Was kommt nach dem Body-Mass-Index?
Der Body-Mass-Index (BMI) hat sich seit seiner Entwicklung im frühen 19. Jahrhundert als weit verbreitetes Instrument zur Beurteilung von Körpergewicht und Gesundheitsrisiken etabliert. Jedoch wächst die Kritik an diesem einfachen Maß und an seiner Tauglichkeit, gesundheitliche Risiken präzise zu erfassen. Alternative, ähnlich einfach zu erhebende Indizes werden seitdem intensiv erforscht und sind in der aktuellen S3-Leitlinie »Adipositas – Prävention und Therapie« bereits angekommen (2).
Der Body-Mass-Index: Historie und Kritik
Der Body-Mass-Index wurde im 19. Jahrhundert als Maß zur Bestimmung des Normalgewichts einer Bevölkerung eingeführt. In den 1970er-Jahren erreichte er als einfacher Indikator für Übergewicht und Adipositas in der klinischen Praxis und Epidemiologie große Popularität. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definierte daraufhin Grenzwerte für Übergewicht bzw. Präadipositas und Adipositas (2, siehe Tabelle 1). Trotz seiner breiten Anwendung zeigt sich mittlerweile, dass der BMI durch die Nichtberücksichtigung von Körperzusammensetzung und Fettverteilung eine Unschärfe in der Risikoeinschätzung bezüglich kardiovaskulärer Erkrankungen und anderer metabolischer Störungen wie z. B. Diabetes Typ 2 mit sich bringt.
PD Dr. Susanne Kobel ist Sport- und Bewegungswissenschaftlerin am Universitätsklinikum Ulm sowie Projektleiterin des Gesundheitsförderungsprogramms »Komm mit in das gesunde Boot«. Für sie hat der unkompliziert zu erhebende BMI durchaus eine Berechtigung als Messinstrument für die breite Bevölkerung, internationale Vergleiche etc., ist jedoch zur Vorhersage individueller Gesundheitsrisiken nur sehr bedingt geeignet. Auch für einzelne Bevölkerungsgruppen ist seine Aussagekraft begrenzt: »Ein gut trainierter Sportler mit hohem Muskel- und niedrigem Körperfettanteil etwa kann, weil Muskeln deutlich schwerer sind als Fett, einen hohen BMI haben. Rein rechnerische Indizes wie Waist-Hip Ratio oder Waist-to-Height Ratio liefern für sie etwas bessere, aber immer noch ungenaue Ergebnisse. Hier könnte man alternativ auf Methoden wie Bioimpedanzanalyse, Luftverdrängungsplethysmographie, Hautfaltenmessung, Unterwasserwiegen, Ultraschall oder MRT zurückgreifen – die aber höchstens im Profi-Umfeld tatsächlich vorgenommen werden und nicht für alle Personengruppen geeignet sind.
Bei geriatrischen Patienten mit viel Fett und wenig Muskelmasse, die einen irreführend normalen BMI aufweisen, interessiert vermutlich die Knochendichte zusätzlich zur Fettverteilung. Dann wäre direkt ein DEXA-Scan zielführend, der aber wiederum teuer, nicht überall möglich und mit Strahlung behaftet ist.« Diese sarkopenische Adipositas (SO) wird derzeit noch selten diagnostiziert. Das nimmt Betroffenen die Chance auf wirksame Beratung und Behandlung. Ein Gremium der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) und der European Association for the Study of Obesity (EASO) versucht hier aktuell, einen Expertenkonsens herzustellen (3).
Kinder und Jugendliche werden laut Dr. Kobel vom BMI ebenfalls nur ungenau erfasst, weil ihre Körperzusammensetzung während der Pubertät stark variiert. »Für sie wurden die BMI-Perzentile entwickelt, die Geschlecht und Alter mit einbeziehen und einen guten Rahmen geben, was normal ist. Sind dabei grobe Abweichungen vom Normalmaß zu erkennen, kann man dann ggf. zeitnah die nötigen Schritte einleiten.« Besser als die BMI-Perzentile scheint für diese junge Personengruppe die Anwendung der Weight-to-Height Ratio (WHtR) zu sein (10).

Der Einfluss von viszeralem Fett
Ein zentrales Thema in der Diskussion um die Tauglichkeit des BMI ist die fehlende Unterscheidung zwischen subkutanem und viszeralem Fett. Studien haben gezeigt, dass insbesondere das viszerale Fett um die inneren Organe im Bauchraum die Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und weiteren metabolische Störungen vorantreiben kann, indem es entzündungsfördernde Zytokine sowie Fettsäuren freisetzt.
Diese begünstigen Insulinresistenz und eine gestörte Lipidstoffwechselregulation, welche wiederum mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert sind. Beispielsweise konnte in einer Subgruppe der NAKO-Studie ein direkter Zusammenhang zwischen erhöhtem viszeralem Fett und einer höheren Prävalenz von Bluthochdruck, Insulinresistenz und dyslipidämischen Werten gezeigt werden (8). Zahlreiche Studien haben mittlerweile gezeigt, dass die Messung von viszeralem Fett, ob durch alternative Indizes oder gerätegestützte Untersuchungen, ein deutlich besserer Prädiktor für künftige Erkrankungen ist als der Body-Mass-Index allein (8, 9).
Die Rolle der Muskelmasse
Neben der Fettverteilung spielt auch die Gesamtzusammensetzung des Körpers eine zentrale Rolle in der Gesundheitsbewertung. Eine hohe Muskelmasse etwa ist mit zahlreichen positiven Aspekten wie besserer Insulinempfindlichkeit, höherem Energieverbrauch und guter kardiovaskulärer Fitness verbunden. Im Gegensatz dazu erhöht eine geringe Muskelmasse das Risiko für Sarkopenie, funktionelle Einschränkungen und frühere Mortalität, wie Professor Dr. Martin Halle erklärt. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Sportmedizin und Sportkardiologie und forscht am Münchner TUM Universitätsklinikum/Klinikum rechts der Isar an der Prävention und Rehabilitation von Herzkreislauf- und Krebserkrankungen durch Lebensstiländerungen, insbesondere Sport. Er sieht ein großes Problem darin, dass bei jeglichem Abnehmen auch Muskelmasse schwindet. »Das ist ein Thema, weil die Muskelmasse ja für den Grundumsatz wichtig ist. Ohne gleichzeitigen Muskelaufbau kann man weder konsistent Gewicht verlieren noch einen erreichten Status halten. Körperliches Training ist also essenziell, ebenso wie eine proteinreiche Ernährung – sie hilft nicht nur dabei, länger satt zu bleiben, sondern auch beim Aufbau neuer Muskulatur.«
Ausgerechnet bei jeglichem Abnehm-Vorhaben ist nun der Body-Mass-Index allein höchst trügerisch – egal, ob der Patient begleitend körperlich trainiert oder nicht. Hier wünscht sich Dr. Halle genauere Diagnostik: »Eigentlich interessiert ja der prozentuale Anteil von abdominellem Fettgewebe versus Muskelmasse. Das wäre die optimale Größe, für die der BMI jedoch ungeeignet ist. Mittels Bioimpedanzanalyse zum Beispiel kann man das schön sehen und auch im Verlauf immer wieder nichtinvasiv messen.«

Klinikum rechts der Isar, München © TUM
Alternative anthropometrische Indizes
Angesichts der genannten Limitationen des BMI wurden verschiedene alternative Messgrößen entwickelt, die eine genauere Einschätzung individueller Risiken ermöglichen. Einige dieser Indizes haben das Potenzial, statistisch signifikante Korrelationen zwischen Viszeralfettanteil und Gesamtmortalität präziser aufzuzeigen. Die »The Lancet Diabetes & Endocrinology Commission« schlägt in ihrem Positionspapier zur Diagnose von Adipositas vor, anthropometrische Kennzahlen grundsätzlich mit klinischen Kriterien zu verbinden (7).
1. Anthropometrische Messungen: Zusätzlich zum BMI muss das Vorliegen übermäßiger Fettmasse durch mindestens ein weiteres Maß (z. B. WHR, WHtR) oder durch direkte Fettmessung (z. B. DEXA-Scan, BIA) bestätigt sein. Bei Personen mit sehr hohem BMI (> 40 kg/m²) kann dies pragmatisch angenommen werden.
2. Klinische Kriterien (eines oder beide der folgenden): Nachweis von adipositasbedingten Organ- oder Gewebe-Funktionsstörungen und/oder wesentliche altersangepasste Einschränkungen täglicher Aktivitäten durch die Adipositas (z. B. Mobilität oder andere grundlegende Aktivitäten des täglichen Lebens)
Obwohl in der aktuellen S3-Leitlinie Adipositas aufgrund der aktuell noch ausbaufähigen Evidenzlage bei manchen BMI-Alternativen noch kein voller Konsens vorliegt, fordert das Autorenteam für die Zukunft deren stärkere Berücksichtigung sowie mehr Trennschärfe bei der Diagnostik geriatrischer Patienten, um sowohl Unter- als auch Überdiagnostik und ggf. damit einhergehende Stigmatisierung zu vermeiden.
Zur Verlaufskontrolle gewichtsreduzierender Maßnahmen empfiehlt sie zudem ein Tracking über dynamische Größen wie den relativen und den exzessiven Gewichtsverlust (RWL und EWL) (2). Der große Fragenkomplex »Macht jedes Übergewicht krank?« wird im Positionspapier der Lancet-Kommission (7) mit dem o. g. integrativen Ansatz adressiert. Zahlreiche weitere Studien räumen außerdem mit dem sog. Adipositas-Paradox auf (z. B. 1); so ergab sich etwa für inaktive 40-jährige Normalgewichtige gegenüber aktiven Übergewichtigen/Adipösen ein größerer Verlust an Lebensjahren (6).
Dr. Halle mahnt dennoch zum Hinsehen: »Auch wenn eine fitte, aber laut BMI, WHR etc. adipöse Person keinerlei klinische Anzeichen wie Fettleber, Gefäßdysfunktionen, Diabetes oder Augenprobleme hat, sind Symptome meist nur eine Frage der Zeit. Kontinuierlicher Muskelaufbau und -erhalt kann mit Adipositas assoziierte Erkrankungen durchaus um einige Jahre hinauszögern – aber idealerweise sollte Übergewicht zeitnah und konsequent abgebaut werden.«

(Zusammenstellung aus 2, 4, 5, 7, 8, 9, 11) © DZSM 2025
Medizinische Implikationen
Als multifaktorielles Problem sind Übergewicht und Adipositas ein Fall für interdisziplinäre Behandlungskonzepte. Anthropometrische Indizes, von denen fast alle besser geeignet sind als der Body-Mass-Index, können und sollen dabei mit Augenmaß eingesetzt werden – sowohl in der Diagnostik als auch für die Verlaufskontrolle dietätischer und sportlicher Interventionen. Für die Implementierung entsprechender Screenings und Beratungsangebote sieht Dr. Halle noch viel Luft nach oben: »Gerade seit es Abnehmspritzen wie Wegovy oder Ozempic gibt, wächst die Gefahr unreflektierter, rein medikamentös induzierter Abnehmstrategien. Bei aller Sinnhaftigkeit dieser Wirkstoffe dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass Ernährung und Muskelaufbautraining ebenso essenzielle Säulen der Adipositasbehandlung sind. Das muss professionell begleitet und regelmäßig evaluiert werden. Und dafür wiederum sind anthropometrische Indizes, Körperfettmessungen und dynamische Werte wie RWL und EWL sinnvoll.«
■ Kura L
Quellen:
Butt JH, Petrie MC, Jhund PS, Sattar N, Desai AS, Køber L, Rouleau JL, Swedberg K, Zile MR, Solomon SD, Packer M, McMurray JJV. Anthropometric measures and adverse outcomes in heart failure with reduced ejection fraction: revisiting the obesity paradox. Eur Heart J. 2023; 44: 1136-1153. doi:10.1093/eurheartj/ehad083
Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V. S3-Leitlinie Adipositas – Prävention und Therapie, Version 5.0 Oktober 2024. [Zugriff am 15.03.2025]
Donini LM, Busetto L, Bischoff SC, Cederholm T, Ballesteros-Pomar MD, Batsis JA, Bauer JM, Boirie Y, et al. Definition and Diagnostic Criteria for Sarcopenic Obesity: ESPEN and EASO Consensus Statement. Obes Facts. 2022; 15: 321-335. doi:10.1159/000521241
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