Wie sinnvoll sind Smartwatches für die Erkennung von Herzrhythmusstörungen?

Wie sinnvoll sind Smartwatches für die Erkennung von Herzrhythmusstörungen?
© daisha / Adobe Stock (KI generiert)

Herzrhythmusstörungen stellen weltweit ein erhebliches Gesundheitsproblem dar. Vorhofflimmern (VHF), die am weitesten verbreitete Arrhythmie, betrifft in Europa etwa 8,8 Millionen Menschen im Alter ab 55 Jahren (Stand 2010). Prognosen zufolge könnte sich diese Zahl bis 2060 auf 17,9 Millionen und damit mehr als das Doppelte erhöhen (1). Schon jetzt gehen zahlreiche vorzeitige Todesfälle bei Personen unter 75 Jahren in Europa jährlich auf das Konto von VHF und anderen Arrhythmien. VHF bleibt aus verschiedenen Gründen häufig zunächst unerkannt. Das hängt mit der Natur der Erkrankung (asymptomatischer Verlauf, intermittierendes Auftreten, unspezifische Symptome) ebenso zusammenhängen wie mit patientenbezogenen Faktoren (z. B. mangelndes Bewusstsein für Risikofaktoren, kein Arztkontakt) und Faktoren der Gesundheitsversorgung (kein systematisches Screening, limitierte Verfügbarkeit von Langzeit-Monitoring, unterdiagnostizierte Frühstadien).

Die Erkennung von VHF ist aus mehreren klinisch relevanten Gründen von zen­traler Bedeutung. Am wichtigsten sind:
1. Reduktion des Risikos für kardioembolische Schlaganfälle durch rechtzeitige Prophylaxe
2. Reduktion kardiovaskulärer Komplikationen durch strukturelle und funktionelle Veränderungen aufgrund des VHF
3. Verlangsamung oder Verhinderung der Progression von episodischem zu permanentem VHF durch frühzeitige Behandlung
4. Besseres Symptommanagement und Verbesserung der Lebensqualität

Es wäre deshalb wünschenswert, wenn die Erkennung entweder früher bzw. in Fällen, die weitgehend asymptomatisch bleiben oder nur selten auftreten, überhaupt stattfände – und hier kommen Smartwatches ins Spiel. Manche dieser Multifunktionsuhren zeichnen auch biometrische Werte wie die Herzfrequenz in Ruhe und unter Belastung, die Sauerstoffsättigung, die Körpertemperatur und weitere auf. Für die Erkennung von VHF nutzen die Uhren hauptsächlich zwei Technologien: Photoplethysmographie (PPG) und 1-Kanal-Elektrokardiographie (EKG).

Wie detektieren Smartwatches Herzrhythmusstörungen?

Bei der Photoplethysmographie (PPG) messen optische Sensoren auf der Smartwatch Veränderungen des Blutvolumens im Handgelenk. Die PPG-Sensoren senden Licht in die Haut und messen die Menge des Lichts, das entweder absorbiert oder zurückreflektiert wird. Schwankungen im Lichtsignal entsprechen Veränderungen im Blutfluss, was wiederum Rückschlüsse auf Herzfrequenz und -rhythmus zulässt. Unregelmäßigkeiten in diesen Signalen können auf das Vorhandensein von Vorhofflimmern hinweisen.

Einige Smartwatches verfügen über Elektroden, mit denen Benutzer ein EKG aufzeichnen können, indem sie einen Finger oder die Hand auf die Krone der Uhr oder eine andere Elektrode legen. Dadurch entsteht ein geschlossener Stromkreis, der die elektrische Herzaktivität erfasst. Das 1-Kanal-EKG kann eine Wellenform ähnlich einem herkömmlichen EKG liefern, wenn auch mit weniger Details. Diese Wellenform kann via Algorithmen analysiert werden, um unregelmäßige Herzrhythmen wie z. B. schnelle und unregelmäßige Herzschläge zu erkennen, die für VHF charakteristisch sind. Bei Verdacht auf VHF warnt die Smartwatch normalerweise den Benutzer und spricht eine Aufforderung an ihn aus, sich zur Bestätigung ärztlich untersuchen zu lassen.

In der Vergangenheit war der Nachweis von VHF in einem 12-Kanal-EKG Voraussetzung für die Diagnose. Doch mittlerweile haben die kardiologischen Fachgesellschaften den Weg für qualitativ gute 1-Kanal-EKGs als klinisches EKG geebnet – ganz gleich, wer es geschrieben hat (4). Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie sowie Chef­arzt am Peter Osypka Herzzentrum am Internistischen Klinikum München Süd, sagt: »Ich sehe seit Jahrzehnten neben meiner klinischen Tätigkeit jede Woche zwischen 10 und 15 ambulante Patienten mit Herzrhythmusstörungen. Inzwischen hat fast die Hälfte ein Smartwatch-EKG dabei. Wird darauf ein Vorhofflimmern nachgewiesen, braucht es natürlich eine medizinische Abklärung. Aber wenn mir ein Patient ein von ihm aufgezeichnetes EKG zeigt, das belegt, dass er nachts drei bis sechs Stunden im Vorhofflimmern ist, dann gebe ich ihm bereits parallel zur weiteren Abklärung eine Blutverdünnung.« Die Ergebnisse von Smartwatches können also medizinisch sehr relevant sein.

Prof. Dr. Thorsten Lewalter
Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Facharzt für Innere Medizin und Kardio­logie sowie Chefarzt am Peter Osypka Herzzentrum, Internistisches Klinikum München Süd © Lewalter

Meldung nicht immer zutreffend

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) betont in ihren im August 2024 veröffentlichten Leitlinien zum VHF (4), dass 1-Kanal-EKGs eines Wearables zur Diagnostik eines VHF herangezogen werden können, photoplethysmographische Erhebungen hingegen nur hinweisend sind. »Wichtig ist natürlich, sich die EKG-Streifen anzusehen, und nicht nur den Aussagen einer Smartwatch zu vertrauen«, erklärt Prof. Lewalter, »denn die Uhren haben die Tendenz, mehr Meldungen über Vorhofflimmern an den Träger oder die Trägerin zu senden, als sich später nachweisen lassen.« Das liegt daran, dass ein Algorithmus Herzrhythmusstörungen erfasst, denen aber nicht immer ein VHF zu Grunde liegen muss. Auch gehäufte atriale Extrasystolen, also weitgehend harmlose Extraschläge, die von der Vorkammer des Herzens ausgehen, führen zu einem unregelmäßigen Schlagmuster und werden durch die Smartwatch gemeldet.

Die Genauigkeit dieser Geräte bei der Erkennung von VHF war Gegenstand zahlreicher Studien, deren Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfielen – je nachdem, welches Smartwatch-Modell und welche Technologie verwendet wurde. Die Apple Watch ist eines der am häufigsten untersuchten Geräte in diesem Zusammenhang. Sie hat eine hohe Genauigkeit bei der VHF-Erkennung gezeigt, mit Sensitivitäts- und Spezifitätswerten von konstant etwa 90 Prozent. Auch andere Smartwatches wie die Samsung Galaxy Watch, die Garmin Forerunner 945 und die Withings ScanWatch, leisten gute Arbeit bei der Erkennung von VHF (1).

Auswertung eines Smartwatch-EKGs. Auf der linken Seite zeigt sich das in der 30-sekündigen Messung aufgezeichnete Flimmern. In der Tageszeitleiste auf der rechten Seite sieht man die zwischen ca. 5 und 8 Uhr aufgezeichnete durchgehend hohe Herzfrequenz. 80-jährige Pat., gelegentliche nächtliche Palpationen, max. 1-2 h CHA2DS2VAsc: 5
Auswertung eines Smartwatch-EKGs. Auf der linken Seite zeigt sich das in der 30-sekündigen Messung aufgezeichnete Flimmern. In der Tageszeitleiste auf der rechten Seite sieht man die zwischen ca. 5 und 8 Uhr aufgezeichnete durchgehend hohe Herzfrequenz. © Lewalter

Früherkennung von VHF allein reicht nicht

Obwohl die Uhren falsch-positive Meldungen liefern, tragen sie bei einer relevanten Zahl an Personen dazu bei, dass seltene, kurze und symptomlose VHF-Episoden früher oder überhaupt erkannt werden. Das klingt nach einer guten Nachricht. »Doch nun stellen wir fest, dass die Studienergebnisse und Handlungsschemata, die wir bei Patienten mit permanentem VHF anwenden, nicht direkt auf diese Fälle übertragbar sind«, erklärt Prof. Lewalter. Augenöffnend dafür sind zwei große Studien: der Artesia-Trial (2) und die NOAH-AFNET-Studie (3). Beide untersuchten, ob  Patienten, die unter kurzem subklinischem bzw. kurzem hochfrequentem VHF litten, von einer Blutverdünnung hinsichtlich ihres Schlaganfall-Risikos profitierten. Viele dieser Patienten und ihrer Ärzte wissen bisher nichts von den Episoden, weil sie nur selten auftreten, nur wenige Minuten lang andauern und daher selten aufgezeichnet werden. Durch die kontinuierliche Überwachung mittels Herzschrittmachern oder zukünftig vermehrt Smartwatches werden nun auch kurze VHF-Episoden erkannt.

Doch wie behandelt man diese Patienten? Das war die Frage der beiden Studien. Während bei Personen mit permanentem VHF durch die Gabe oraler Blutverdünner das Schlaganfallrisiko signifikant sinkt und gleichzeitig negative Effekte durch die erhöhte Blutungsneigung vertretbar sind, zeigten die genannten Studien ein anderes Bild. Zunächst scheint das Schlaganfall-Risiko bei Patienten mit kurzen Flimmer-Episoden geringer zu sein als bei permanentem VHF. Bei NOAH-AFNET führte die Gabe oraler Antikoagulation jedoch zu mehr Blutungen, ohne dass sich die Schlaganfallhäufigkeit verringerte (3) – Grund genug, die Studie vorzeitig zu beenden. Auch in der Artesia-Studie fehlten klare Vorteile für die Patienten bei einer höheren Rate an schwerwiegenden Blutungen (2). »Die Regel, dass man mit Blutverdünnung Schlaganfälle überhaupt und vor allem mehrere davon verhindert, als man Blutungen induziert, gilt hier nicht mehr. Wir brauchen nun also auch neue Daten, wie man Menschen in diesen sehr frühen Stadien optimal behandelt«, betont Prof. Lewalter.

Kontinuierliche Aufzeichnung kann die Diagnostik von Herzrhythmusstörungen unterstützen

Diese Beispiele zeigen nicht nur, wie wichtig die möglichst frühe Erkennung sehr früher Stadien von Herzrhythmusstörungen ist, sondern auch, dass Behandlungsschemata nicht auf jedes Stadium übertragen werden können. Prof. Lewalter rät symptomatischen Patienten, bei denen trotz Langzeit-EKG keine Episoden aufgezeichnet werden können, zum Tragen einer Smartwatch mit 1-Kanal-EKG-Funktion. »So können wir manchen Herzrhythmusstörungen besser auf die Spur kommen und dann abklären, welche Ursachen dahinterstecken und ob eine Behandlung notwendig ist«, sagt der Kardiologe.

Zusammenfassend wird sichtbar, dass moderne Smartwatches eine bequeme, nichtinvasive und kontinuierliche Methode zur ersten Erkennung von VHF sind. Eine medizinische Diagnostik können sie freilich nicht ersetzen – aber sie helfen dabei, selten und kurz auftretende Episoden von Herzrhythmusstörungen überhaupt aufzuzeichnen. Der systematische Einsatz könnte möglicherweise bei Risikopatienten (z. B. älteren Menschen, Personen mit Bluthochdruck oder Diabetes) von Nutzen sein. Dafür muss aber auch die Infrastruktur im Gesundheitswesen vorliegen, so dass Daten von Smartwatches einfach und sicher an die betreuenden Ärzte übertragen und von ihnen gelesen werden können.

Auch Patienten können von den Ergebnissen profitieren. Denn sie entwickeln möglicherweise ein Bewusstsein für ihre Situation, lernen ihre Symptome besser zu verstehen und suchen zu sinnvollen Zeitpunkten ihren Arzt oder ihre Ärztin auf.

■ Hutterer C

Ähnliche Beiträge zum Thema finden Sie weiter unten!

Quellen:

  1. Bogár B, Peto D, Sipos D, Füredi G, Keszthelyi A, Betlehem J, Pandur AA. Detection of Arrhythmias Using Smartwatches - A Systematic Literature Review. Healthcare 2024; 12: 892. doi:10.3390/healthcare12090892

  2. Healey JS, et. al. ARTESIA Investigators. Apixaban for Stroke Prevention in Subclinical Atrial Fibrillation. N Engl J Med. 2024; 390: 107-117. doi:10.1056/NEJMoa2310234

  3. Kirchhof P, et.al. NOAH-AFNET 6 Investigators; NOAH-AFNET6 sites and investigators. Anticoagulation with Edoxaban in Patients with Atrial High-Rate Episodes. N Engl J Med. 2023; 389: 1167-1179. doi:10.1056/NEJMoa2303062

  4. Van Gelder IC, Rienstra M, Bunting KV, Casado-Arroyo R, et al. ESC Scientific Document Group. 2024 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): Developed by the task force for the management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC), with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. Endorsed by the European Stroke Organisation (ESO). European Heart Journal. 2024; 45: 3314-3414. doi:10.1093/eurheartj/ehae176