Das Läuferknie: Tractus iliotibialis und seine Tücken

Das Läuferknie: Tractus iliotibialis und seine Tücken
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Laufen liegt besonders bei Freizeitsportlern noch immer im Trend. Mit der wachsenden Zahl an Läufern steigt aber auch die Zahl der Laufverletzungen. Das liotibiale Bandsyndrom (ITBS, Tractus iliotibialis, Läuferknie, Tractus-Syndrom) ist bei Läufern die häufigste Ursache für Schmerzen an der Außenseite des Knies. Klassischerweise entsteht es ohne auslösendes Trauma durch Überlastung. Die Inzidenz wird mit fünf bis 14 Prozent angegeben, wobei diese Zahlen je nach Studiendesign, Größe der Stichprobe, Trainingszustand, Geschlecht und anderen Faktoren variieren. Männer scheinen häufiger betroffen zu sein als Frauen, doch auch für diese Hypothese fehlt die letzte Evidenz. Neben Läufern, die es am häufigsten trifft, können auch Radfahrer, Bergsteiger (v. a. beim Berg­abgehen) und andere Sportler betroffen sein, bei denen die Belastung ähnlich ist.

Als auslösend für die Beschwerden wurde in der Vergangenheit vor allem die vermehrte Reibung des distalen iliotibialen Bandes (ITB) über den seitlichen Vorsprung des Oberschenkelknochens (Epicondylus lateralis femoris) beim wiederholten Beugen und Strecken des Kniegelenks gesehen. Ergänzend geht man heute vom Impingement des ITB an dieser Stelle bei einer Kniebeugung von ca. 20 bis 30 Grad aus.

Die Schmerzen können bei einem Tractus-Syndrom aber auch, entsprechend des Verlaufs des ITB von der vorderen Darmbeinspitze (Spina iliaca anterior superior) über das Hüft- und das Kniegelenk bis zum lateralen Epicondylus, an der Hüfte auftreten. Typisch sind stechende oder brennende Schmerzen an der Außenseite des Kniegelenks oder am Trochanter major. Die Schmerzen treten normalerweise unter Belastung erst nach einer gewissen Zeit oder Laufdistanz auf. Nach Ende der Belastung sistieren die Schmerzen in der Regel sofort, setzen aber wieder ein, wenn die Belastung erneut aufgenommen wird.

Tractus iliotibialis: Verschiedene Einflüsse, aber unklare Ätiologie

Obwohl das Syndrom verbreitet ist, ist noch immer nicht endgültig geklärt, wie ein ITBS entsteht. Zwar haben sich zahlreiche Studien damit befasst, doch liefern sie häufig sich widersprechende Ergebnisse (1). Folgende Faktoren scheinen aber eine Rolle zu spielen (5, 1):

1. Kinematische Aspekte
In vielen Studien wird ein Zusammenhang mit der Hüftadduktion gefunden. Häufig liest man von der Schwäche der Hüftabduktoren als relevantem Faktor. Andere Studien bestätigten das jedoch nicht. Ebenso uneindeutig ist die Situation am Kniegelenk: Sowohl vermehrte als auch verringerte Knieinnenrotation traten bei Läufern mit ITBS auf.

2. Kraftaspekte
Die Kinematik der unteren Extremität wird von der Muskelkraft der beteiligten Regionen beeinflusst. Schwächen in relevanten Muskelgruppen können zur Entstehung eines ITBS beitragen.

3. Morphologische Aspekte
Durch Beinlängendifferenzen, Beckenschiefstand oder einen prominent vorhandenen Epicondylus lateralis femoris oder Trochanter major werden Hüfte oder Knie unausgewogen belastet.

4. Trainingsumfang und Trainingsintensität
Allen Fällen eines ITBS ist gemein, dass es durch Überlastung entsteht. In aller Regel hängt das mit einer Erhöhung des Trainingsumfangs und/oder der Trainingsintensität zusammen.

Weitere Faktoren, die (meist) in Kombination von Bedeutung sind, sind Änderungen in der Schuh- und/oder Einlagenversorgung oder des Laufuntergrunds. All diese Aspekte sollten bei der Anamnese und Diagnostik geklärt werden. Diagnostiziert wird ein Tractus-Syndrom meist über das klinische Beschwerdebild. Mithilfe des Kompressionstests nach Noble sowie des Ober- und des Renne-Tests kann ein ITBS in der Regel festgestellt werden. Insbesondere Läsionen des lateralen Meniskus sollten differenzialdiagnostisch Beachtung finden.

Bild Michael Cassel,
Dr. Michael Cassel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Sportmedizin, Freizeit-, Gesundheits- und Leistungssport an der Universität Potsdam © Cassel

Was schmerzt denn da?

Auch die Frage, was genau die Schmerzen verursacht und in welchem Umfang entzündliche Vorgänge stattfinden, ist noch nicht zufriedenstellend zu beantworten. Dr. Michael Cassel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Sportmedizin, Freizeit-, Gesundheits- und Leistungssport an der Universität Potsdam, erklärt die aktuelle Hypothese folgendermaßen: »In erster Linie findet keine Entzündungsreaktion statt; vielmehr handelt es sich um eine Reizerscheinung.

Die Ätiologie ist noch nicht geklärt, doch betrachtet man das Geschehen an strukturell vergleichbaren Stellen, könnte ein Erklärungsmodell in einem Stoffumbau des Bandes liegen, ähnlich dem von Tendinopathien.« Das ITB selbst ist nicht entzündet. Histologisch ist der Nachweis des genauen Schmerzauslösers schwierig. In der Bildgebung, also im Ultraschall oder MRT, sieht man zwar gelegentlich die Flüssigkeitseinlagerung und in seltenen Fällen findet man auch einen vergrößerten Schleimbeutel. Doch in anderen Fällen treten Schmerzen ohne Nachweis entzündlicher Prozesse im Umfeld des ITBS auf.

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Compliance ist das A und O

Obwohl grundsätzliche Fragen nicht befriedigend beantwortet werden können, heilt die Mehrzahl der Fälle innerhalb von drei Monaten mit konsequenter konservativer Behandlung aus. Das Wichtigste dabei ist laut Dr. Cassel, dass die Compliance stimmen muss. Auch bei Beschwerden an der Hüfte ist die konservative Therapie in etwa neun von zehn Fällen, Compliance vorausgesetzt, erfolgreich, wie Prof. Holger Schmitt von der ATOS-Klinik in Heidelberg weiß. Eine erfolgreiche konservative Therapie benötigt aufgrund der Biologie der Sehnen, Faszien und Bänder mindestens acht, eher 12 Wochen zur Heilung. Das sollte ein Patient von Beginn an wissen, um nicht zu früh mit zu hoher Belastung zu beginnen.

Therapien: Evidenz gering, Erfolg gut

Während der Therapie ist das Vermeiden der schmerzauslösenden Belastungen essenziell. Ist der Zustand so akut, dass die Schmerzen nicht nur beim Laufen, sondern auch anschließend beim Gehen auftreten, können NSAR oder Antiphlogistika so lange eingesetzt werden, bis die Schmerzen bei Alltagsbelastungen abgeklungen sind. Studien zeigen in der ersten Behandlungsphase gute Erfolge mit einer Kombination aus antiinflammatorischen und analgetischen Präparaten (4), während Querfriktionen offenbar kaum zusätzliche günstige Effekte haben (3). Physiotherapeutische Maßnahmen wie Querfriktionen, Eis (zur Schmerzlinderung) und/oder Wärme (zur Durchblutungsförderung) sind dennoch üblich. »Gute Evidenz gibt es dafür nicht«, erklärt Cassel, »aber man versucht damit, gegen den Schmerz zu arbeiten und die strukturelle Reizung positiv zu beeinflussen.« Dehnungen des ITB sowie der verschiedenen Anteile der Glutealmuskulatur wirken unterstützend.

Bild Holger Schmitt
Prof. Holger Schmitt, ATOS-Klinik in Heidelberg © Schmitt

Um ein längeres Aussetzen der sportlichen Aktivität zu vermeiden, kann versucht werden, die Belastung über alternative Bewegungsformen wie beispielsweise Aquajogging aufrecht zu erhalten. Wird nach einigen Wochen wieder mit dem Laufen begonnen, so muss immer unterhalb der Schmerzgrenze geblieben werden. Traten die Beschwerden nach 25 Minuten Joggen auf, so beginnt man mit Laufeinheiten von 15 bis 20 Minuten und steigert wöchentlich um einige Minuten.

Sensomotorische Defizite erkennen und ausgleichen

Umstritten ist zwar, wie erwähnt, ob und welche Rolle den (zu schwachen) Hüftabduktoren zukommt, doch spätestens, wenn der Sportler mit dem oben beschriebenen Weg nicht schmerzfrei wird, können Krafttests oder eine detaillierte Gang- und Laufanalyse hilfreich sein, um mögliche Schwächen oder Unausgewogenheiten zu erkennen. Eingebettet in ein multimodales Therapiekonzept, sollten die meisten Patienten mit sensomotorischen und kräftigenden Übungen der Rumpf- und Glutealmuskulatur, der Muskulatur der unteren Kette sowie spezifischem Beinachsentraining innerhalb von sechs bis 12 Wochen schmerzfrei werden. Parallel dazu sollten, wenn nicht bereits geschehen, auslösende Faktoren wie etwa neue/andere Schuhe reduziert werden.

Spätestens nach 12 Wochen ohne signifikante Besserung sollte nach möglichen anderen oder weiteren Ursachen für die Schmerzen gesucht werden. »Eigentlich ist dieser Zeitraum ausreichend, um den Großteil der Patienten schmerzfrei zu bekommen und den Einstieg in den Sport wieder zu ermöglichen. Wenn allerdings zwischendurch immer wieder in den Schmerz hineintrainiert wird, verzögert sich der Schmerzprozess deutlich«, betont Dr. Cassel.

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Was hilft bei Therapieresistenz?

Die Chronifizierung eines ITBS ist damit auch gleichzeitig die größte Komplikation. Denn wird der Reizzustand über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten erhalten, kann das Gewebe hypertrophieren. Im Lauf der Zeit wird die betroffene Stelle dicker, die Friktion stärker und das mechanische Hindernis immer größer. Eine erfolgreiche konservative Behandlung wird dann immer schwieriger. Lokale Injektionen mit Lokalanästhetika und antientzündlich wirkenden Präparaten können abgewogen werden. Dr. Cassel steht Injektionen mit Kortison eher zurückhaltend gegenüber: »Studien an verschiedenen Sehnenansätzen zeigen zwar gute Kurzzeiteffekte, doch sind mittel- bis langfristig Befundverschlechterungen zu beobachten. Zudem führen kortisonhaltige Präparate zur lokalen Gewebedegeneration.« Die Stoßwellentherapie ist beim ITBS noch kaum untersucht. Eine Studie konnte keine Vorteile gegenüber manueller Therapie finden (6).

Bei langen chronischen Verläufen und therapieresistenten Fällen steht als letzte Option noch die operative Spaltung des ITB zur Verfügung. »Bei Beschwerden an der Hüfte wird der Tractus längs Z-förmig gespaltet, um die Spannung zu verringern und der Struktur Möglichkeiten zur Verlängerung zu geben. Gleichzeitig kann ein entzündeter Schleimbeutel entfernt werden. Am Knie wird ebenso verfahren, doch ist dort die Rupturgefahr größer«, erklärt Prof. Schmitt. Als Auslöser, aber auch als Reaktion auf den Reizzustand können sich an der Hüfte Exostosen bilden. Diese können im Rahmen einer OP genauso entfernt werden wie hypertrophiertes Gewebe am Knie. Nur wenige Studien haben sich mit dieser Methode befasst, doch eine Untersuchung an 36 Patienten ergab ausgezeichnete und gute Zufriedenheit in 97,1 Prozent der Fälle (2). Drei Monate nach der OP konnten die Betroffenen wieder sportlich aktiv sein.

Das Tractus-Syndrom ist eine klassische Überlastungsverletzung. Trotz teilweise unklarer Ätiologie lässt es sich in den meisten Fällen gut und zügig behandeln, solange nicht immer wieder der Schmerz ausgelöst wird. Ein Appell an die Vernunft des betroffenen Sportlers ist daher ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Therapie. Ein möglichst zügiges und vollständiges Ausheilen eines ITBS ist auch aus einem weiteren Grund anzustreben, wie Dr. Cassel betont: »Wenn man ein ITBS einmal hatte, ist das der erste Risikofaktor, dass man es wieder bekommt!«

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Aderem J, Louw QA. Biomechanical risk factors associated with iliotibial band syndrome in runners: a systematic review. BMC Musculoskelet Disord. 2015; 16: 356. doi: 10.1186/s12891-015-0808-7

  2. Michels F, Jambou S, Allard M, Bousquet V, Colombet P, de Lavigne C. An arthroscopic technique to treat the iliotibial band syndrome. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2009; 17: 233-236. doi: 10.1007/s00167-008-0660-5

  3. Schwellnus MP, Mackintosh L, Mee J. Deep Transverse Frictions in the Treatment of lliotibial Band Friction Syndrome in Athletes: A clinical trial. Physiotherapy. 1992; 78: 564-568.

  4. Schwellnus MP, Theunissen L, Noakes TD, Reinach SG. Anti-inflammatory and combined anti-inflammatory/analgesic medication in the early management of iliotibial band friction syndrome. A clinical trial. S Afr Med J. 1991; 79: 602-606.

  5. van der Worp MP, van der Horst N, de Wijer A, Backx FJ, Nijhuis-van der Sanden MW. Iliotibial band syndrome in runners: a systematic review. Sports Med. 2012; 42: 969-992. doi: 10.2165/11635400-000000000-00000

  6. Weckström K, Söderström J. Radial extracorporeal shockwave therapy compared with manual therapy in runners with iliotibial band syndrome. J Back Musculoskelet Rehabil. 2016; 29: 161-170. doi: 10.3233/BMR-150612