Sportklettern verbessert die Körperhaltung beim Parkinson-Syndrom
Ungefähr ein Prozent der über 60-Jährigen in Deutschland leidet an der Parkinson-Krankheit. Die Symptomatik ist durch das krankheitsimmanente Absterben dopaminerger Neuronen im Gehirn gekennzeichnet, welche u.a. für die Motivation und Konzentration, das Belohnungsgedächtnis und die Bewegungssteuerung zuständig sind. Die Ursachen der Krankheit sind unterschiedlicher Natur und längst nicht gänzlich geklärt: Neuere Forschung zeigt eine Beteiligung des vegetativen Nervensystems und Schäden durch Eiweißablagerungen nicht nur im Gehirn, sondern auch im Magen-Darm-Trakt (1).
Als Folge der neuronalen Degenerationen begleiten vier Leitsymptome unterschiedlicher Ausprägung den Krankheitsverlauf: Bradykinese, Rigor, Tremor und Posturale Haltungsinstabilität. Sekundäre Symptome wie Müdigkeit, Depression, Schmerzen, mentale und kognitive Leistungseinbußen sowie Sturzangst schränken die Lebensqualität weiter ein und führen oft zu psychischer und sozialer Isolation (4).
Die Bewegungseinschränkung ist typischerweise mit einer nach vorn gebeugten Hals- und Brustwirbelsäule verbunden, am markantesten auf Höhe des siebten Halswirbels (C7). Diese Haltungsveränderung stellt keine feste Deformität dar, sodass mit entsprechenden sportlichen Maßnahmen eine Verbesserung oder Verzögerung erreicht werden kann. Die europäische Leitlinie (2) empfiehlt bewegungstherapeutisch daher wöchentlich 150 Minuten aerobe körperliche Aktivität, zweimal Krafttraining und dreimal Gleichgewichtsübungen. Zusätzlich rät die WHO zu einem allgemein aktiven Lebensstil.
Weltweit erste Studie zum Sportklettern bei Parkinson
Ein Team von Wissenschaftlern hat nun untersucht, ob Sportklettern die Körperhaltung von Parkinson-Erkrankten verbessern kann (3). Ausgehend von der Tatsache, dass es bisher kaum therapeutische Interventionen zur Verbesserung von Haltungsanomalien bei Parkinson gibt, kamen die Forscher auf das Sportklettern, das in der Neurologie/Psychiatrie bereits erfolgreich eingesetzt wird, für Morbus Parkinson aber noch unerforscht war. Die Studie wollte außerdem prüfen, ob eine Haltungsverbesserung auch die oben beschriebenen sekundären Krankheitssymptome verändert und ob sie von Body Mass Index (BMI) und Alter abhängt. Diese Faktoren schienen in vorangegangenen Studien einen Bezug zur Körperkrümmung zu haben.
Dafür wurden 48 Parkinson-Erkrankte im Altersdurchschnitt von 64 Jahren (45–78) in eine randomisierte, kontrollierte, halbverblindete Studie (Prüfer verblindet, Teilnehmer nicht) eingeschlossen. Die Probanden waren ohne Klettererfahrung. Alle Teilnehmer befanden sich im leichten bis mittelschweren Krankheitsstadium der Stufe 2 bis 3 der Hoehn & Yahr-Skala und wurden zufällig entweder der Klettergruppe (n = 22, zwei schieden vorzeitig aus) oder der Kontrollgruppe (n = 24) zugeteilt. Der Frauenanteil war gegenüber den Männern etwas geringer.
Die Klettergruppe erlernte 12 Wochen lang jeweils 90 Minuten unter professioneller Anleitung das sogenannte Top-Rope-Klettern in der Halle. Dabei waren alle Probanden durchgehend aktiv, entweder beim Sichern oder beim Klettern. Die Kontrollgruppe trainierte ohne Beaufsichtigung entsprechend der oben genannten Vorgaben der Europäischen Leitlinie. Begleitende, von der Studie unabhängige Therapien (L-Dopa, tiefe Hirnstimulation) wurden wie gewohnt beibehalten. Um das Ergebnis zu überprüfen, wurde die sagittale Vertikalachse von C7, also der horizontale Abstand des siebten Halswirbels zur Wand, vor und nach dem Experiment digital ermittelt.
Sportklettern effektiver als bisheriges Leitlinien-Programm
Zu Beginn der Studie unterschied sich der mittlere horizontale Abstand des siebten Halswirbels zur Wand zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant (p = 0,05): durchschnittlich 8,2 cm waren es bei der Sportklettergruppe und 7,7 cm bei der unbeaufsichtigten Trainingsgruppe. Nach dem 12-wöchigen Training wiesen die Sportkletterer allerdings eine signifikante Verbesserung gegenüber der nach Leitlinie trainierenden Kontrollgruppe auf: Der Abstand von C7 zur Wand betrug bei ihnen nun im Mittel 1,7 cm weniger (-2,6–0,8 cm; p = 0,044). Der Wert blieb selbst unter Kontrolle von BMI und Alter signifikant (p = 0,048). Die unbeaufsichtigte Trainingsgruppe konnte nur mit durchschnittlich 0,5 cm weniger (-1,3–0,2 cm) Abstand zur Wand als zu Beginn der Untersuchung punkten.
Die eindrucksvollen Ergebnisse führen die Forscher darauf zurück, dass Sportklettern die Flexibilität, Rumpfstabilität, Balance, Haltung und den Bewegungsumfang verbessert. Neue Bewegungsmuster werden erlernt, die kognitive Fähigkeit damit gefördert, das Selbstvertrauen gefestigt. Es lässt sich zusammenfassen, dass Sportklettern eine wirkungsintensive, innovative Trainingsintervention bei Parkinson darstellen kann.
■ Herling S
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Quellen:
Deutsche Parkinson-Vereinigung e. V. [aufgerufen am 13. Oktober 2023]
Europäische Physiotherapie-Leitlinie beim idiopathischen Parkinson-Syndrom. Updated: 2015 [aufgerufen am 13. Oktober 2023]
Langer A, Roth D, Santer A, Flotz A, Gruber J, Wizany L, Hasenauer S, Pokan R, Dabnichki P, Treven M, Zimmel S, Schmoeger M, Willinger U, Gassner L, Maetzler W, Zach H. Climb up! Head up! Climbing improves posture in Parkinson's disease. A secondary analysis from a randomized controlled trial. Clin Rehabil. 2023; 37(11):1492-1500. doi: 10.1177/02692155231174990
Höglinger G, Trenkwalder C. et al. Parkinson-Syndrome, S2kLeitlinie, 2023. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien. [aufgerufen am 10. November 2023]