Geringe Evidenz für häufige orthopädische Eingriffe

Geringe Evidenz für häufige orthopädische Eingriffe
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Bei Erkrankungen und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems stellt sich für Betroffene und behandelnde Ärzte häufig die Frage nach einer Operation. Ein aktueller Übersichtsreview hat die Evidenz für zehn häufige orthopädische Eingriffe untersucht (1). Nach Aussage der Autoren gibt es bei acht von zehn untersuchten operativen Eingriffen keine ausreichende Evidenz, dass sie einer konservativen Therapie überlegen wären. Einzig für die Karpaltunneldekompression und die Knie-Totalendoprothese (Knie-TEP) überwiegt der Nutzen der OP.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

Arthroskopische Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands

In drei für die Bewertung herangezogenen Reviews wurden keine Unterschiede im Outcome zwischen OP und Behandlung ohne OP gefunden. Andere Studienergebnisse legen jedoch nahe, dass die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands die Rückkehr zu (intensiver) Aktivität ermöglicht und das Risiko für Folgeverletzungen und -schäden minimiert (z. B. 2, 3).

Arthroskopische Meniskusrekonstruktion

Trotz einer großen Anzahl an Studien, gab es keine Reviews von randomisierten Kontrollstudien, welche die OP mit keiner Behandlung, Placebo oder nicht-operativer Behandlung verglichen. Ein Review über v. a. Beobachtungsstudien fand für die Meniskusrekonstruktion verbesserte Langzeiterfolge, bessere Aktivitätslevel und eine geringere Rate an Misserfolgen im Vergleich mit Meniskektomie.

Arthroskopische Meniskusteilresektion

In keinem der sechs für die Analyse herangezogenen Reviews zeigte die Meniskusteilresektion relevanten klinischen Nutzen hinsichtlich Schmerz, Funktion oder Lebensqualität. Geringer Nutzen wurde für Patienten ohne Osteoarthritis gefunden.

Arthroskopische Rekonstruktion der Rotatorenmanschette

Drei Meta-Analysen wurden ausgewertet. Ein Cochrane Review verglich verschiedene Operationsmethoden, fand aber keinen oder nur geringen klinisch bedeutsamen Nutzen hinsichtlich Schmerz, Funktion oder Lebensqualität. Ein weiterer Review ergab für verschiedene operative Methoden (arthroskopisch, minimalinvasiv, invasiv) signifikant bessere Outcomes verglichen mit anderen Strategien. Allerdings fehlten eine Subgruppenanalyse sowie Placebo- und Nocebo-Gruppen.

Arthroskopische subacromiale Dekompression

Drei Reviews sowie zwei randomisierte klinische Kontrollstudien kamen zu dem Ergebnis, dass die subacromiale Dekompression keine relevanten klinischen Vorteile mit Blick auf Schmerz, Funktion und Lebensqualität verglichen mit anderen Behandlungsmethoden hatte.

Karpaltunneldekompression

Von neun Meta-Analysen verglich nur eine Publikation eine operative mit einer nicht-operativen Behandlung. Diese Meta-Analyse zeigte, dass die operative Behandlung Symptome signifikant besser linderte als die operationslose Behandlung, allerdings mit einer höheren Komplikationsrate.

Lumbale Dekompression

Von zwölf ausgewerteten Meta-Analysen verglich eine Studie die OP mit konservativer Behandlung. Beide Gruppen zeigten vergleichbare Verbesserungen während des Follow-ups.

Lumbalfusion

13 Meta-Analysen und randomisierte Kontrollstudien wurden analysiert. Zwei davon verglichen die Lumbalfusion mit nicht-operativer Behandlung. Beide berichteten keine Unterschiede im Oswestry Diasbility Index, allerdings von einer höheren Komplikationsrate in der OP-Gruppe.

Hüft-TEP

Von 168 recherchierten Publikationen verglich keine eine Hüft-TEP mit keiner Behandlung, Placebo oder einer Schein-OP. Drei systematische Reviews untersuchten jedoch die Effektivität einer Hüft-TEP mit der Gelenkumformung der Hüfte (Arthroplastik, gelenkerhaltende OP). Die Ergebnisse hinsichtlich Funktion, Fehlerraten und Sterblichkeit waren nicht aussagekräftig.

Knie-TEP

Unter 344 Publikationen gab es keine Reviews, die eine Knie-TEP mit keiner Behandlung, Placebo oder einer Schein-OP verglichen. Ein Review verglich Knie-TEP gefolgt von nicht-operativer Behandlung mit alleinigem operationsfreiem Vorgehen (Training, Aufklärung, Ernährungsempfehlungen, Einlagenversorgung, Schmerzmedikation) bei Patienten mit moderater bis schwerer Osteoarthritis. Die OP führte zu besserer Schmerzreduktion und funktionalen Verbesserungen nach 12 Monaten, war aber mit einer höheren Komplikationsrate verknüpft.

Die Analyse der britischen Autoren bietet Anlass zu Diskussionen. Die Forderung nach mehr randomisiert kontrollierten doppelblinden Studien ist sinnvoll, allerdings muss bei (Schein-)Operationen grundsätzlich immer ethisch abgewogen werden. Dennoch scheint es angebracht, vor einer OP eine intensive Nutzen-Risiko-Abwägung durchzuführen.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Blom AW, Donovan RL, Beswick AD, Whitehouse MR, Kunutsor SK. Common elective orthopaedic procedures and their clinical effectiveness: umbrella review of level 1 evidence. BMJ. 2021; 374: n1511. doi:10.1136/bmj.n1511

  2. Kay J, Memon M, Shah A, Yen YM, Samuelsson K, Peterson D, Simunovic N, Flageole H, Ayeni OR. Earlier anterior cruciate ligament reconstruction is associated with a decreased risk of medial meniscal and articular cartilage damage in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2018; 26: 3738-3753. doi:10.1007/s00167-018-5012-5

  3. Sanders TL, Pareek A, Kremers HM, Bryan AJ, Levy BA, Stuart MJ, Dahm DL, Krych AJ. Long-term follow-up of isolated ACL tears treated without ligament reconstruction. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2017; 25: 493-500. doi:10.1007/s00167-016-4172-4