Gesellschaftliche Bedeutung von Sport im Kindes- und Jugendalter

Editorial der Ausgabe 3/2023 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) von Prof. Holger Schmitt. Der Mediziner forscht im Bereich der Sportorthopädie und Bewegungsmedizin. Er beleuchtet die Wichtigkeit, als Sportmediziner die positiven Aspekte von Bewegung vor allem auch für junge Menschen immer wieder herauszustellen.

Gesellschaftliche Bedeutung von Sport im Kindes- und Jugendalter
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Betrachtet man die Entwicklung der Mitgliederzahlen des DOSB in den vergangenen Jahren, wird deutlich, dass der Anteil im Verein organisierter Kinder sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen insbesondere im Übergang von 2020 auf 2021 erheblich zurückgegangen ist. Ein Trend, der sich scheinbar Corona unabhängig seit vielen Jahren zeigt, ist der Rückgang der sportlich aktiven Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren.

Die Bilanz im Jahre 2019 zeigt eine leichte Zunahme der Altersgruppe bis 6 Jahren (jeweils ca. um 3 Prozent bei Jungen und Mädchen), kaum Veränderungen in der Altersgruppe von 7 bis 14 Jahren und einen seit Jahren bestehenden kontinuierlichen Rückgang in der Altersgruppe von 15 bis 18 Jahren (ca. 3 Prozent bei Jungen, 2 Prozent bei Mädchen). Nach Ausbruch der Pandemie kam es bei den Kindern bis zu 6 Jahren zu einem Rückgang um 17 (Jungen) bzw. 18 (Mädchen) Prozent und 5-6 % bei den 7- bis 14-Jährigen. Erfreulicherweise war im vergangenen Jahr ein geringer Anstieg um 6 bzw. 4 Prozent bei den bis 6-Jährigen und zumindest bei den Jungen um 2% bei den 7- bis 14-Jährigen zu verzeichnen. Weiter rückläufig ist die Zahl der 15- bis 18-Jährigen mit ca. 2% (hier insbesondere bei Mädchen) (2).

Dass Sport gerade im Wachstumsalter eine besondere Bedeutung hat, ist mittlerweile wissenschaftlich in zahlreichen Studien belegt und betrifft unterschiedlichste Bereiche der Entwicklung. Die körperliche Entwicklung kann durch eine Verbesserung konditioneller und koordinativer Fähigkeiten unterstützt werden, es gibt zahlreiche positive Aspekte auf Gesundheit und Wohlbefinden und anpassungsbedingte direkte strukturelle Auswirkungen auf Skelett, Muskulatur, Sehnen, Gelenkknorpel, Herz- Kreislaufsystem und Stoffwechsel. Sport kann Kinder in ihrer psychischen und auch sozialen Entwicklung fördern (3).

Sport in der Freizeit

Selbstverständlich kann nicht ausschließlich der Vereinssport dafür verantwortlich gemacht werden, dass Kinder nicht ausreichend zu Bewegung bewegt werden. Die rückläufige Zahl an ehrenamtlichen Helfern in den Vereinen und die zunehmenden finanziellen Belastungen in vielen Vereinen, aktuell noch einmal verstärkt durch Inflation und steigende Energiepreise, werden häufig als Gründe für ein geringeres Sportangebot herangeführt. Auch der zunehmende Trend der Unterbringung in Ganztagsschulen macht es den Vereinen nicht leicht, Kinder zusätzlich am Nachmittag in die Vereine zu ziehen. Nicht überall und leider viel zu selten gibt es eine enge Kooperation der Schulen mit ortsansässigen Sportvereinen.

Sport in der Schule

Die Möglichkeit, körperliche Aktivität und Sport im Kindesalter aufzuwerten, kommt damit einmal mehr den Schulen und den bei uns dafür verantwortlichen Kultusministerien der Länder zu. Betrachtet man europäische Nachbarländer, zeigen sich Möglichkeiten, durch Priorisierung von Bewegung und Sport im Unterricht positive Effekte zu erzielen. In den skandinavischen Ländern wird seit einigen Jahren das verpflichtende Prinzip der Bewegungsstunde meist vor Beginn des Unterrichts praktiziert und eine enge Anbindung an Vereine gepflegt. Auswirkungen der körperlichen Aktivität als einer der Faktoren auf akademische Leistungen sind im Rahmen der PISA- Studie in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich herausgestellt worden. In der Schweiz wurde 2012 das Sportfördergesetz eingeführt, dass in der obligatorischen Schule und in der Sekundarstufe 2 ein mindestens 3-stündiges Sportangebot fordert (1). Wenig überraschend sind auch die Auswirkungen auf den Leistungssport. Der aufmerksame Beobachter der Leichtathletikeuropameisterschaft im vergangenen Jahr in München wird festgestellt haben, dass die Schweiz mit ca. 9 Mio. Einwohnern mit sechs Mal Edelmetall und zahlreichen Endkampfplätzen so erfolgreich war wie noch nie zuvor.

Mehr Bewegung während des Wachstums

Als Sportmediziner müssen wir die Bedeutung von Bewegung und Sport gerade im Kindes- und Jugendalter mit den zahlreichen positiven Aspekten immer wieder herausstellen (5) und die Landesregierungen auffordern, diese wichtigen Inhalte in die Bildungsprogramme verstärkt aufzunehmen.

Das vorliegende Heft beschäftigt sich mit der Problematik der Corona bedingten Reduktion körperlicher Aktivität. Frau Kalski und die Arbeitsgruppe in Berlin schildern das Sport-
verhalten während dieser Zeit bei 9 bis 20- jährigen. Einem orthopädischen Problem widmet sich der Artikel von Joost und Mitarbeitern. Das bei sportlich aktiven Menschen auftretende Phänomen des Wirbelgleitens (Spondylolisthese) kann zu unterschiedlich ausgeprägter Instabilität führen. Die funktionelle Kernspinuntersuchung kann hier in der Beurteilung hilfreich sein. Im Rahmen der sportmedizinischen Checklisten geht die Arbeitsgruppe von Müller auf die Behandlungsmöglichkeiten der Hypertonie durch Bewegung, Ernährung und Medikation ein.

Prof. Dr. med. Holger Schmitt, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Prof. Dr. med. Holger Schmitt, Schriftleiter der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin. © Schmitt

■ Schmitt H

Quellen:

  1. Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [Federal Assembly of the Swiss Confederation]. (17.06.2011): Bundesgesetz über die Förderung von Sport und Bewegung [Federal law on the promotion of sport and exercise]. [18 April 2023].

  2. Deutscher Olympischer Sportbund [German Olympic Sports Confederation] (DOSB). Mitglieder-Statistik [Member statistics]. [18 April 2023].

  3. Eime R, Young J, Harvey J, Charity M, Payne W. A systematic review of the psychological and social benefits in sport for children and adolescents: informing development of a conceptual model of health through sport. Int J Behav Nutr Phys Act. 2013; 10: 98. doi:10.1186/1479-5868-10-98

  4. Leyk D, Rüther T, Hartmann N, Vits E, Staudt M, Hoffmann MA. Analgetic use in sports – results of a systematic literature review. Dtsch Arztebl Int. 2023; 120: 155-161. doi:10.3238/arztebl.m2023.0003

  5. Reimers AK, Marzi I, Schmidt SCE, Niessner C, Oriwol D, Worth A, Woll A. Trends in active commuting to school from 2003 to 2017 among children and adolescents from Germany: the MoMo Study. Eur J Public Health. 2021; 31: 373-378. doi:10.1093/eurpub/ckaa141