Tapering im Sport – wann weniger mehr ist

Tapering im Sport – wann weniger mehr ist
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Ambitionierte Athleten und Leistungssportler möchten im Wettkampf oder beim Saisonhöhepunkt die best­mögliche Leistung erbringen. Strukturiertes Training ist dafür essenziell. Dass es allerdings nicht nur um »viel hilft viel« geht, zeigt die Phase der letzten Wochen vor einem wichtigen Wettkampf – die unmittelbare Wettkampfvorbereitung UWV, in der am Ende »getapert« wird. Tapern ist eine gängige Strategie, um Ermüdung zu reduzieren und die sportliche Leistung zu verbessern. »Seit vielen Jahren hat sich in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung vor Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen ein eigenständiger Makrozyklus über vier bis acht Wochen als Trainingslager etabliert. Während dieses Zeitraums werden speziell die Komponenten Ausdauer und Kraft zunächst allgemein und dann zunehmend spezifisch ausgebildet und zur komplexen Peak-Leistung zusammengeführt. Das Tapering bildet hierbei die letzte Phase der UWV«, erklärt Dr. Kay Winkert, Wissenschaftskoordinator des deutschen Ruderverbandes und Sportwissenschaftler an der Universitätsklinik Ulm.

Grundsätzlich besteht das Prinzip von UWV und Tapering darin, etwa acht bis sechs Wochen vor einem Event den Trainingsumfang, die Intensität und evtl. auch die Frequenz zunächst zu erhöhen, um starke physische und physiologische Reize zu setzen. In dieser Phase erhält der Körper wenig Raum für Regeneration. Je nach Protokoll werden drei Wochen bis acht Tage vor dem Saisonhöhepunkt die Umfänge deutlich reduziert, während Trainingsfrequenz und -intensität weitgehend gleich bleiben. Wie man den letzten Trainingsblock und die Taper-Phase gestaltet, unterscheidet sich je nach Sportart, den im Wettkampf zu absolvierenden Strecken (z. B. Sprint, Mittel- oder Langstrecke) sowie den individuellen physiologischen Reaktionen der Athleten, die unter anderem durch deren Alter beeinflusst werden. Die meisten Untersuchungen zum Thema Tapering befassen sich mit Sportarten, die durch sehr hohe Trainingsumfänge geprägt sind, insbesondere Schwimmen, Triathlon und Radfahren. Doch auch andere Disziplinen periodisieren das Training und verringern die Belastungen von einem wichtigen Ereignis.

Physiologische Effekte von Tapering

Während der regulären Saison versuchen Trainer und Sportler das Trainingspen­sum so zu dosieren, dass weder Überlastung noch Übertraining auftreten. Beides kann zu kurz- oder langfristigen Leistungseinbußen führen und erhöht die Verletzungsgefahr. Gleichzeitig muss das Pensum ausreichend Reize setzen, um die gewünschten physischen und physiologischen Anpassungen zu erzielen. Doch verschiedene Studien haben gezeigt, dass es für günstige Auswirkungen von Trainingsbelastungen eine Obergrenze gibt, oberhalb derer Training keine weitere Anpassung hervorruft (z. B. 1, 3).

Übersteigt der Trainingsreiz dieses Maß, kippt die Waage Richtung kataboler Prozesse – der Proteinabbau übersteigt die Proteinsynthese, das Immunsystem wird übermäßig strapaziert und Gewebe geschädigt, was zu einer Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit führt (2). Das gilt es natürlich zu vermeiden. Nach hochintensiven Trainingsphasen räumt eine anschließende Periode verringerter Trainingsbelastung dem Körper Zeit für Regeneration ein, macht sich die sog. Superkompensation zu Nutze und reduziert körperliche wie psychische Ermüdung.
Untersucht man Athleten zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor, während und nach einer Taper-Phase, so finden sich kardiorespiratorische, hämatologische, neuromuskuläre, hormonelle, metabolische und psychologische Anpassungen (2). Eine Erhöhung von maximaler Herzfrequenz, Hämoglobin- und Hämatokritwerten und Muskelkraft wurden konkret beobachtet. Insgesamt sind Leistungs­steigerungen von ein bis drei Prozent möglich (2, 6).

Wie geht’s? Typische Taper-Protokolle

Um eine maximale Leistungsverbesserung zu erreichen, müssen Zeitplan und Dauer von Volumen- und Taper-Phase möglichst individuell zugeschnitten  werden. Welche Strategie letztlich zum Zug kommt, hängt ebenso vom Trainingsprofil ab wie von der individuellen Fähigkeit des Athleten, sich vom täglichen Trainingsstress zu erholen. Auskunft darüber geben Erfahrungen aus früheren Wettkampfvorbereitungen, aber auch leistungsdiagnostische Werte. Frühere Untersuchungen (4, 5) fanden zwei unterschiedliche Reaktionstypen: Der erste reagiert auf trainingsinduzierte Ermüdung mit einem vorübergehenden Leistungsabfall, gefolgt von einer lange verzögerten Leistungssteigerung durch Superkompensation (d. h. lange Verzögerung bei der Beseitigung angesammelter Ermüdung und bei der weiteren Verbesserung/Aufrechterhaltung physiologischer Anpassungen). Der zweite Typ zeigt eine schnelle physiologische Anpassung an die Trainingsbelastung ohne vorübergehenden Leistungsabfall (d. h. schnelles Abklingen der Ermüdung bei gleichzeitiger kontinuierlicher Zunahme physiologischer Anpassungen).

Neben physiologischen Voraussetzungen scheinen auch Faktoren wie das Alter zu beeinflussen, welche Reaktion abläuft. Entsprechend schlagen Avalos et al. (2003) für ältere männliche Sprintschwimmer (typische Late Responder) längere Erholungszeiten vor als für junge Mittelstreckenschwimmerinnen (Early Responder).

Folgende Steuerungsmöglichkeiten existieren:

■ Variation des Volumentrainings der Prä-Taper-Phase im Umfang insgesamt sowie Entwicklung des Volumens während der Trainingsphase
■ Dauer der Taper-Phase zwischen 21 und 8 Tagen
■ Ausmaß der Reduktion des Trainings­umfangs in der Taper-Phase zwischen 41 und 60 Prozent
■ Charakteristik der Reduktion, z. B. Geschwindigkeit der Abnahme.

Trainer arbeiten in der Regel mit Erfahrungswerten, denn welcher Athletentyp auf welche Strategie am besten anspricht, findet man zuletzt durch Versuch und Irrtum heraus. Hinweise liefern hier Leistungsdiagnostik und Laborparameter. Das optimale Trainingsdesign während der UWV ändert sich häufig auch im Laufe einer Sportlerkarriere: Heute gut funktionierende Konzepte können in der nächsten Saison weniger erfolgreich sein. Stetige Reflektion und Flexibilität sind daher nötig.

Starke Reize im Volumentraining, …

Hellard et al. (2) haben bei Schwimmern die Vorbereitung in den letzten sechs Wochen vor einem großen Wettkampf analysiert. Nach drei Wochen hoher Trainingsumfänge
(Volumentraining) wurde in den letzten drei Wochen getapert. In beiden Phasen wurden jeweils vier Varianten miteinander verglichen und sowohl getrennt als auch in Kombination analysiert. Die größten leistungssteigernden Effekte von 2,4 ± 1,6 Prozent kamen zustande, wenn in der ersten Trainingswoche mit mittlerer Trainingslast (84 ± 17 Prozent) begonnen wurde und in der zweiten und dritten Woche ein linearer langsamer Abfall (auf 80 ± 19 Prozent) erfolgte. Andere Varianten mit höherer Last in der ersten Woche und schnellerem Abfall, mit mittlerer Last zu Beginn und steilem Abfall oder der höchsten Last in der zweiten Woche brachten jeweils geringere Effekte. »Vor der UWV findet eine abgespeckte komplexe Leistungsdiagnostik statt. Anhand der Vorergebnisse des Saisonverlaufs und der Diagnostikdaten, dem Regenerationsstatus (z. B. Morning Monitoring) usw. wird ein Gesamtbild erstellt, das den Ablauf von UWV und Tapering bestimmt», erklärt Dr. Winkert den Ablauf in der Rudernationalmannschaft.

… gezielte Volumenreduktion während des Taperings

Die Taper-Phase selbst umfasst je nach Vorgehen zwischen drei Wochen und acht Tagen. In der bereits zitierten Untersuchung von Hellard et al. wurden ausgehend vom Trainingsumfang zu Beginn des dreiwöchigen Taperings vor allem die geschwommenen Meter unterschiedlich schnell verringert. Einig sind sich Experten, dass Trainingsfrequenz und -intensität auch während des Taperings weiterhin hoch bleiben sollen. Am besten schnitt in der Untersuchung ein Vorgehen ab, bei dem auf mittlere Trainingsbelastung in der ersten Woche ein langsamer exponentieller
Abfall erfolgte. Insgesamt reduzierte man bei diesem Protokoll den Trainingsumfang im Vergleich zu den Vorwochen um 55 Prozent, was sehr gut zu den empfohlenen Reduktionen zwischen 41 und 60 Prozent passt. Im Detail wurden 37 Prozent im Bereich geringer Intensität (unterhalb der anaeroben Schwelle), 49 Prozent im Bereich oberhalb der anaeroben Schwelle und 95 Prozent des Krafttrainings verringert.

Bei den Ruderern hat sich in den letzten Jahren der klassische »Drop-Taper« mit einer Volumenreduktion um ca. 50 Prozent, weiterhin hohem Anteil an hochintensiven Belastungen und gleichbleibender Anzahl von Trainingseinheiten etwa zehn Tage vor dem Hauptwettkampf bewährt, wie Dr. Winkert erklärt: »Während dieser Phase erfolgen engmaschige Trainingskontrollen über Laktatmessung und Fahrzeiten, und der Regenerations- bzw. Beanspruchungsstatus wird täglich erhoben. Eine besondere Herausforderung stellen die verschiedenen ,Stoffwechseltypen‘ dar, die auf Anpassungen von Volumen, Intensität und weiterer spezifischer Trainingsinhalte unterschiedlich reagieren. Bei Einzelsportlern kann man da anders steuern als bei einer ganzen Mannschaft. Dennoch individualisieren wir während des Taperings möglichst die Belastungen entsprechend spezifischer Bedürfnisse und Leistungs­fähigkeit«.

Die Ernährung nicht vergessen

Zur spezifischen Trainingsanpassung in der Vor-Wettkampfphase gehört auch eine Anpassung der Ernährung. So liegt während des Volumentrainings der Nährstoffbedarf eines 70 kg schweren Schwimmers bei etwa 3500 bis 4500 kcal pro Tag (7), wobei eine gute Versorgung mit Kohlen­hydraten besonders wichtig ist. Gleichzeitig kann die Entwicklung in Richtung der optimalen Körperzusammensetzung für den Wettkampf erfolgen. Während des Taperings und im Wettkampfzeitraum ist trotz hoher Intensitäten der Trainingsumfang vergleichsweise gering, so dass die tägliche Kalorienmenge verringert werden muss – für den o. g. Schwimmer etwa zwischen 2800 und 4300 kcal täglich (7) mit Fokus auf eine ausreichende Zufuhr essenzieller Nährstoffe. Für die hämatologischen Anpassungen muss dem Körper beispielsweise genügend Eisen zur Verfügung stehen.

Psychologische Effekte von Tapering

Neben körperlichen und physiologischen Effekten sowie Leistungssteigerungen durch die Kombination aus Volumentraining und Tapering gibt es wichtige psychologische Erfolgsfaktoren. So wurde z. B. vielfach gezeigt, dass in Phasen hoher Trainingsbelastung neben dem Körper auch die Psyche ermüdet, was sich in negativen Stimmungslagen und schlechtem Schlaf äußern kann. Weitere Untersuchungen zeigen, dass während des Taperings der empfundene Stress nachlässt und die Erholung zunimmt. Im Detail steigen Geselligkeit, Selbstwirksamkeit und Lebensfreude, während Gefühle von Burnout und emotionaler Erschöpfung, Müdigkeit und körperlicher Ermüdung signifikant nachlassen (8).

»Die psychische Regeneration ist eine wichtige Komponente. Daher setzen wir bei den Ruderern auf engmaschiges Monitoring des subjektiven Empfindens zu Schlaf, Erholung und muskulärer Beanspruchung. Die Athleten nutzen dazu beispielsweise den KEB-Fragebogen sowie das Kurzmaß Erholung und Beanspruchung im Rahmen des morgendlichen Monitorings. So können Trainer, Betreuer sowie Sportpsychologen rechtzeitig und zielgerichtet unterstützen«, betont Dr. Winkert.

Im Hochleistungssport basieren Trainingssteuerung und UWV auf umfassenden Daten, großer Expertise und viel Erfahrung. Dennoch passiert es immer wieder, dass die beste Leistung beim Saisonhöhepunkt nicht abgerufen werden kann. Das ist bitter für die Athleten und manchmal eine ganze Mannschaft. Im ambitionierten Freizeitsport werden neben Job, Familie und weiteren Belastungen mitunter sehr hohe Umfänge trainiert. Eine gute Saisonplanung mit periodisiertem Training, also einem Wechsel der Trainingsinhalte und Umfänge über das Jahr hinweg, bildet die Basis. Eine Trainingsreduktion in Form von Tapering reduziert auch bei Freizeitathleten die Ermüdung und setzt Ressourcen für den wichtigsten Wettkampf des Jahres frei.

Dr. Kay Winkert
Dr. Kay Winkert, Wissenschaftskoordinator des Deutschen Ruderverbandes und Sportwissenschaftler an der Universitätsklinik in Ulm © Winkert

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Busso T. Variable dose-response relationship between exercise training and performance. Med Sci Sports Exerc. 2003; 35: 1188-95. doi:10.1249/01.MSS.0000074465.13621.37

  2. Hellard P, Avalos M, Hausswirth C, Pyne D, Toussaint JF, Mujika I. Identifying Optimal Overload and Taper in Elite Swimmers over Time. J Sports Sci Med. 2013; 12: 668-678

  3. Hellard P, Avalos M, Millet G, Lacoste L, Barale F, Chatard JC. Modeling the residual effects and threshold saturation of training: a case study of Olympic swimmers. J Strength Cond Res. 2005; 19: 67-75. doi:10.1519/14853.1

  4. Mujika I, Chatard JC, Busso T, Geyssant A, Barale F, Lacoste L. Effects of training on performance in competitive swimming. Can J Appl Physiol. 1995; 20: 395-406. doi:10.1139/h95-031

  5. Mujika I, Chatard JC, Busso T, Geyssant A, Barale F, Lacoste L Use of swim-training profiles and performance data to enhance training effectiveness. Journal of Swimming Research. 1996; 11: 23-29

  6. Mujika I, Padilla S, Pyne D. Swimming performance changes during the final 3 weeks of training leading to the Sydney 2000 Olympic Games. Int J Sports Med. 2002; 23: 582-587. doi:10.1055/s-2002-35526

  7. Mujika I, Stellingwerff T, Tipton K. Nutrition and training adaptations in aquatic sports. Int J Sport Nutr Exerc Metab. 2014; 24: 414-424. doi:10.1123/ijsnem.2014-0033

  8. Myers VR, McKillop AL, Fraser SJ, Abel JM, Wells GD. Physiological and psychological adaptations during taper in competitive swimmers. International Journal of Sports Science & Coaching. 2017; 12: 481-494. doi:10.1177/1747954117717878