Was läuft falsch im Anti-Doping?

In Deutschland sind viele stolz auf das Anti-Dopinggesetz und unser nationales Kontrollsystem. Gleichzeitig fragen sich vor allem unsere Athleten, ob der internationale Wettkampf fair und dopingfrei ist. Für Zweifel gibt es gute Gründe: Im letzten Jahr zeigte der Bericht der unabhängigen Kommission der WADA, dass in der IAAF auf Basis von Bestechung jahrelang positive Dopingbefunde verfälscht bzw. unterdrückt wurden.

Was läuft falsch im Anti-Doping?
© Gina Sanders/fotolia

Auf dieses kriminelle Netzwerk von Präsident und Amtsträgern innerhalb eines Sportverbandes setzte der McLaren Report dann noch einen drauf, indem er systematische Verletzungen von Regeln im russischen Anti-Dopinglabor mit staatlicher Beteiligung nachwies, insbesondere den Austausch von positiven gegen negative Resultate und die Manipulation von Proben. Der Report gipfelt darin, dass während der Olympischen Winterspiele in Sotchi unter den Augen der WADA offenkundig Proben ausgetauscht und manipuliert wurden.

Wenn nun in Russland offensichtlich kein vertrauenswürdiges Anti-Dopingsystem etabliert ist, sollte es dann nicht sehr einfach sein, russische Sportler von den Olympischen Spielen auszuschließen – ohne Vertrauen, keine Teilnahme? Wieso mussten eigentlich Journalisten diese Skandale aufdecken? Wäre nicht mehr Misstrauen und Kontrolle von Seiten der WADA wichtig gewesen, statt Vertrauen und Nachsicht?

Zahlreiche Staaten, wie zum Beispiel Kenia, waren zwar vor den Olympischen Spielen von der WADA als nicht „compliant“ erklärt worden, das hatte jedoch keine ersichtlichen Auswirkungen. Dann wurde das kenianische Anti-Dopinggesetz einen Monat vor den Spielen verabschiedet und schon war Kenia „compliant“. Ist das dann ein funktionsfähiges Anti-Dopingsystem und ist die WADA-Übersetzung von „compliant“ ein „hoffentlich kein Doping“? Zahlreiche Leichtathletik-Medaillen wurden von Sportlern gewonnen, in deren Staaten augenscheinlich kein zuverlässiges Anti-Dopingsystem besteht, was nach zehn Jahren WADA mehr Konsequenz gefordert hätte.

Seit dem Bestehen der WADA verweigern bedeutende Sportnationen wie USA und Neuseeland aus „Datenschutzgründen“, die Testresultate von ihren nationalen Anti-Dopingorganisationen in das ADAMS-System der WADA einzustellen. Damit können die internationalen Sportfachverbände auf die „adverse analytical findings“ (AAF, auffällige Befunde der Labore) nicht zugreifen, beziehungsweise erst dann, wenn ein Verfahren national mit einem Schuldspruch abgeschlossen wurde (positive Fälle).

Damit ist nicht bekannt, welche AAF zu einer Anti-Doping Rules Violation führten. Auch die Zahlen der durchgeführten Anti-Dopingkontrollen variieren zwischen den Ländern sehr, insbesondere was die wichtigen „out-of-competition“-Kontrollen angeht. Manchmal werden solche Kontrollen direkt am Tag vor einem Wettkampf durchführt. Das verringert die Chance auf einen positiven Befund deutlich. Auch 2016 gab es bei einigen Olympiasiegern keine internationale „out-of-competition“-Kontrollen im Vorbereitungsjahr.

Bild Jürgen Michael Steinacker
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jürgen M. Steinacker, Ärztlicher Leiter Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin, Universitätsklinikum Ulm © Steinacker

Die Qualität der Anti-Doping-Labore ist offenkundig unterschiedlich. Die WADA hat zwar ein sehr gutes System von Ringversuchen und Qualitätskontrollen aufgebaut, dennoch werden immer wieder Zweifel an der analytischen Qualität laut. An einem wirkungsvollen System der Anti-Dopingkontrollen und der internationalen Zusammenarbeit führt kein Weg vorbei. Die Sportorganisationen haben allerdings durchaus Recht, dass sich das gesamte Anti-Doping-System erheblich ändern müsste und Reformbedarf besteht:

1. Zu viele Kontrollen für nicht-dopende Sportler

Wenn letztendlich mit tausendenden Kontrollen nur 1,5-2% positive Sportler entdeckt werden, unterhalten wir ein wirksames System zum Nachweis von nicht-dopenden Sportlern, verwenden aber zu wenig Energie auf die Entdeckung von dopenden Sportlern. Die Erhöhung der Zahl von Dopingkontrollen führt in diesem System zwangsläufig nur zu höheren Ausgaben, nicht aber zur besseren Aufdeckung von etwaigen Dunkelziffern. Das neue Kriminaldepartment der WADA mit dem deutschen Kriminalisten Günther Younger ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, weil kriminelle Dopingnetzwerke nur mit kriminalistischen Ermittlungsmethoden und Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden aufgedeckt werden können.

2. Nationale Kontrollen sind oft zweifelhaft

Es fehlen internationale Kontrollen durch WADA und Sportverbände mit Konzentration auf die weltbesten Sportler und Mannschaften. Besonderheiten und Leistungsschwankungen müssen beobachtet werden, um gezielte Kontrollen durchzuführen. Kontrollen der internationalen Verbände dürfen nicht an die nationalen Organe der jeweiligen Sportler/-innen delegiert werden. Nationale Kontrollsysteme müssen international überwacht und die Ergebnisse zeitnah publiziert werden.

3. Schutz des sauberen Athleten

Sportler beginnen ihren Leistungssport nicht mit der Absicht zu dopen, sondern im Laufe ihrer Karriere werden sie dazu verleitet, solche verbotenen Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen verstehen, welche Mechanismen Sportler bei ihren Entscheidungen gegen Doping unterstützen. Wir müssen ebenso verstehen, wie kriminelle Netzwerke Sportler missbrauchen, um Profite zu schlagen. Dopinghändler sind nicht an der sportlichen Leistung ihrer Kunden interessiert, sondern allein am Profit.

4. Weniger Labore und mehr Konsistenz im Anti-Doping

Aktuell will jede große Sportnation möglichst ein eigenes unabhängiges Anti-Dopingsystem mit eigenem Anti-Dopinglabor. Offenkundig ist aber das System für Manipulationen empfindlich. Das zeigen u. a. die Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Sotchi. Dort waren WADA-Kontrolleure anwesend und das Moskauer Labor wurde regelmäßig kontrolliert. Dennoch bemerkte anscheinend niemand, dass Proben manipuliert wurden. Natürlich ist es auch möglich, dass Manipulationen auffielen, aber aus Rücksichtnahme auf die Staaten nicht veröffentlicht wurden (sie halten 50% der Stimmrechte der WADA und zahlen 50% des Etats).

5. Neue Formen von Kontrollen?

Die Erhöhung der Zahl der Kontrollen hat Athleten mittlerweile einem hohen Kontrolldruck ausgesetzt, wobei dieser Kontrolldruck ganz asymmetrisch auf wenige Athleten und Nationen konzentriert ist, besonders auf die, die „compliant“ sind. Nationen und Sportler, die nicht „compliant“ sind, können offenkundig den Kontrollen ausweichen. Vielleicht schaut ein künftiges System so aus: Die Proben der Athleten werden in einem kriminalistischen System gesammelt und archiviert und nur nach Bedarf, zum Beispiel bei auffälligen Leistungssteigerungen, analysiert. Das entspräche einer Umkehrung bisheriger Vorgehensweisen, erlaubt aber mehr Proben zu geringeren Kosten.

6. Bessere Kommunikation

Der Meldonium-Fall hat gezeigt, dass die Kommunikation vollkommen unzureichend ist. Die WADA wusste, dass etwa 20% aller Dopingkontrollen aus ehemaligen Ostblockstaaten Spuren von Meldonium enthielten, da dies dort als zulässig betrachtet wurde. Diese hohe Zahl wurde aber nicht publiziert. Die Pharmakologie von Meldonium war wohl auch nicht richtig untersucht worden. Als dann Meldonium (richtigerweise) verboten wurde, unterschätzten alle das Problem. Entsprechend gab es keine ausreichenden Warnungen und die Sportler, die ein bis dahin erlaubtes Medikament weiter eingenommen hatten, traf es fast unvorbereitet.

7. Der Status „Non-compliant“ muss Konsequenzen haben

Wenn Anti-Doping-Labors nicht funktionieren, Kontrollen nicht oder schlampig durchgeführt, die Berichtspflichten nicht erfüllt werden oder der WADA-Code nicht in Gesetze und Regularien umgesetzt wird, dann kann die WADA den Status „Non-compliant“ verhängen. Dies muss allerdings spürbare Konsequenzen haben, beispielsweise die nicht mehr eigenständige Organisation von Doping-Kontrollen und das Startverbot für nicht kontrollierte Sportler, wie zuletzt in der IOC-Entscheidung zu Russland.

8. Es führt kein Weg vorbei an konsequenter Anti-Doping-Politik und an Reformen

Nur damit lässt sich die Integrität des Sports auch im Sinne der Chancengleichheit aufrechterhalten und der positive Wert von Sport für Gesellschaft, Gesundheit und Bildung erhalten.

■ Steinacker JM

Quellen:

  1. Duiven E, de Hon O. The Dutch elite athlete and the anti-doping policy. http://www.dopingautoriteit.nl/media/files/2015/The_Dutch_elite_athlete_and_the_anti-doping_policy_2014-2015_international_summary_DEF.pdf, Updated 31st August 2015. [13th October 2016].

  2. Steinacker JM, Schild W, Striegel H. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport. Dtsch Z Sportmed. 2015; 66: 156-160. doi:10.5960/dzsm.2015.181

  3. Wintermantel J, Wachsmuth N, Schmidt W. Doping Cases among Elite Athletes from 2000 to 2013. Dtsch Z Sportmed. 2016; 67: 263-269. doi:10.5960/dzsm.2016.258