Totalendoprothese: Mehr Mut zum High-Impact-Sport

Totalendoprothese: Mehr Mut zum High-Impact-Sport
© catsnfrogs / Adobe Stock

Sport ist äußerst selten dafür verantwortlich, dass eine Totalendoprothese (TEP) der Hüfte bei Patienten mit Arthrose ausgetauscht werden muss. Ärzte sollten ihre Patienten daher stärker als bisher üblich dazu motivieren, geliebte Sportarten mit ihrer künstlichen Hüfte auszuüben – auch Sportarten mit höherer Belastung, wenn die Patienten darin geübt sind. Das sind die Kernergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie zu Sport nach TEP, in die die Erfahrungen von 99 endoprothetisch sehr erfahrenen Orthopäden und Unfallchirurgen einflossen. Alle Teilnehmer sind Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik (AE) innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und implantieren seit vielen Jahren regelmäßig Hüft- und Knie-TEP (3).

Risiken für die Totalendoprothese durch Sport werden überschätzt

„Es gibt kaum Patienten, die sich zu viel bewegen“, gibt Studienautor Prof. Dr. Carsten Perka – Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskelettale Chirurgie, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Charité Berlin – zu bedenken. „Die meisten treiben zu wenig Sport nach der Hüft-TEP.“ Dabei wirkt sich Inaktivität negativ auf die Knochendichte aus und gefährdet so den Implantationserfolg. Weil die Totalendoprothese der Hüfte jedoch vor allem durch High-Impact-Sport wie Ballsport, Hockey und Tennis stark belastet wird, wurde früher prinzipiell von diesen Sportarten abgeraten.

Der gefürchtete Abrieb des Materials, zumeist des früher verwendeten Polyethylens, ist jedoch in der Bedeutung durch die neuen Materialien zurückgegangen. Lockerungen und Osteolyse spielen immer weniger eine Rolle. Die aktuell bevorzugt verwendeten Totalendoprothesen mit hochvernetztem Polyethylen und/oder neuartiger Mischkeramik als Pfannengleitlager zeigen im Simulator extrem geringe Abriebraten. Dadurch, dass zudem Implantate mit größerem Femurkopf (bis zu 36 mm) verwendet werden, sinkt auch das Risiko einer Luxation.

Die im Rahmen der Studie befragten Chirurgen sahen bei intensivem Sport nach dem Gelenkersatz vor allem ein Risiko: dass es zu einer Fraktur in der Umgebung des künstlichen Gelenks kommt. 59% der Teilnehmer betrachteten dieses Risiko als relevant. Platz 2 der möglichen negativen Folgen von Sport mit Totalendoprothese erreichte die Luxation, 41% der Befragten erwähnten dieses Risiko. Je ein Drittel nannte zudem einen erhöhten Abrieb des Materials und die Lockerung des Implantats als mögliche Folge des Sports. Tatsächlich gibt es wenig Evidenz für solche Komplikationen, die aus Sport resultieren. In der Fachliteratur sind lediglich zwei Fälle von Frakturen in der Umgebung einer Hüft-TEP infolge von Wintersportunfällen dokumentiert (1).

Prof. Dr. Carsten Perka, Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskelettale Chirurgie, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Charité Berlin
Prof. Dr. Carsten Perka, Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskelettale Chirurgie, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Charité Berlin © Perka
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Belastbarer Gelenkersatz ist operativ teilweise planbar

Von Vorteil ist, wenn ein sportbegeisterter Patient im Beratungsgespräch vor der Operation seinen Chirurgen darüber informiert, welchen Sport er nach dem Gelenkersatz beibehalten möchte. Teilweise kann der Operationszugang so gewählt werden, dass für die Sportart wichtige Gewebestrukturen rund um das Gelenk erhalten werden. Auch die Auswahl des Implantats hängt manchmal von Patientenwünschen ab. Für körperlich aktive Menschen, die ihren Sport wieder ausüben möchten, bevorzugten zwei Drittel der befragten Chirurgen eine zementfreie Fixierung der Hüft-TEP. Außerdem wählten die meisten der befragten Chirurgen für diese Patienten Implantate mit etwas größeren Femurköpfen, bei denen das Luxationsrisiko reduziert ist.

Was noch erforscht werden muss, ist, welches Modell der Hüft-TEP sich für welche Sportart am ehesten eignet. Perka nennt das Beispiel der Gelenkpfanne mit tripolarer Gelenkpaarung („double mobility“). Diese Art der Hüft-Totalendoprothese gleitet so ineinander, dass selbst extreme Gelenkstellungen nicht zum Ausrenken führen. Sie könnte damit für alle Vorteile haben, die Yoga, Kunstturnen oder auch Rudern auf hohem Niveau weiter praktizieren wollen. „In Frankreich kommen tripolare Gelenkpaarungen schon seit den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Einsatz“, informiert Perka, „hier sind sie erst in den letzten Jahren verbreiteter, bisher vor allem bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine Luxation. Zum Beispiel nach einem Unfall, wenn Muskeln und Knochen stark geschädigt sind oder bei neurologischen Erkrankungen mit Ganginstabilität.“ Bei ihnen bewähren sie sich, so Perka. „Noch fehlen Langzeitdaten, ob diese neuen Gelenkpaarungen auch unter intensivster mechanischer Belastung gleich gute Langzeitergebnisse erzielen wie Hüftprothesen mit einer normalen Kopf-Inlay-Situation“, räumt er ein. „Über das Risiko müssen wir interessierte Patienten natürlich informieren.“ Aber grundsätzlich biete diese Lösung sportbegeisterten Patienten die Möglichkeit, auch Aktivitäten, die einen hohen Bewegungsumfang des Gelenkes erfordern, bald wiederaufnehmen zu können.

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Der BioBall MaxiMotion, eine Gelenkpfanne mit tripolarer Gelenkpaarung („double mobility“). Diese Art der Hüft-TEP gleitet so ineinander, dass selbst extreme Gelenkstellungen wie beim Yoga nicht zum Ausrenken führen. © merete
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Der BioBall MaxiMotion, eine Gelenkpfanne mit tripolarer Gelenkpaarung („double mobility“). Zementierte Version mit Metallsteckkopf. © merete
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Der BioBall MaxiMotion, eine Gelenkpfanne mit tripolarer Gelenkpaarung („double mobility“). Zementfreie Variante mit Keramiksteckkopf. © merete

Welcher Sport für wen?

79,8 % der befragten Chirurgen gaben an, einen positiven Einfluss von Sport auf die Langlebigkeit der Hüft-TEP zu vermuten. 52 % befürworteten High-Impact-Sportarten mit adäquatem Training vorher bzw. Modifikationen während des Sports, 8 % befürworteten High-Impact-Sportarten sogar uneingeschränkt. Perka präzisiert: „Die befragten Kollegen und ich sind uns einig: Sportarten wie Skifahren, Reiten und Tennis bleiben mit Hüft-TEP möglich, wenn man bereits trainiert ist und die koordinativen Fähigkeiten ausgereift sind.“ Dann besitze der Patient die Muskeln und die Stabilität, weiterhin sicher seinen Sport auszuüben.

Auch für bislang Untrainierte geeignet seien Low-Impact-Sportarten wie Laufen, Wandern, Nordic Walking, Fahrradfahren in der Ebene, Langlaufen, Gesellschaftstanz, Schwimmen, Golf. Mit Anleitung bzw. für Geübte empfehlen die Experten unter anderem Yoga, Gymnastik, Gerätetraining, Reiten, Tischtennis, Radsport, Tennis, Ski alpin, Rudern.

Teilweise müsse ein Patient aber auch lernen, mit Einschränkungen weiterzumachen, verdeutlicht Perka. „Bei Tennis kann man zum Beispiel im Doppel spielen. Mit dem Mountainbike sollten es nicht die steilsten Hänge sein, beim Skifahren weniger steile Pisten als vorher.“ Insgesamt sei aber viel möglich. 2019 machte der Tennisspieler Andy Murray Schlagzeilen, der im Januar 31-jährig rechts eine Hüftendoprothese bekam und im Oktober in Antwerpen das ATP-Turnier gewann.

Prinzipiell wenig geeignet sind mit Hüft-TEP High-Impact-Sportarten mit hohem Sturz- und Unfallrisiko. Alle Ballsportarten zählen dazu, Squash, Boxen und Hockey. Perka relativiert: „Ich kenne dennoch ehemalige Profifußballer, die mit künstlicher Hüfte wieder Fußball spielen.“ Pauschale Verbote auszusprechen hält er für wenig zielführend. „Abraten würde ich mit Hüft-TEP von Abenteuersport wie Bungeejumping“, ergänzt Perka – hier fehlt jegliche Kontrolle über Geschwindigkeit und Sturzrisiko. Das meiste andere komme aber bei entsprechender Vorerfahrung und Vorsicht durchaus infrage, eine entsprechende Risiko-Nutzen-Diskussion mit dem Patienten vorausgesetzt.

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Aktiven Patienten die Ängste nehmen

Grundsätzlich gibt es zwei Patientengruppen, die für eine Totalendoprothese der Hüfte prädestiniert sind: körperlich inaktive Arthrosepatienten, oft mit Begleiterkrankungen und Adipositas und körperlich Aktive, die ihre Arthrose infolge von Sportverletzungen, aufgrund einer erblichen Neigung und/oder im Beruf entwickelt haben. „Die zweite Gruppe zögert den Hüftgelenkersatz oft hinaus, auch aus Angst, dann keinen Sport mehr machen zu dürfen“, gibt Perka zu bedenken. „Dabei ist der jahrelange Konsum von Schmerzmitteln auch nicht unproblematisch.“ Daher gelte es, offen zu kommunizieren, zu informieren, Risiken zu bewerten und Ängste abzubauen.

Perka stellte die Ergebnisse der Hüft-TEP-Studie sowie einer zweiten, die sich dem Sport nach Knie-TEP widmet, am 25. November 2020 im Rahmen der Online-Pressekonferenz zur AE-Jahrestagung vor. Zahlreiche Zeitungen griffen das Thema auf. „Danach bekam ich Anrufe und Mails von Patienten, die sich sehr gefreut haben, dass sie ihren Sport jetzt auch „offiziell“ mit künstlichem Hüftgelenk durchführen können“, berichtet Perka.

Im Idealfall wird die Rückkehr zum Sport ab der Reha, die dem Gelenkersatz folgt, in Form von entsprechenden Trainings angebahnt. Nach 3 Monaten ist Low-Impact-Sport in der Regel problemlos möglich, nach 6 Monaten auch Sport mit höherer körperlicher Belastung. Wer jetzt noch Angst hat, damit sein künstliches Gelenk zu gefährden, den beruhigt vielleicht das folgende Ergebnis der Studie: Nur 1 Prozent aller Revisionseingriffe einer Hüft-TEP werden den Chirurgen zufolge nötig, weil ein Patient den falschen bzw. zu viel Sport getrieben hat.

■ Plaum P

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Quellen:

  1. McGrory BJ. Periprosthetic fracture of the femur after total hip arthroplasty occurring in winter activities: report of two cases. J Surg Orthop Adv. 2004; 13: 119–123

  2. Vu-Han TL, Gwinner C, Perka C, Hardt S. Recommendations for Patients with High Return to Sports Expectations after TKA Remain Controversial. J Clin Med. 2020; 10: 54. doi: 10.3390/jcm10010054.

  3. Vu-Han T, Hardt S, Ascherl R, Gwinner C, Perka C. Recommendations for return to sports after total hip arthroplasty are becoming less restrictive as implants improve. Arch Orthop Trauma Surg. 2020; doi: 10.1007/s00402-020-03691-1.