Für Personen mit einem Gewicht von 70 kg, die nur einige Kilo reduzieren möchten, zeigt Tabelle 1, dass sie ungleich länger aktiv sein müssen, um mit moderater oder geringer Intensität ein Energiedefizit von 500 kcal/Tag allein über Sport zu erreichen. »Selbst für Leistungssportler ist es häufig eine Herausforderung, noch zwei bis drei Kilo zu verlieren, weil über den Sport keine zusätzliche Steigerung des Energieverbrauchs mehr möglich ist, ohne ein Übertraining zu riskieren«, erklärt Dr. Claudia Osterkamp-Baerens, Professorin für Ernährungswissenschaft und Sporternährung an der Technischen Hochschule Deggendorf, aus ihrer Beratungserfahrung. Auch Prof. Dr. Dr. Christoph Raschka, als Facharzt für Allgemeinmedizin in eigener Praxis und am Lehrstuhl für Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg tätig, bestätigt: »Sport-Novizen nehmen erfahrungsgemäß erstmal mit Sport gut ab. Patienten, die bereits sportlich aktiv sind, müssen ihren Aufwand hingegen extrem erhöhen, um darüber Gewicht zu verlieren.«

Die Auswertung zahlreicher Studien bestätigt, dass die Evidenz für das Konzept „Abnehmen durch Sport“ allein gering und eine Kombination mit Kalorienreduktion sowie eventuell anderen Lebensstilinterventionen zielführender ist.

Dr. Claudia Osterkamp-Baerens
Dr. Claudia Osterkamp-Baerens, Professorin für Ernährungswissenschaft und Sporternährung an der Technischen Hochschule Deggendorf © Osterkamp-Baerens

Belohnung nach dem Sport

Ein wichtiger Grund dafür, warum die Effekte durch Sport geringer als errechnet sind, besteht darin, dass Trainierende den entsprechenden Energieverbrauch deutlich überschätzen (3, 5, 6). In der Folge werden mehr Kalorien zugeführt – entweder, um sich für den geleisteten Sport zu belohnen, oder aber aus der Überzeugung heraus, dass durch die Aktivität viel Energie verbrannt worden sei, so dass bewusst oder unbewusst größere Portionen gegessen werden (5).

Bei übergewichtigen und adipösen Personen hat sich gezeigt, dass Sport zu einer stärkeren Fokussierung auf Essen und Essensreize führt (3). Dadurch erhöht sich ebenfalls die Kalorienaufnahme und das Kaloriendefizit, das für eine Gewichtsabnahme nötig ist, wird geringer. Ergänzend und quasi verschärfend kommt hinzu, dass die verordneten Bewegungsmengen häufig zu niedrig sind, um überhaupt einen signifikanten Kalorienverbrauch zu bewirken (vgl. Tabelle 1) (5). Insbesondere bei Sportarten oder Bewegung mit niedriger Intensität, die etwa wegen der körperlichen Voraussetzungen gewählt werden müssen, ist der Verbrauch nur sehr gering. Zu allem Übel kann gezielt ausgeführter Sport bewirken, dass man die Bewegung im Alltag reduziert, denn »man hat ja schon etwas getan«.

Fettverbrennung durch Ausdauertraining – besser moderat oder intensiv?

Die Intensität der Aktivität spielt für den Energieverbrauch eine große Rolle. Doch Menschen mit Abnehmwunsch erhalten häufig die Empfehlung, sich mit leichter oder moderater Intensität zu bewegen, da die Fettverbrennung den Energieverbrauch durch Kohlenhydrate dann überwiegt (Abbildung 1).

»Vergleicht man beispielsweise den Energieumsatz von Walken mit 5 km/h und Laufen mit 8 km/h für jeweils eine Stunde, so werden beim Walken etwa 25 g Fett und 30 g Kohlenhydrate verstoffwechselt. Beim Laufen sind es jedoch etwa 30 g Fett und 75 g Kohlenhydrate. Prozentual ist die Fettverbrennung bei der leichten Belastung deutlich höher. Doch absolut wird mit höherer Intensität häufig ähnlich viel oder sogar mehr Fett verbrannt, bei gleichzeitig deutlich höherem Gesamtumsatz. Um ein für das Abnehmen ausreichendes Energiedefizit zu erreichen, ist intensivere Belastung daher in meinen Augen vorzuziehen«, stellt Prof. Osterkamp-Baerens klar.

Abbildung 1: Anteilige Nutzung der Makronährstoffe bei unterschiedlich intensiver Aktivität. Adaptiert nach (4).
Abbildung 1: Anteilige Nutzung der Makronährstoffe bei unterschiedlich intensiver Aktivität. Adaptiert nach (4). © DZSM 2024

Mit Krafttraining den höheren Energie­umsatz der Muskulatur nutzen?

Muskelgewebe hat einen höheren Energieumsatz als Fettgewebe, weshalb auch Krafttraining im Rahmen von Abnehmpro­grammen regelmäßig empfohlen wird. Das ist grundsätzlich sinnvoll, weil durch eine länger andauernde Diät mit oder ohne Ausdauersport Muskelmasse verloren geht. Das ist nicht nur aus metabolischer Sicht ungünstig, sondern auch für Alltagsaktivitäten und gute Sturzprophylaxe. Für Untrainierte kann der Einstieg in den Sport über Krafttraining sinnvoll sein, weil schnell Erfolge erzielt werden und sich die muskuläre Situation so verbessert, dass Ausdauertraining überhaupt erst möglich wird.

Eindeutig belegt ist allerdings, dass mit Krafttraining kaum Intensitäten über 6 MET möglich sind. Bei Anfängern sind es meist sogar maximal 4 MET, auch wenn brennende Muskeln einen glauben lassen, dass die Belastung extrem ist und sicher gerade große Kalorienmengen verbrannt werden. Zur Erzeugung eines Energiedefizits eignet sich Krafttraining folglich nicht. Leider trägt auch die zunehmende Muskelmasse einen viel geringeren Anteil zur Erhöhung des Ruheumsatzes bei als gemeinhin vermutet: Pro Kilogramm fettfreier Masse erhöht sich der Ruheumsatz lediglich um 14 bis 20 kcal pro Tag (4). Folglich ist die Zunahme um mindestens 5 kg fettfreier Masse nötig, um einen relevanten Mehrverbrauch von 100 kcal/Tag zu erzielen. Dafür wiederum ist intensives und ausdauerndes Krafttraining nötig.

… aber der Nachbrenneffekt!

Jeder träumt vom Nachbrenneffekt: Kurz Sport treiben und anschließend auf dem Sofa weiter Energie verbrennen. Weithin bekannt wurde der Nachbrenneffekt als positive Folge von hochintensivem Intervalltraining (HIIT). HIIT besteht aus sehr kurzen, dafür hochintensiven Belastungen über 80 Prozent der V˙O2max. Der Energieverbrauch durch HIIT wird meist überschätzt, denn die hochintensive Aktivität hat zwar ein hohes MET, dauert aber nur sehr kurz an. Der Vergleich von aerobem Training mit HIIT ergab, dass Ausdauertraining für die Gewichtsreduktion am besten funktioniert, während HIIT sich günstig auf die Körperzusammensetzung auswirkt (7).

»Tatsächlich ist ein Nachbrenn­effekt, also eine Erhöhung des Grundumsatzes nach HIIT, belegt. Mit diesem wird diese Trainingsform intensiv beworben. Doch selbst durch den Nachbrenneffekt ist der totale Kalorienverbrauch durch ein HII-Training nicht extrem hoch und lässt im Rahmen von Adaptationsprozessen im Laufe der Zeit stark nach. Auch mit Ausdauertraining ist es möglich, einen Nachbrenneffekt zu erzielen. Dazu muss die Intensität jedoch den Bereich von 70 Prozent der V˙O2max erreichen«, erklärt Prof. Osterkamp-Baerens.

Abnehmen am besten ohne Sport?

Bei all den Einschränkungen kann einem der Gedanke kommen, ob man zum Abnehmen nicht lieber ganz auf Sport verzichten kann oder sogar sollte. »Sport und Bewegung ist auf jeden Fall ein wichtiger Teil eines gesunden Lebensstils. Doch ich plädiere dafür, die meist zu hohen Erwartungen an den Sport zu korrigieren. Mit Sport abzunehmen, ist schwierig«, sagt Prof. Raschka. Die Erwartungshaltung zurechtzurücken scheint mehr als nur geboten, denn die Frustration ist umso höher, wenn Menschen fest davon überzeugt sind, dass Sport ein guter Weg zum Abnehmen ist (6). »Viel sinnvoller ist es, auf die nachgewiesenermaßen bedeutsamen gesundheitlichen Effekte von Sport hinzuweisen. Durch regelmäßige körperliche Aktivität verringern sich die Risiken für diverse kardiovaskuläre und Krebserkrankungen, metabolische Störungen und die allgemeine Sterblichkeit. Wenn das kein adäquater Anreiz ist, dann wird es sowieso schwer«, fährt Prof. Raschka fort.

Prof. Dr. Dr. Christoph Raschka
Prof. Dr. Dr. Christoph Raschka, Facharzt für Allgemeinmedizin in eigener Praxis und am Lehrstuhl für Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. © Raschka

Abnehmen ist keine einfache Gleichung

Fazit: Abnehmen mit Sport allein ist sehr schwierig und erfordert hohe Bewegungsumfänge. Kalorienreduktion ist der notwendige Gegenpart. Auch wenn für die Gewichtsabnahme unbedingt ein Energiedefizit nötig ist, zeigt die Waage häufig nicht die prognostizierten Werte. Zu Beginn ist mit einem Sport­einsatz von fünf bis sieben Stunden intensiverem Ausdauersport pro Woche (siehe Tabelle 1) eine merkliche Gewichtsabnahme möglich, doch nach einigen Monaten verlangsamt sie sich. Hierfür kommen mehrere Ursachen in Frage:

• Der Körper hat sich an Intensität und Umfang des Trainings gewöhnt und durch den Gewichtsverlust wird bei gleicher Intensität weniger Energie verbrannt. Dann werden neue Trainingsreize benötigt.
• Der Stoffwechsel aktiviert Energiespar­mechanismen als Reaktion auf das andauernde Kaloriendefizit und der Grundumsatz sinkt.
• Der Körper lässt einen Gewichtsverlust aufgrund seiner genetischen Programmierung nur in einem bestimmten Rahmen zu.

»Abzunehmen und dauerhaft ein geringeres Gewicht zu halten, ist eine Herausforderung und benötigt starken Willen. Denn die einfache Gleichung, wenn der Verbrauch größer als die Energiezufuhr ist, kommt es zur Gewichtsabnahme, funktioniert zwar, ist aber auf Dauer schwer durchzuhalten. Heute geht man davon aus, dass Adipositas zu etwa 20 Prozent durch das persönliche Umfeld beeinflusst wird, zu 30 Prozent durch Umweltbedingungen und zu 50 Prozent durch die Genetik. Auch Alter und Geschlecht spielen eine Rolle. Dennoch stellt Übergewicht ein signifikantes Risiko für die Gesundheit dar. Wir sollten ehrlich sein und keine unerreichbaren Erwartungen wecken«, fordert Prof. Raschka.

Online-Kompendium der MET-Werte: https://pacompendium.com/

■ Hutterer C

Quellen:

  1. Ainsworth BE, Haskell WL, Whitt MC, Irwin ML, Swartz AM, Strath SJ, O'Brien WL, Bassett DR Jr, Schmitz KH, Emplaincourt PO, Jacobs DR Jr, Leon AS. Compendium of physical activities: an update of activity codes and MET intensities. Med Sci Sports Exerc. 2000; 32: 498-504. doi:10.1097/00005768-200009001-00009

  2. Deutsche Adipositas Gesellschaft. . Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur »Prävention und Therapie der Adipositas« 2014. [aufgerufen am: 28.06.2024]

  3. Flack KD, Anderson RE 3rd, McFee KF, Kryscio R, Rush CR. Exercise increases attentional bias towards food cues in individuals classified as overweight to obese. Physiol Behav. 2022; 247: 113711. doi:10.1016/j.physbeh.2022.113711

  4. McArdle WD, Sports and Exercise Nutrition. 5. Auflage, LWW. 2019.

  5. Thomas DM, Bouchard C, Church T, Slentz C, Kraus WE, Redman LM, Martin CK, Silva AM, Vossen M, Westerterp K, Heymsfield SB. Why do individuals not lose more weight from an exercise intervention at a defined dose? An energy balance analysis. Obes Rev. 2012; 13: 835-847. doi:10.1111/j.1467-789X.2012.01012.x

  6. Thomas DM, Kyle TK, Stanford FC. The gap between expectations and reality of exercise-induced weight loss is associated with discouragement. Prev Med. 2015; 81: 357-360. doi:10.1016/j.ypmed.2015.10.001

  7. Wang H, Cheng R, Xie L, Hu F. Comparative efficacy of exercise training modes on systemic metabolic health in adults with overweight and obesity: a network meta-analysis of randomized controlled trials. Front Endocrinol (Lausanne). 2024; 14: 1294362. doi:10.3389/fendo.2023.1294362