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Fortsetzung Sport und Skoliose: Was hilft, was schadet?

Sport gegen Skoliose!

Zunächst gibt es verschiedene therapeutische Ansätze, die sich für die Behandlung idiopathischer Skoliosen eignen. Die Skoliosegesellschaft SOSORT (Society on Scoliosis Orthopaedic and Rehabilitation Treatment) hat Richtlinien aufgestellt, die von allen etablierten Lehren eingehalten werden. Ihr zugrunde liegendes Konzept bezeichnet man als PSSE: Physiotherapy scoliosis-specific exercises (1). In Deutschland ist der Ansatz nach Lehnert-Schroth am bekanntesten – und zeigt eine hohe Evidenz (7).

Benjamin Schmitt, Sportwissenschaftler an der Katharina-Schroth-Klinik in Bad Sobernheim, beschreibt die drei- bis vierwöchige stationäre Initialtherapie wie folgt: “Im Mittelpunkt steht eine Rekalibrierung der durch die Skoliose veränderten motorischen Steuerung und Kontrolle. Durch permanentes visuelles Feedback (Spiegel) sowie spezifische asymmetrische Mobilisations- und Stabilisationsübungen werden reversible Funktionseinschränkungen korrigiert und neue balancierte Haltungsvariationen installiert. Ein weiterer wichtiger Therapiebaustein ist die Korrekturatmung, bei der gezielte Atembewegungen in den Konkavitäten zu einer Steigerung der Wirbelsäulen- und Rippenmobilität führen und ein skoliotisches Atemmuster abgebaut werden soll.“ Gegebenenfalls notwendige Korsette sind dabei, so Schmitt, Bestandteil der Therapie: Strategisch platzierte Pelotten auf der Innenseite aktivieren Druckpunkte am Rumpf, so dass der Träger von ihnen weg- und in einen Freiraum hineinatmet. Durch die tägliche Tragezeit von rund 22 Stunden ergibt sich ein hoher Automatisierungsgrad und eine bewusst aufgerichtete Alltagshaltung. Von Sport im Korsett rät der Wissenschaftler ab.

Benjamin Schmitt, Sportwissenschaftler, Katharina-Schroth-Klinik Bad Sobernheim
Benjamin Schmitt, Sportwissenschaftler, Katharina-Schroth-Klinik Bad Sobernheim © Schmitt

 

Im Anschluss an den stationären Aufenthalt sollte ambulant mit einem zertifizierten Schroth-Therapeuten weitergearbeitet werden. Auch nach der operativen Versorgung hochgradiger Skoliosen mittels Spondylodese sind Maßnahmen wie die Schroth-Therapie als Erhaltungstraining angezeigt: «Dadurch können effektiv degenerative Veränderungen an den beweglichen Wirbelsäulensegmenten verhindert werden, die direkt an die fixierten Areale angrenzen», bestätigen Benjamin Schmitt und Dr. Reisner unisono. Über eine postoperative Sportfähigkeit müsse nach Abschluss der knöchernen Fusion (meist nach ca. einem Jahr) individuell vom Arzt entschieden werden.

Und welchen Sport empfehlen die Experten ganz besonders? Dr. Reisner hat für leichte bis mittelschwere Skoliosen gute Erfahrungen mit Langlauf, moderatem Yoga und (Ballett-)Tanz ohne Rückwärtsüberstreckung, Gerätetraining mit Fokus auf Extension/Traktion, Reiten, Klettern und Rückenschwimmen. Jörg Mayer ist Mitinitiator des aktuellen Weiterbildungsprogramms «Therapeutisches Klettern» an der TU München und schwärmt: «Klettertherapie eignet sich fabelhaft, um Selbstkompetenzen zu entwickeln und muskuläre Asymmetrien zu erspüren bzw. auszugleichen! Insgesamt geht es um den Transfer sportlicher und alltäglicher Bewegungsmuster auf andere Organsysteme und Ebenen. Das funktioniert, weil Klettern den gesamten Körper beansprucht und obendrein noch Spaß macht.»

Skoliose muss für die meisten Athleten heute also kein Hinderungsgrund mehr sein. Es stehen vielfältige physiotherapeutische und sportpädagogische Interventionen zur Verfügung, um strukturelle wie funktionelle Skoliosen günstig zu beeinflussen. Im Training für unilaterale Sportarten sollten passende Ausgleichselemente obligatorisch sein.

Weitere Informationen

  • SOSORT (Society on Scoliosis Orthopaedic and Rehabilitation Treatment): www.sosort.org
  • Lehnert-Schroth C, Gröble P.: Dreidimensionale Skoliosebehandlung. Atmungs-Orthopädie System Schroth. 8. Aufl., Urban & Fischer Verlag/Elsevier; 2014
  • Krämer R: Wirbelsäule und Sport. Empfehlungen von Sportarten aus orthopädischer und sportwissenschaftlicher Sicht. Deutscher Ärzte-Verlag; 2005

■ Kura L

Quellen:

  1. Berdishevsky H, Lebel VA, Bettany-Saltikov J et al. Physiotherapy scoliosis-specific exercises – a comprehensive review of seven major schools. Scoliosis 11, 20 (2016). doi:10.1186/s13013-016-0076-9

  2. Green BN, Johnson C, Moreau W. Is physical activity contraindicated for individuals with scoliosis? A systematic literature review. J Chiropr Med. 2009; 8(1): 25‐37. doi:10.1016/j.jcm.2008.11.001

  3. Grivas TB, Savvidou OD. Melatonin the "light of night" in human biology and adolescent idiopathic scoliosis. Scoliosis. 2007; 2: 6. doi:10.1186/1748-7161-2-6

  4. Haller G, McCall K, Jenkitkasemwong S et al. A missense variant in SLC39A8 is associated with severe idiopathic scoliosis. Nat Commun 9, 4171 (2018). doi:10.1038/s41467-018-06705-0

  5. Kenanidis EI, Potoupnis ME, Papavasiliou KA, Sayegh FE, Kapetanos GA. Adolescent idiopathic scoliosis in athletes: is there a connection?. Phys Sportsmed. 2010; 38(2): 165‐170. doi:10.3810/psm.2010.06.1795

  6. Negrini S, Donzelli S, Aulisa AG et al. 2016 SOSORT guidelines: orthopaedic and rehabilitation treatment of idiopathic scoliosis during growth. Scoliosis 13, 3 (2018). doi:10.1186/s13013-017-0145-8

  7. Schreiber S, Parent EC, Hill DL, Hedden DM, Moreau MJ, Southon SC. Patients with adolescent idiopathic scoliosis perceive positive improvements regardless of change in the Cobb angle - Results from a randomized controlled trial comparing a 6-month Schroth intervention added to standard care and standard care alone. SOSORT 2018 Award winner. BMC Musculoskelet Disord. 2019; 20(1): 319. doi:10.1186/s12891-019-2695-9