Kinesiotaping verbessert Propriozeption

Kinesiotaping verbessert Propriozeption
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Die Propriozeption, oft als „sechster Sinn“ bezeichnet, ist für die optimale Steuerung von Bewegungen unverzichtbar. Gerade im Sport- und Rehabilitationsbereich spielt sie eine zentrale Rolle: Nur mit einer guten Eigenwahrnehmung der Gelenkposition lassen sich schnelle Richtungswechsel, koordinierte Abläufe und effektive Verletzungsprävention gewährleisten. Kinesiotaping ist eine zunehmend beliebte Methode, um die Propriozeption zu verbessern und damit sowohl in der Rehabilitation als auch im Leistungssport entscheidende Vorteile zu erzielen.

Kinesiotaping beruht auf dehnbaren Baumwollstreifen mit hypoallergenem Kleber, die Haut, Faszien, Muskeln und Gelenke stimulieren können. Ursprünglich in der Schmerzbehandlung eingesetzt, wird es auch zur Verbesserung der Propriozeption angewendet. Besonders beanspruchte Gelenke wie Knie, Sprunggelenk oder Schulter profitieren dabei von zusätzlichen sensorischen Reizen, ohne dass die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt wird.

Effekte auf die Propriozeption

Propriozeptive Prozesse sind komplex: Mechanorezeptoren in Muskeln, Sehnen, Gelenkkapseln und Bändern melden dem zentralen Nervensystem fortlaufend, wo sich der Körperraum und die Gliedmaßen befinden. Bei akuten Verletzungen, Überlastungen oder postoperativen Zuständen kann diese Rückmeldung gestört sein. Hier setzt das Kinesiotaping an:

Verstärkung sensorischer Rückmeldung: Durch die elastische Struktur des Tapes übt es auf die Hautoberfläche einen leichten Druck aus. Diese zusätzliche Stimulation kann die Rezeptoren anregen und das Gehirn besser über Gelenkstellungen und Bewegungen informieren.

Unterstützung der Stabilität: Insbesondere bei Instabilitäten wie einer vorderen Kreuzbandläsion oder einer Bandverletzung am Sprunggelenk ist eine klare Gelenkpositionierung von Vorteil. Das Tape wirkt hier ähnlich einer „Erinnerungsschiene“, die dem Träger bei komplexen Bewegungsabläufen eine Rückmeldung gibt und unnatürliche Ausweichbewegungen reduziert.

Förderung der Muskelaktivierung: Einige Anwender berichten, dass Kinesiotapes gezielt Muskelgruppen aktivieren oder hemmen können. Für die Propriozeption ist die feine Abstimmung verschiedener Muskelpartien entscheidend, wodurch ein tape-induziertes, verbessertes muskuläres Zusammenspiel zu einer stabileren Gelenkfunktion führen kann.

Aktuelle Studienlage

Eine systematische Übersichtsarbeit mit Meta-Analyse aus dem Jahr 2024 in der Fachzeitschrift BMC Musculoskeletal Disorders untersuchte, welchen Effekt Kinesiotaping auf das Gelenkpositionsempfinden (Joint Position Sense) insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten haben kann. Hierzu werteten die Autoren mehrere randomisierte kontrollierte Studien aus, die unterschiedliche Anlageformen des Kinesiotapes an Knie, Sprunggelenk oder Hüfte betrachteten.

Aus den analysierten Daten ging hervor, dass Kinesiotaping das Empfinden der Gelenkposition in den meisten Studien signifikant verbessern konnte. Besonders bei Übungen, in denen präzise Bewegungskontrolle gefordert war, zeigten sich positive Effekte auf die propriozeptiven Fähigkeiten der Probanden. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass das Tape einen zusätzlichen sensorischen Reiz liefert, der das Bewusstsein für die korrekte Gelenkposition schärft. Allerdings merkten die Autoren an, dass die Qualität der einbezogenen Studien teilweise variierte. So wurden unterschiedliche Tape-Techniken und Anlagestellen getestet, was den direkten Vergleich erschwerte.

Praktische Implikationen für Therapie und Training

Für die Therapiephase nach Gelenkverletzungen eröffnen sich so neue Perspektiven. Kinesiotaping kann frühzeitig für eine bessere Positionserkennung sorgen. Auch im Hochleistungssport finden Tapes Anwendung, wenn Athleten trotz intensiver Belastungen ein präzises Bewegungsfeedback benötigen.

Um den Effekt zu steigern, wird häufig ein kombiniertes Vorgehen empfohlen. Das Tape liefert sensorische Rückmeldungen, während gezielte propriozeptive Übungen (z. B. Einbeinstand, instabiler Untergrund oder koordinative Übungsgeräte) das Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen und Nervenbahnen zusätzlich trainieren. Wichtig ist jedoch, dass ein Tape nie als Ersatz für funktionelles Training missverstanden werden sollte.

Fazit und Ausblick

Kinesiotaping ist längst mehr als ein kurzlebiger Trend. Die Meta-Analyse zieht ein vorsichtig positives Fazit: Die Methode kann die Gelenkpropriozeption verbessern, allerdings seien weitere hochqualitative Studien notwendig, um optimale Taping-Strategien und längerfristige Effekte genauer zu bestimmen. Im Spannungsfeld zwischen Belastungssteuerung, Muskelaktivierung und verbesserten Sinnesrückmeldungen kann Kinesiotaping einen wichtigen Beitrag zur Funktionsoptimierung leisten.

■ Hutterer C

Quellen:

  1. Ghai S, Ghai I, Narciss S. Influence of taping on joint proprioception: a systematic review with between and within group meta-analysis. BMC Musculoskelet Disord. 2024; 25: 480. doi:10.1186/s12891-024-07571-2