Seite 2 / 2

Fortsetzung Yoga zwischen Therapie und Trauma – Zu Missverständnissen über die populären Körperübungen

Heilung durch Yoga

Eine sehr individualisierte Herangehensweise verfolgt therapeutisches Yoga. »Damit man von Yoga-Therapie profitiert, muss man Selbstverantwortung übernehmen können«, sagt Dr. Steiner aus Erfahrung. Er bietet, ebenso wie Dr. Soder und Dr. Niessen, therapeutisches Yoga an. In einem Einzeltermin werden die Beschwerden aufgenommen, Vorbefunde mit einbezogen und die Erwartung des Patienten geklärt. Darauf aufbauend wird ein Set an Übungen individuell zusammengestellt, das der Patient zu Hause regelmäßig üben soll. Anfangs in kürzeren, mit wachsender Erfahrung in größeren Abständen wird die Übungsroutine kontrolliert und gegebenenfalls adaptiert. »Der Erfolg einer Yoga-Therapie ist davon abhängig, dass ich die richtigen Übungen aussuche. Sie müssen bei regelmäßigem Üben in wenigen Wochen erste Wirkungen zeigen. Über die Rückmeldung des Patienten lerne ich – und lernt der Patient – die Störung besser kennen«, erklärt Dr. Soder. Durch diese prozessorientierte Diagnostik kommt zum Vorschein, von welchen Bausteinen des Yoga und in welcher Kombination der Patient am meisten profitiert: Mancher braucht mehr körperliche Übung, ein anderer mehr Fokussierung auf den Atem oder mehr meditative Elemente. »Es geht zu keinem Zeitpunkt um Leistung. Weder während des Übens noch nach dem Yoga dürfen Schmerzen auftreten«, betont Niessen.

Es wirkt! Aber wie?

Man weiß heute aus Untersuchungen, sowohl aus dem schulmedizinischen als auch aus dem psychotherapeutischen Bereich, dass die Selbstwirksamkeitserwartung und das Vertrauen in die eigene Person eine wichtige Rolle beim Erfolg verschiedenster Therapien spielt. »Die meisten Patienten, die zu mir kommen, sind motiviert und möchten selbst etwas tun, um ihre Beschwerden zu vermindern. Ich helfe ihnen dabei, die passenden Methoden auszuwählen«, erläutert Dr. Niessen sein Vorgehen. Und weiter: »Dass Yoga wirkt, erlebe ich jeden Tag an meinen Patienten. Allerdings ist es sehr schwierig, wissenschaftliche Nachweise über die genauen Wirkungsmechanismen zu erbringen. Aber das ist nicht nur ein Problem im Yoga, sondern auch vieler anderer, scheinbar gut belegter Behandlungsverfahren.«

Bild Ronald Steiner
Dr. Ronald Steiner Sportmediziner und Yogalehrer, Ulm © Steiner

Das Problem mit der Datenlage

Die Anzahl an Yoga-Studien hat sich in den letzten 20 Jahren verzehnfacht. Dennoch lässt die Datenlage keine eindeutigen Aussagen über die Evidenz von Yoga bei verschiedenen Erkrankungen zu. Das hat mehrere Gründe, wie Laura Schmalzl in einer Metaanalyse von Yoga-Studien ausführt:

• Häufig ist nicht klar, welche Intervention vorgenommen wurde und welche Übungen durchgeführt wurden. Die Reproduktion der Ergebnisse und auch die Übertragbarkeit ist dadurch limitiert.
• Versuchs- und Kontrollgruppe sind nicht vergleichbar.
• Die Ergebnisse basieren weitgehend auf der Selbsteinschätzung der Teilnehmer.
• Die Studien sind meist nicht hypothesengetrieben.

Um die Wirkungen von Yoga besser verstehen zu können, fordern die Autoren zukünftig Studien mit einem besseren Design. Auch sollte untersucht werden, welcher der drei zentralen Aspekte (Körper, Atem, Achtsamkeit) welchen Einfluss hat.

Yoga lebt von Mythen und Heilsversprechen

Martin Soder beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Yoga. Er sieht ein Problem in den vielen Mythen und Heilsversprechen, die sich um Yoga ranken und auch wider besseres Wissen immer weitergetragen werden. Als Beispiele führt er an, dass die Heilwirkung bestimmter Yoga-Übungen auf bestimmte Krankheiten oder einzelne Organe (»Schulterstand heilt Schilddrüsenerkrankungen«, »Drehungen reinigen die Leber«) noch immer gelehrt wird, obwohl die Erfahrung und das Wissen über den Menschen das nicht zeigen konnten. Höher schätzen er und seine Kollegen ein, dass die Yoga-Therapie eine individualisierte Therapie ist, die aus dem Patienten ein handelndes Subjekt macht, das selbst gezielt Einfluss auf sein Beschwerdebild nehmen kann. Und dass diese Erfahrung die Selbstheilungskräfte des Körpers mobilisieren kann, das wurde inzwischen vielfach nachgewiesen.

Hutterer C

Ähnliche Beiträge zum Thema finden Sie weiter unten!

Quellen:

  1. Schmalzl L, Powers C, Blom E H. Neuro­physiological and neurocognitive mechanisms underlying the effects of yoga-based practices: towards a comprehensive theoretical framework. Front. Hum. Neurosci. 2015; 9: 235. doi:10.3389/fnhum.2015.00235