Belastungs-EKG: Goodbye and hello!
Die früher wichtigste Methode zur Untersuchung von Brustschmerzen bei Patienten mit Verdacht auf koronare Herzkrankheit (KHK) (z. B. 1) war in den letzten Jahren von der Kardiologie abgewertet worden. Zu Recht? Das Belastungs-EKG, das häufig bei ergometrischen Untersuchungen registriert wird, liefert sowohl diagnostische als auch prognostische Informationen (2) und besitzt eine hohe Spezifität von 85 bis 90 Prozent für den Nachweis einer obstruktiven KHK. Diese Werte sind mit denen von anderen etablierten bildgebenden Verfahren wie nuklearer Myokardperfusion, Echokardiografie oder Magnetresonanzperfusion vergleichbar (3).
Kardiologen lasten dem Verfahren allerdings eine geringe Sensitivität bezüglich der Erkennung signifikanter Stenosen an. Bei auffälligen Ergebnissen im Belastungs-EKG liegt diese, abhängig von der Vortestwahrscheinlichkeit, bei 45 bis 50 Prozent (3). Um Ischämien infolge von Stenosen zu detektieren bzw. eine KHK auszuschließen, hat das Belastungs-EKG also nur begrenzte Aussagekraft. Aus diesem Grund empfehlen die Richtlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie seit 2019 und des National Institute for Health and Care Excellence seit 2016 bildgebende Untersuchungen anstelle von Belastungs-EKGs, wenn es darum geht, eine KHK zu erkennen oder auszuschließen (5).
Die moderne Koronar-Computertomografie-(CT)-Angiografie weist mit einer Sensitivität von 97 und einer Spezifität von 86 Prozent eine hervorragende Genauigkeit bei der Erkennung von obstruktiver KHK auf (6). In den Leitlinien wird sie deshalb zunehmend noch vor der invasiven Herzkatheter-Untersuchung zur Abklärung von Brustschmerzen empfohlen, insbesondere wenn diese nicht eindeutig sind und weder eine Vorgeschichte von KHK bekannt noch eine hohe klinische Wahrscheinlichkeit einer obstruktiven KHK gegeben ist (5).
Goodbye Ergometrie?
Das klingt stark nach »Goodbye, Belastungs-EKG«. Geht man davon aus, dass pektanginöse Beschwerden immer durch nachweisbare Stenosen der großen Gefäße oder verschlossene Herzkranzgefäße entstehen, sind Koronar-CT und MRT in der Diagnostik eine sehr gute Wahl. Das Belastung-EKG ist apparativ einfacher und wesentlich kostengünstiger, bedeutet aber mehr Aufwand für den Patienten und für das Personal. Und: Was nützt eine Methode, wenn sie viele falsch-positive Ergebnisse liefert?
Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, die weiterhin für die Ergometrie sprechen. Neben der Tatsache, dass sie kostengünstig, weithin zugänglich und nicht invasiv ist und auch ohne ionisierende Strahlung auskommt, ist es vor allen der Fakt, dass körperliche Leistungsfähigkeit der stärkste prognostische Marker für Hospitalisierung, Morbidität und Mortalität ist. »Trotzdem ist sie der einzige beeinflussbare Risikofaktor, den wir nicht routinemäßig erheben. Wir messen bei Patienten zurecht Gewicht, Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin und fragen, ob sie rauchen – aber ich weiß nicht, wie fit sie sind. Wie zuverlässig sind patienteneigene Angaben zu Bewegung und Leistungsfähigkeit? Ich kann nicht sicher sein. Erst das Belastungs-EKG bringt eine objektive Aussage«, erklärt Prof. Josef Niebauer, Universitätsinstitut für präventive und rehabilitative Sportmedizin der Paracelsus Medizinische Universität Salzburg. Anhand alterskorrigierter Normwerte kann die körperliche Leistungsfähigkeit eingeordnet werden. Ist sie zu gering, ist das ein hoher Risikofaktor, der aber mit gezielter Bewegung und körperlichem Training verbessert werden kann.
Ergometrie – drei auf einen Streich
»Patienten gehen häufig zum Kardiologen, weil sie sich nicht mehr so belastbar fühlen, schlechter Luft bekommen oder Druckbeschwerden im Brustkorb spüren«, schildert Prof. Niebauer, der auch Kardiologe ist. Während einer Ergometrie wird kontinuierlich ein EKG aufgezeichnet und auf jeder Belastungsstufe der Blutdruck gemessen. »Wir können also neben der Leistungsfähigkeit auch sehen, ob die Herzfrequenz adäquat ansteigt, ob Rhythmusstörungen auftreten und wie der Blutdruck unter Belastung reagiert. All diese Informationen sind wertvoll und wir bekommen sie mit anderen Methoden nicht«, betont Prof. Niebauer.
Keine Stenosen und dennoch Beschwerden?
Doch auch im Kontext pektanginöser Beschwerden hat das Belastungs-EKG einen wichtigen Stellenwert. Zwar eignet es sich, wie oben beschrieben, nur bedingt zum Nachweis von Stenosen und somit dem Vorliegen einer KHK – hat ein Patient typische pektanginöse Beschwerden, aber ein negatives Belastungs-EKG, ist weitere Abklärung nötig. Doch wie eine aktuelle Studie zeigt, hat es andere Qualitäten. So lassen sich etwa Stenosen in größeren Gefäßen bei etwa einem Drittel der Personen mit Symptomen einer Angina Pectoris mit bildgebenden Maßnahmen nicht darstellen (8), weil häufig die kleinen, fein verzweigten Blutgefäße im Herzmuskel – Arteriolen und Kapillaren – betroffen sind. In diesen Fällen handelt es sich um eine mikrovaskuläre Dysfunktion, also eine Funktionsstörung der kleinsten herzversorgenden Gefäße.
Ergänzend machen sich typische Beschwerden wie Brustschmerzen und Kurzatmigkeit bei körperlicher Anstrengung häufig erst dann bemerkbar, wenn das Gefäßvolumen zu mindestens 70 Prozent verengt ist. Doch schon bei weit geringerer Stenosierung verschlechtert sich der Blutfluss deutlich und damit auch die Versorgung des Herzens mit Sauerstoff. Eine mäßige KHK ohne höhergradig verengte Gefäße kann weder mittels Stress-EKG noch durch Myokardszintigrafie oder Kardio-MRT nachgewiesen werden. In diesen Fällen, so zeigte sich jetzt, ist das Belastungs-EKG der Trumpf im Ärmel.
Belastungs-EKG detektiert 100 Prozent der Myokard-Ischämien
Wird bei Patienten, die ohne kardiovaskuläre Vorbefunde und ohne Beschwerden beispielsweise wegen einer Sporttauglichkeitsuntersuchung einen Sportmediziner aufsuchen, eine Ergometrie durchgeführt, so gibt ein auffälliges Belastungs-EKG einen wichtigen Hinweis. Wie die Studie von Sinha et al. (8) zeigt, deckt es etwa eine Ischämie des Myokards zuverlässig auf. Für die mikrovaskuläre Dysfunktion lag die Spezifität der Untersuchung bei 100, der negative Vorhersagewert bei 34 Prozent. »Lassen sich diese Daten bestätigen, belegt das eine neue Qualität des Belastungs-EKGs. Und gleichzeitig scheint es zu stimmen, dass keine Ischämie im Myokard vorliegt, wenn das Belastungs-EKG unauffällig ist«, erklärt Prof. Dr. Jürgen M. Steinacker, Kardiologe und Sportmediziner, Universität Ulm.
Gleichzeitig bietet die Untersuchung eine gute Möglichkeit, um den Verlauf bekannter Durchblutungsstörungen des Herzens regelmäßig zu überwachen. Nimmt die Leistungsfähigkeit unter Belastung ab, kann das an verschlechterter Durchblutung liegen und die Therapie kann angepasst werden. »Die Diagnostik in der Kardiologie ist wie ein Puzzle. Es gibt mehrere Verfahren und der Kardiologe muss anhand des vor ihm sitzenden Patienten und der Anamnese entscheiden, welches im ersten Schritt sinnvoll ist und wie bei welchem Ergebnis weiter vorgegangen wird. Ist ein Koronar-CT oder eine Herzkatheter-Untersuchung unauffällig, so sind die Herzkranzgefäße in Ordnung. Doch die Studie zeigt, dass wir Patienten mit pektanginösen Beschwerden dennoch nicht einfach nach Hause schicken, sondern eine Ergometrie anschließen sollten. Ist diese positiv, kann man prognostisch wohl davon ausgehen, dass sich bei diesen Personen noch eine KHK entwickeln kann und somit die kardiovaskulären Risikofaktoren ggf. auch medikamentös behandelt werden sollten«, gibt Prof. Niebauer zu bedenken.
Strampeln für die Psyche
Grundsätzlich reduzieren körperliche Aktivität und gezieltes Training die Mortalität. Daher sollte allen Patienten, soweit medizinisch vertretbar, geraten werden, körperlich aktiv zu bleiben oder zu werden. Die mittels Belastungs-EKG gemessene körperliche Leistungsfähigkeit bildet die Basis für das Training. Das Wissen um die maximale individuelle Belastbarkeit kann für Herzpatienten wie auch für kardiologisch Gesunde psychologisch wichtig sein. Denn aus Angst vor einer Überlastung des Herzens reduzieren viele Betroffene tendenziell ihre körperliche Aktivität noch weiter – dabei ist gerade für KHK-Patienten körperliches Training ein wichtiger Baustein in der Rehabilitation und Therapie (7). Im ambulanten Bereich gibt es dafür medizinische Trainingstherapien und Herzsportgruppen. Weniger belastbare Personen finden in Herzinsuffizienzgruppen die richtige Anleitung und das richtige Maß.
Fazit: Das Belastungs-EKG liefert eine Reihe funktioneller Erkenntnisse zur körperlichen Leistungsfähigkeit, zu Rhythmus und Rhythmusstörungen sowie zur Blutdruckregulation unter Belastung, die mit bildgebenden Verfahren allein nicht erhoben werden können. Es verdient deshalb weiterhin einen festen Platz in der kardiologischen Diagnostik und im Monitoring (4).
■ Hutterer C
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Quellen:
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