Was bewirkt Marathonlaufen im Gehirn?

Was bewirkt Marathonlaufen im Gehirn?
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Immer deutlicher zeigt sich, dass körperliche Aktivität neben den Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und den Stoffwechsel auch positive Auswirkungen auf neurologische und psychiatrische Erkrankungen wie Demenz, Depression und Schizophrenie hat. Ursache für die Effekte scheint die Induktion und Modulation von Neuroplastizität zu sein. Körperliche Aktivität erhöht die kortikale Kapillarversorgung, induziert die Entwicklung neuer Neuronen, verursacht Veränderungen in der Zytoarchitektur, erhöht die zelluläre Proliferation, die dendritische Komplexität und die Freisetzung neurotropher Faktoren wie des brain-derived neurotrophic factor (BDNF). BDNF wiederum wurde positiv mit einer Zunahme des Hippocampus-Volumens korreliert. Körperliche Aktivität führt zur Vergrößerung und zum Größenerhalt des Hippocampus-Volumens sowie zu einer erhöhten kortikalen Konnektivität. Diese Effekte könnten dem kognitiven Abbau und Gedächtnisverlust vorbeugen.

Um den genauen und auch über die akute Aktivität hinausgehenden Veränderungen im Gehirn auf die Spur zu kommen, untersuchte eine aktuelle Studie die elektrokortikalen Auswirkungen von regelmäßiger körperlicher Aktivität während der intensiven Vorbereitung auf einen Marathon (8 bis 12 Wochen vor dem Wettkampf, T-1), während der Taperphase 14 bis 4 Tage vor dem Lauf (T0), ein bis sechs Tage (T2) und 13 bis 15 Wochen (T3) nach dem Marathon auf alle Frequenzbänder (1).

Frühere Untersuchungen, bei denen die Hirnaktivität während körperlicher Aktivität gemessen wurde, hatten sich ausschließlich auf die akuten Effekte beschränkt. Dabei wurde ein vorübergehender Anstieg der Alpha-Wellen während und direkt nach Beendigung der Aktivität und ein schnelles Abklingen dieses Effekts beobachtet. Alpha-Wellen werden bei leichter Entspannung bzw. bei entspannter Wachheit registriert. Auf Grund der hohen Intensität der Belastung in der Marathon-Studie erwarteten die Autoren, die Entwicklung dieser Effekte über einen längeren Zeitraum auch nach der intensiven körperlichen Aktivität verfolgen zu können (T2).

Intensive körperliche Aktivität kann auch – zumindest vorübergehend – negative Auswirkungen haben. So beeinträchtigt Dehydrierung durch anstrengende Bewegung die Informationsverarbeitung und Gedächtnisfunktionen, aber auch die kardiale Repolarisation oder der Elektrolytstatus leiden. Ob sich ähnliche nachteilige Auswirkungen auf die Neuroplastizität oder die elektrokortikale Aktivität zeigen lassen, war Teil der aktuellen Fragestellung.

Welche Unterschiede gibt es also bei der elektrokortikalen Aktivität gesunder Erwachsener während mäßig intensiver körperlicher Aktivität, beim Marathontraining und in der Erholungsphase, und wie hängen diese Veränderungen mit der Stimmung und den neurochemischen Veränderungen im Gehirn zusammen?

Bei mäßig intensiver körperlicher Betätigung wird ein Anstieg der Alpha-Leistung und eine Asymmetrie der vorderen Hemisphären im Alpha-Frequenzband beobachtet, was auf Entspannung oder Veränderungen im Affekt hinweist. Zu Grunde liegen verstärkte somatosensorische Afferenzen, Veränderungen der Noradrenalin-Konzentration, hypothalamische Regulierung und Modulation durch subkortikale Regionen wie den Thalamus.

Beim Marathontraining und in den Erholungsphasen zeigten sich in der aktuellen Studie reduzierte Alpha-2- und Delta-Leistungen. Delta-Wellen werden beim Erwachsenen im Non-REM-Schlaf beobachtet, aber auch bei pathologischen zerebralen Prozessen wie der Alzheimer-Demenz. Die Autoren vermuten eine kompensatorische Herunterregulierung der Serotoninproduktion. Vielleicht ist das die physiologische Erklärung des Post-Race-Blues‘, den viele Athleten nach dem Erreichen eines großen sportlichen Ziels kennen.

Bei der langfristigen Nachbeobachtung ließen diese Effekte nach, was darauf hindeutet, dass bei einem Marathonlauf mit Hilfe des EEG keine langfristig anhaltenden Effekte der Neuroplastizität festgestellt werden können. Welche Bedeutung die vorübergehenden Veränderungen im Gehirn haben könnte, ist noch unklar. Weitere Studien sollten neben den Hirnströmen auch die Konzentration einiger Neurotransmitter erheben.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Moussiopoulou J, Pross B, Handrack M, Keeser D, Pogarell O, Halle M, Falkai P, Scherr J, Hasan A, Roeh A. The influence of marathon running on resting-state EEG activity: a longitudinal observational study. Eur J Appl Physiol. 2023. doi:10.1007/s00421-023-05356-4