Knieschmerzen: Provokationstests bei übergewichtigen Patienten unzuverlässig

Knieschmerzen: Provokationstests bei übergewichtigen Patienten unzuverlässig
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Wenn Patienten mit Knieschmerzen beim Sportmediziner oder Orthopäden vorstellig werden, sieht die klinische Standard-Untersuchung neben Palpationen und ROM-Tests auch ein bewährtes Set von Provokationstests vor. Diese liefern, wenn sie fachgerecht ausgefürt wurden, aussagekräftige Ergebnisse, die sich in der Bildgebung und eventuell anschließender Arthroskopie dann zumeist bestätigen.

Etwas anders ist sie Sachlage bei adipösen (BMI ≥ 30) und übergewichtigen Patienten (BMI ≥ 25), wie ein Team israelischer Forscher in einer retrospektiven Studie festgestellt hat. Hier nämlich können die Tests sowohl falsch-negative wie auch falsch-positive Ergebnisse liefern – die dann im schlechtesten Fall eine unzureichende Behandlungsstrategie oder sogar unnötige Operationen nach sich ziehen. Dazu verglichen die Wissenschaftler die tatsächlichen Befunde von 210 übergewichtigen Erwachsenen im Alter von durchschnittlich 42 Jahren (80 Prozent Männer, 20 Prozent Frauen; medianer BMI 27), die seit durchschnittlich drei Monaten unter Knieschmerzen litten und deshalb arthroskopisch am vorderen Kreuzband (ACL) oder Meniskus operiert wurden, mit deren vorangegangener klinischer Diagnose. Diese lautete bei 51 Prozent der Probanden auf ACL- und bei 88 Prozent auf Meniskusrusptur (65 Prozent medial, 42 Prozent lateral).

Liegt der Verdacht auf eine ACL-Ruptur vor, kann dieser im Normalfall per Vordere-Schubladen-(Anterior Drawer)-, Lachman- und Pivot-Shift-Test erhärtet bzw. entkräftet werden. Ähnliches gilt für Meniskusbeschwerden: Hier kommen typischerweise McMurray-, Apley-Grind- und Thessaly-Tests zum Einsatz, die vorliegende Meniskuspathologien in erster Linie durch auslösbare Schmerzen anzeigen. Was sich bei allen Patienten durchgeführten Knie-Arthroskopie zeigte, ließ die Mediziner aufhorchen: Nur die Hälfte der ACL-Rupturen hatte man durch entsprechende Provokationstests vorab korrekt diagnostiziert. Zwar war die Spezifität positiver Tests mit 100 Prozent bei Adipösen und 90 Prozent bei Übergewichtigen durchwegs gut und im Falle des Pivot-Shift-Tests (100 Prozent) bei allen Probanden sogar exzellent. Negativ ausgefallene Provokationen hingegen waren keineswegs eine Garantie für ein unversehrtes Kreuzband; annähernd die Hälfte der Arthroskopierten hatten sehr wohl eine zuvor klinisch nicht erkannte Ruptur, was auf eine deutlich geringere Sensitivität und Genauigkeit der Tests in dieser Personengruppe hinweist. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass sich die detailgenaue Ausführung der Provokationstests bei viel Fettgewebe um das Knie schwieriger gestaltet.

Genau anders herum zeigte sich die Sachlage bei Meniskusbeschwerden. Hier lösten die verräterischen Hinweisschmerzen vor allem mittels Apley-Grind- und Thessaly-Test schnell aus – auch wenn der Meniskus bei der darauf folgenden Arthroskopie intakt war. Auffallend war die höhere Sensitivität bei medialen gegenüber lateralen Pathologien. Diese Tendenz zu falsch-positiven Aussagen könnte evtl. durch die diskutierte niedrigere Schmerzschwelle adipöser Personen erklärbar sein. Zudem sind Ergüsse im Gelenk bei hohem BMI von vorneherein häufiger.

Fazit: Hohe BMI-Werte führen bei Pathologien am Knie offenbar signifikant häufig zu falsch-positiven oder falsch-negativen Diagnosen. Daraus leitet Autorenteam der Studie die Empfehlung ab, negative ACL-Provokationstests bei adipösen Patienten pauschal vorsichtiger zu interpretieren als bei normalgewichtigen Personen und ggf. weitere alternative Tests hinzuzuziehen. Ebenso sollten positive Ergebnisse in dieser Patientengruppe bei Tests auf – v. a. mediale –  Meniskusschäden wegen ihrer geringeren Spezifität nicht sofort zur Operation führen, sondern ebenfalls weiter hinterfragt werden.

■ Kura L

Quellen:

  1. Gilat R, Mitchnik IY, Moriah A, Levi A, Cohen O, Lindner D, Beer Y, Agar G. The impact of body mass index on the accuracy of the physical examination of the knee. Int Orthop. 2022; 46: 831-836. doi:10.1007/s00264-021-05277-x