Sportverletzungen: Welche Präventionsmaßnahmen wirken?
Körperliche Aktivität ist neben ausgewogener Ernährung, ausreichend Schlaf und stressreduziertem Alltag eine wichtige Säule der Gesundheitsvorsorge. Vielen sogenannten „Zivilisationskrankheiten“ des Herz-Kreislaufsystems und des Bewegungsapparats kann man durch regelmäßige sportliche Betätigung wirkungsvoll vorbeugen. Leider steht den zahlreichen nicht wegzudiskutierenden Positivaspekten von Sport immer auch die potenzielle Gefahr von Verletzungen gegenüber. Doch wie hoch ist das Risiko je Sportart und Verletzung überhaupt – und welche Präventionsmaßnahmen haben sich als sinnvoll erwiesen, um Sportverletzungen zu vermeiden? Dieser Frage ist nun ein deutsch-luxemburgisches Team von Sportwissenschaftlern in einem aktuellen Literatur-Review nachgegangen (1).
Hohe Verletzungsquoten, großes Präventionspotenzial
Gleich mehrere der gesichteten Studien kamen zu der beunruhigenden Erkenntnis, dass bis zu 40 Prozent des gesundheitsfördernden Effekts von Sport durch das reale Verletzungsrisiko verloren gehen. Zu akuten Sportverletzungen, die je nach Schwere oft mit langen Ausfallzeiten einhergehen, kommen noch Langzeitfolgen wie z.B. Arthrose. Auch der Kostenfaktor für Vereine, Mannschaften und Sozialwirtschaft ist nicht zu vernachlässigen. Prävention tut also dringend not – aber welche Programme helfen wirklich?
Die gute Nachricht: Laut aktueller Datenlage könnte etwa die Hälfte aller Sportverletzungen durch individuell angepasstes Training und adäquate Interventionen verhindert werden. Derart begleitete Athletinnen und Athleten bleiben überdies länger gesund und leistungsfähig. Die weniger gute Nachricht: Trotz teilweise sehr hoher Evidenz von bis zu 88 Prozent (im Falle des Nordic Hamstring Trainings im Spitzenfußball, das von nur 11 Prozent aller Mannschaften komplett und von 6 Prozent teilweise implementiert wird) sind die Potenziale mancher Präventionsstrategien bei Weitem noch nicht voll ausgeschöpft.
Auf Platz 1: Primärprävention von Kreuzbandverletzungen
Besonders ermutigende Evidenz für die Wirksamkeit von Primärprävention fanden die Autoren des Reviews für Kreuzbandverletzungen. Die Gesamt-„Einsparung“ von Kreuzbandrupturen durch Interventionen z.B. im Bereich Athletik und sportartspezifische Bewegungsabläufe oder durch Anpassung der jeweils geltenden Regeln lag über alle Altersklassen und Geschlechter hinweg bei über 50 Prozent. Für junge Frauen und adoleszente Sportler ohne Gegnerkontakt ging die Rate bei entsprechender Prävention sogar um 67 Prozent zurück. Natürlich können solch gute Quoten nur bei guter Adhärenz erreicht werden. Andere Akut- und Degenerationsverletzungen des Kniegelenks konnten bisher noch nicht belegbar gut durch Präventionsmaßnahmen vermieden werden.
Gute Datenlage hinsichtlich Verletzungen der Hüfte
Ähnlich wirksam ist Primärprävention bezüglich Hüftverletzungen, z.B. der Hamstring-Muskulatur. Hier haben sich besonders sensomotorisches Training und extensiver Muskelaufbau gut bewährt. Leistenbeschwerden sprechen auf primäre Intervention weniger gut an als auf sekundäre (etwa gezieltes Muskeltraining bei adduktorenbedingtem Leistenschmerz). Das Risiko der Entwicklung von Coxarthrosen kann primär bislang vorrangig durch Gewichtsreduktion gesenkt werden. Besteht bereits eine Arthrose, sind laut Literatur Bewegungsinterventionen zum Funktionserhalt und zur Schmerzreduktion nachgewiesenermaßen sinnvoller als Medikamentengaben.
Problemzone oberes Sprunggelenk (OSG)
Obwohl allgemeine große Evaluationen noch fehlen, gibt es Hinweise darauf, dass das obere Sprunggelenk (OSG), das in vielen Sportarten besonders gefährdet ist, vor allem durch Rumpf-Stabilisationsübungen geschützt werden kann. Zur Reduktion des (Wieder-)Verletzungsrisikos eignen sich spezifische Stabilisationsübungen für das Gelenk selbst sowie sensomotorisches Training (SMT) mit Perturbations-Anteil. Für externe Stabilisationsmaßnehmen wie Taping oder Orthesen ergibt sich mit bis zu 70 Prozent das höchste Präventionspotenzial.
Wenig Evidenz für Prävention von Schulterverletzungen
Mit seiner besonderen Anatomie gilt das Schultergelenk, speziell in Überkopfsportarten wie Baseball oder Handball, sogar ohne Gegnerkontakt als gefährdet. Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren gehören z.B. Beweglichkeit, Körperhaltung, neuromuskuläre Dysbalancen oder Technik, welche durch spezifische Trainingsinterventionen angesprochen werden können. Die wenigen vorhandenen Programme sind jedoch noch nicht ausreichend evaluiert, um abschließende Aussagen über ihre Wirksamkeit treffen zu können.
■ Lilian Kura
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Quellen:
Tischer T, Besenius E, Lutter C, Seil R. Primärprävention von Sportverletzungen und -schäden. Sports Orthop. Traumatol. 2021; 37: 4-9. doi:10.1016/j.orthtr.2021.01.011