Was hilft bei »Rücken«? Therapieoptionen bei Rückenschmerzen

Was hilft bei »Rücken«? Therapieoptionen bei Rückenschmerzen
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Um »Rücken« kommt man im Leben kaum herum. Die Rückenschmerzstudie von Schmidt et al. (doi: 10.1097/BRS.0b013e318133fad8) ermittelte eine Lebenszeitprävalenz für Rückenschmerzen von mindestens 74 bis 85 Prozent. Weithin anerkannte Thesen für die Entstehung unspezifischer Rückenbeschwerden sind unter anderem zu langes Sitzen, zu wenig Bewegung und zu schwache Rumpfmuskulatur. Dazu kommen strukturelle Schädigungen, Erkrankungen der Wirbelsäule und psychosoziale Faktoren. Doch die Kernfrage ist eigentlich, wie man Rückenschmerzen wieder loswerden kann.

Rückenschmerzen trotz Therapie

Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Patienten nicht von den angewendeten Therapien (z.B. Operationen der Bandscheibe, Rückentraining) mit »chronischer« Schmerzfreiheit profitieren; Schmerzlinderung ist jedoch möglich. Der Krankenkassenreport 2015 der Barmer GEK zeigt, dass die Anzahl an Operationen der Bandscheiben und der sich häufig anschließenden Versteifungsoperation sowie die Anzahl an interventioneller Schmerztherapie in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Doch die Studie deckt weiter auf, dass die Patienten mit der Behandlung im Krankenhaus nicht zufrieden sind – und nicht sein können: Nur 36,6 Prozent der befragten Rückenschmerz-Patienten waren eineinhalb Jahre nach dem Krankenhausaufenthalt schmerzfrei. »Leider ist es nicht so einfach, dass uns das MRT den Schmerz zeigt«, erklärt Dr. Nicolai Borkowski vom Rückenzentrum Am Michel. All diese Fakten werfen kein gutes Licht auf das klassische Behandlungsrepertoire und sind vor allem für von Rückenschmerzen geplagte Menschen unbefriedigend.

Doktor Nicolai Borkowski, Rückenzentrum Am Michel, Hamburg
Dr. Nicolai Borkowski, Rückenzentrum Am Michel, Hamburg © Sophia Lukasc

Schmerzfreiheit unwahrscheinlich

Besonders bei chronischen und stark chronifizierten Schmerzen sind die Prognosen auf Schmerzfreiheit nicht gut. Das sagt auch Dr. Borkowski: »Unsere Erfahrung zeigt, dass mit einem intensiven Bewegungs- und Kräftigungsprogramm chronische Schmerzen teilweise deutlich gelindert werden können. Aber die Aussicht auf komplette Schmerzfreiheit ist gering.« Das Rückenzentrum Am Michel ist eine interdisziplinäre Einrichtung, in der Orthopäden, Psychologen und Physiotherapeuten vernetzt arbeiten, um möglichst viele Anteile des Schmerzgeschehens zu erkennen. Zur Therapie gehört in den meisten Fällen ein intensives Sport- und Kräftigungsprogramm.

Osteopathie – das System Mensch im Fokus

Auch die Osteopathie hat bei chronischen Rückenschmerzen einen Stellenwert. Dabei gehen die Erfolge über den Einfluss einer intensiven Zuwendung zum Patienten hinaus. Leider gibt es trotz zahlreicher erfolgreicher Behandlungen nur wenige Studien, die signifikante Vorteile für die Osteopathie bei chronischen Rückenschmerzen belegen.

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Wer rastet, der rostet

Health claims gibt es viele. Doch bei chronischen Rückenschmerzen versagen die meisten. Generell gilt heute, bei akuten Rückenschmerzen ein bis zwei Tage Ruhe zu halten, sich dann aber so schnell wie möglich wieder zu bewegen. Doch da sich viele Menschen schon ohne Schmerzen zu wenig bewegen, kommen sie mit Beschwerden überhaupt nicht in die Gänge. Der Arbeitsplatz kann noch so ergonomisch eingerichtet sein und der Autositz perfekt auf die eigenen Gegebenheiten eingestellt sein – wer rastet, der rostet.

Koordination statt Kraft

Das Großprojekt MiSpEx (Medicine in Spine Exercise), das von Prof. Dr. Frank Mayer von der Universität Potsdam koordiniert wird, beschäftigt sich mit der gezielten Vernetzung der aktuellen Diagnose-, Präventions- und Therapieansätze aus dem allgemeinen Gesundheitswesen mit den Forschungsergebnissen im Spitzensport. Die erste Projektphase brachte Erkenntnisse, die zukünftig relevant sein könnten. So sollen etwa die Rücken- und Rumpfmuskulatur nicht nur auf Kraft trainiert werden. Vielmehr soll die Koordination im Vordergrund stehen. »Eine Reduktion der Beschwerden ist effektiv und mit geringem Aufwand mit einem sensomotorischen Training zu erzielen. Vor allem Störreize in den Bewegungsabläufen sind wichtig«, erklärt Prof. Mayer.

LNB – das Gehirn behandeln

Eine von der Grundidee ähnliche Theorie vertritt auch die Schmerztherapie nach Liebscher und Bracht, LNB. Die Grundlage des Konzeptes von Roland Liebscher-Bracht und seiner Frau Petra ist die Annahme, dass die gängigen Bewegungsdefizite und -limitierungen zu Veränderungen der Ansteuerungs- und Bewegungsprogramme in den Basalganglien im Gehirn führen. Durch erhöhte Spannungszustände entstehen die Schmerzen, so die Theorie. Dass Muskelspannung und Schmerz miteinander in Zusammenhang stehen, konnte in einer kleinen Studie mit Prof. Dr. Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln gezeigt werden.

Die Therapie setzt also nicht auf Veränderungen an der Struktur, sondern zielt auf die Änderung der neuro­nalen Steuerung im Gehirn. Der Hebel dazu sind interstitielle Rezeptoren (»Alarmschmerzrezeptoren«), die über Osteopressur getriggert werden sollen und wodurch ein postuliertes Anspannungsprogramm gelöscht wird, wie Roland Liebscher- Bracht erklärt: »Schon in der ersten Behandlung können wir die Schmerzen merklich senken. Über eine Behandlung einer seit Jahren unter Spannung stehenden Struktur wäre das nicht so schnell möglich.« Zahlreiche Ärzte und Therapeuten haben sich inzwischen in der LNB-Schmerztherapie schulen lassen.

Roland Liebscher-Bracht, Entwickler der LNB-Schmerztherapie
Roland Liebscher-Bracht, Entwickler der LNB-Schmerztherapie © Liebscher-Bracht
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Mut zum Neuen

Zugegeben, es klingt nicht glaubwürdig, dass chronische Schmerzen, die mit keiner der üblichen Methoden zu behandeln waren, gerade durch eine scheinbar einfache Osteopressur verschwinden sollen. Noch dazu, wo es über LNB bisher keine wissenschaftlichen Publikationen gibt; doch einen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis gibt es für die fest im therapeutischen Repertoire etablierte Physiotherapie auch nicht. So zeigen zwei klassische prospektive Studien von Malmivaara et al. 1995 und Cherkin et al. 1998 keine Überlegenheit von Physiotherapie, Mobilisationsübungen oder Chirotherapie gegenüber normaler schmerzlimitierter Aktivität.

Da die »klassischen« Therapien oft nicht zur Schmerzfreiheit führen, darf man im Sinne der Patienten deshalb durchaus über den Tellerrand hinausblicken und Unbekanntes wagen. So wie die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und Sport­wissenschaftlerin Dr. Nicole Vennemann von der Goethe-Universität in Frankfurt, die die LNB-Methode und die Bewegungstherapie bei ihren Patienten und betreuten Sportlern einsetzt: »Muskulär-faszial bedingte Schmerzen las­sen sich mit wenigen Behandlungen lösen. Und das sind, wie ich selbst mit Er­staunen festgestellt habe,
die meisten Schmerzen.« Dr. Vennemann nutzt die Methode auch zur Differentialdiagnose: »Wenn die Schmerzen nach drei bis fünf Behandlungen nicht deutlich abgenommen haben, sind sie nicht muskulär-faszial, sondern wahrscheinlich strukturell bedingt. Dann kann man immer noch über andere Therapien nachdenken.«

Dr. Nicole Vennemann, Sportwissenschaftlerin und Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie
Dr. Nicole Vennemann, Sportwissenschaftlerin und Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, Bad Homburg © Vennemann

Ganz gleich, welche der neuen Wege, Therapien und Forschungsergebnisse in Zukunft helfen werden, Rückenschmerzen zu vermeiden oder zu überwinden: Im Sinne Ihres Rückens sollten Sie nach der Lektüre dieses Artikels mindestens einen Spaziergang machen.

■ Hutterer C

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