Lebensstiländerung – Motivation und Erfolg sind entscheidend

Lebensstiländerung – Motivation und Erfolg sind entscheidend
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Mit dem Rauchen aufhören, gesünder essen, ein paar Kilo abnehmen, mehr Sport treiben – fast jeder hat sich schon einmal an einem dieser Vorsätze versucht. Viele scheitern daran, manche schon nach wenigen Tagen, andere etwas später. Nur wenige schaffen es im ersten Versuch und dauerhaft, alte Gewohnheiten abzulegen und neue, gesündere zu etablieren, denn das ist alles andere als leicht. Noch delikater ist die Lage, wenn die Lebensstiländerung nicht nur »ganz nett« wäre, damit beispielsweise die Lieblingsjeans wieder passt, sondern wenn es darum geht, weiteren gesundheitlichen Schaden abzuwenden (etwa bei Bluthochdruck, Übergewicht und Prädiabetes), schwere Krankheiten wie Tumor- oder Herzerkrankungen zu über- oder mit ihnen zu leben.

Der Prozess der Verhaltensänderung

Verhaltenstheoretisch betrachtet liegt einer Verhaltensänderung das fünf- bzw. sechsstufige transtheoretische Modell der Verhaltensänderung von Prochaska und DiClemente (4) zu Grunde. Von der Phase der Absichtslosigkeit, in der noch kein Problembewusstsein für das zu ändernde Verhalten vorhanden ist, über die Phasen der Bewusstwerdung, Absichtsbildung und Vorbereitung hin zu den ersten konkreten Schritten (Handlungsstadium), dem Versuch der Aufrechterhaltung und einem dauerhaft neu etablierten Verhalten vergehen im günstigsten Fall mehrere Wochen.Doch auch Monate bis Jahre sind möglich, u. a. weil Rückfälle nicht selten sind.

Die Entwicklung des Problembewusstseins kann auf unterschiedliche Weisen erfolgen. Häufig sind Ärztinnen und Ärzte die Überbringer der schlechten Botschaft, manchmal treten Beschwerden oder Einschränkungen im Alltag auf. In vielen Fällen kann durch rechtzeitige Verhaltensänderung die Manifestation einer Krankheit verhindert oder der Schaden abgemildert werden. Allerdings bleibt es im Praxisalltag häufig bei allgemeinen Empfehlungen zu gesünderer Ernährung und mehr Bewegung, bestenfalls zur Überweisung an einen Ernährungsberater oder Physiotherapeuten.

Neben der fehlenden Zeit für eine umfassende Beratung fehlt es oft noch an Wissen um die teilweise eindrucksvollen Effektstärken einer Ernährungsumstellung oder gezielter Bewegung, wie Prof. Dr. Karin Meißner von der Hochschule Coburg weiß, die sich mit Integrativer Medizin in der Gesundheitsförderung und Placeboforschung beschäftigt: »Bei Diabetes ist es inzwischen etabliert, dass Ärzte die Patienten zum Ernährungsberater schicken. Doch besonders im Rahmen von Sekundär- und Tertiärprävention, zum Beispiel bei Krebs­erkrankungen, weiß man, dass Sport und Ernährung große Effekte auf Rückfallraten und Überleben haben können. Hört man Patienten zu, haben das mindestens 50 Prozent aber von ihren Ärzten noch nie gehört. Verbreitet ist vielerorts noch die Aussage, ,die schulmedizinische Behandlung ist abgeschlossen, jetzt können wir nur warten‘.« Dabei stehen die Erkenntnisse zum Einfluss von regelmäßiger Bewegung und gesunder Ernährung, etwa bei Brust-, Darm- und Prostatakrebs sowie Diabetes, auf soliden Beinen (1, 2, 3).

Prof. Dr. Karin Meißner, Professur für Integrative Medizin in der Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg
Prof. Dr. Karin Meißner, Professur für Integrative Medizin in der Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg © Hochschule Coburg
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Mens sana in corpore sano

Nicht nur für die körperlichen Effekte, sondern auch für seelisches Wohlbefinden und Lebensqualität spielt Bewegung eine wichtige Rolle. »Die psychologische Komponente und das Gefühl der Selbstwirksamkeit sind nicht zu unterschätzen. Patienten profitieren enorm von gezielten Trainings- oder Ernährungsprogrammen begleitend zur operativen oder pharmakologischen Behandlung, weil sie selbst etwas tun können und der Krankheit und Therapie nicht nur hilflos ausgeliefert sind. Eine Patientin erzählte mir zum Beispiel, dass sie sich durch das begleitende Trainingsprogramm während ihrer Krebserkrankung besser fühle als vor der Krankheit«, sagt Prof. Dr. Martin Halle, Leiter der Poliklinik für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin an der Technischen Universität München und mit der dortigen Ambulanz einer der Vorreiter im Bereich »Sport als Medizin«. In München funktioniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Medizin, Rehabilitation und Sport schon sehr gut. Doch auch Prof. Halle betont, dass das Thema, obwohl es Entwicklungen in die richtige Richtung gibt, noch zu stiefmütterlich behandelt wird. »In den kommenden fünf bis zehn Jahren wird sich das auch an anderen Orten stärker etablieren. Das ist dringend nötig, denn bisher gibt es maximal 15 Zentren in Deutschland, die sehr hohe Expertise in der Sporttherapie schwer kranker Patienten haben«, erklärt er.

Prof. Dr. Martin Halle, Leiter der Poliklinik für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin an der Technischen Universität München
Prof. Dr. Martin Halle, Leiter der Poliklinik für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin an der Technischen Universität München © TUM

Mehr Präventionsangebote für Veränderungswillige

Schneller verbreiten könnten sich zukünftig Präventionsangebote aus den Themenbereichen Bewegung, Ernährung, Stressmanagement, Suchtmittelkonsum und betriebliche Gesundheitsförderung, die nicht von Medizinern, Psychologen, Sportwissenschaftlern, Physiotherapeuten und anderen genau festgelegten Gesundheitsberufen angeboten werden, sondern von Gesundheitswissenschaftlern, Ernährungsberatern oder anderen Personen mit gesundheitsbezogenen Abschlüssen. Im Rahmen des Präventionsgesetzes entscheidet ab Oktober 2020 nicht mehr nur der berufliche Abschluss darüber, ob ein Präventionsangebot über die gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst oder bezahlt werden kann, sondern die Einhaltung von fachlichen Mindeststandards. Fehlende Inhalte können durch Qualifizierungsmaßnahmen erworben werden. Die Präventionsangebote werden durch die Zentrale Prüfstelle für Prävention geprüft. Unklar ist derzeit noch, wie eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und den Anbietern der Präventionsangebote aussehen kann. Prof. Meißner sieht in dieser Öffnung dennoch die Chance, dass Veränderungswillige mehr Unterstützung erhalten, als das derzeit im Praxisalltag vieler hausärztlich tätiger Mediziner der Fall ist.

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Lebensstiländerung: Gute Beratung braucht medizinisches Wissen

Prof. Halle weist hingegen darauf hin, dass solche Angebote für Menschen mit leichteren oder beginnenden Erkrankungen sinnvoll sein können, aber für Patienten mit Herzkrankheiten oder Tumorerkrankungen umfangreiches medizinisches Wissen nötig ist. »Nur mit weitreichender Expertise kann sichergestellt werden, dass die Patienten entsprechend ihren individuellen Möglichkeiten trainieren. Sonst besteht die Gefahr, dass sie sich überfordern, was im schlimmsten Fall lebensgefährlich, mindestens aber demotivierend sein kann und dazu führt, dass die Patienten aufgeben. Ich sehe die Gefahr, dass die Kompetenz unterschätzt wird, die nötig ist, um schwer kranke Patienten medizinisch sicher zur Sporttherapie zu beraten«, gibt Prof. Halle zu bedenken. Dass jedoch insgesamt relativ wenige Ärzte ihre Patienten zu Lebensstil­interventionen umfassend beraten und diese fortwährend begleiten, liegt neben persönlichen Faktoren (Interesse, Tätigkeitsschwerpunkt) wahrscheinlich auch an der schlechten Vergütung. Pro zehn Minuten Beratung kann ein Arzt etwa zehn Euro mit der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen. Hier ist die Politik gefragt, die Weichen Richtung Prävention versus Therapie zu stellen.

Neben den politischen Rahmenbedingungen ist geschulte Gesprächsführung nötig, um den Patienten dort abzuholen, wo er aktuell steht. Das sollte schon ins Studium integriert werden. »Ich erzähle den Patienten in der Ernährungsberatung nicht, dass sie mehr Gemüse essen sollen. Das wissen sie alles, tun es aber trotzdem nicht. Ich lasse mir Fotos von deren Mahlzeiten zeigen und schließe dann mit dem Patienten einen Vertrag, welche einzelne Sache er zuerst verändern will. Beim nächsten Termin schauen wir, ob das erfolgreich war, und planen den nächsten kleinen Schritt«, erklärt Prof. Halle sein Vorgehen. In der Beratung zur körperlichen Aktivität verfährt er ähnlich: »Motivation und Erfolg sind entscheidend, damit die Patienten dranbleiben. Sie müssen wieder – oder erstmals – lernen, wie ihr Körper tickt, und Interesse daran entwickeln. Es bringt nichts, jemandem, der sich Jahrzehnte nicht bewegt hat, 10 000 Schritte oder 30 Minuten Spazierengehen pro Tag zu ,verordnen‘. Wir schauen darauf, was die aktuelle tägliche Schrittzahl ist, und versuchen dann, diese mit erreichbaren Zielen zu steigern.«

Gesellschaftliche Verantwortung für ein gesundes Leben

Kritisch sieht Prof. Meißner, dass die Verantwortung für ein gesundes Leben fast vollständig dem Einzelnen zugeschrieben wird. »Dabei spielen die gesellschaftlichen Verhältnisse, also die Kennzeichnung von ungesunden Lebensmitteln, die Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum oder die Vermittlung von Gesundheitswissen schon ab dem Kita-Alter, eine ebenso wichtige Rolle.« Das erkennen auch Stadt- und Gebäudeplaner und versuchen, wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Projekte mit einzubeziehen. Im Projekt »München – gesund vor Ort« etwa werden verhaltens- und verhältnispräventive Ansätze kombiniert. Für Zielgruppen mit speziellem Bedarf werden in enger Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Bürgern vor Ort passende Angebote entwickelt.

Ein anderes Konzept verfolgt die Klinik Höhenried am Starnberger See. Das »Programm Beschäftigungsfähigkeit teilhabeorientiert sichern (Betsi)« ist eine Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung. In Kooperation mit Unternehmen können belastete Mitarbeiter an dem Programm teilnehmen, das die Teilnehmenden nach einer Initialphase in der Klinik über neun Monate begleitet. So soll erreicht werden, dass Mitarbeiter, bei denen erste Beeinträchtigungen aufgetreten sind, ihre Erwerbs- und Leistungs­fähigkeit erhalten.

Erfolgreiche Konzepte – egal ob in Prävention oder Therapie – setzen auf langsame Veränderungen, die langfristig durchgehalten werden können. »Dabei sollte auch der Genuss und der Spaß nicht vergessen werden«, betont Prof Meißner. Und weiter: »Der Fokus sollte in der Beratung besonders darauf liegen, die Lust an der Bewegung oder an gesünderer Ernährung zu wecken, ohne nur zwanghaft auf das Körpergewicht oder die Verfehlungen zu schauen. Gesundes Leben kann doch viel Spaß machen.«

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. de Boer MC, Wörner EA, Verlaan D, van Leeuwen PAM. The Mechanisms and Effects of Physical Activity on Breast Cancer. Clin Breast Cancer. 2017; 17: 272-278. doi:10.1016/j.clbc.2017.01.006

  2. Friedenreich CM, Shaw E, Neilson HK, Brenner DR. Epidemiology and biology of physical activity and cancer recurrence. J Mol Med (Berl). 2017; 95: 1029-1041. doi:10.1007/s00109-017-1558-9

  3. Kimata C, Willcox B, Rodriguez BL. Effects of Walking on Coronary Heart Disease in Elderly Men with Diabetes. Geriatrics (Basel). 2018; 3. doi:10.3390/geriatrics3020021

  4. Prochaska JO, DiClemente CC. Self change processes, self efficacy and decisional balance across five stages of smoking cessation. Prog Clin Biol Res. 1984; 156: 131-140.