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Sport und Skoliose: Was hilft, was schadet?

Sport und Skoliose: Was hilft, was schadet?
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Eine Skoliose ist definiert als dreidimensionale Deformität der Wirbelsäule mit einem Cobb-Winkel von über 10° in der Frontalebene und Rotationsabweichung. Etwa zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung sind davon betroffen, Frauen viermal mehr als Männer (6). Je nach Ausprägung der meist seitlichen Körperstatik-Abweichung kann diese bis ins hohe Alter weitgehend symptomlos bleiben oder aber beachtliche Beschwerden verursachen. Auch Athletinnen und Athleten sind nicht davor gefeit. Glücklicherweise machen Weltklassesportler wie der jamaikanische Sprinter Usain Bolt oder die amerikanische Golferin Stacy Lewis vor, dass eine krumme Wirbelsäule kein Urteil für inaktives Leben sein muss – ganz im Gegenteil.

Neben angeborenen (kongenitalen) und auf Vorerkrankungen basierenden Wirbelsäulendeformitäten machen Skoliosen unklarer Genese den weitaus größten Anteil aus. Sie werden als idiopathische Skoliosen (AIS = adolescent idiopathic scoliosis) bezeichnet. Die Einteilung in Schweregrade erfolgt nach dem sogenannten Cobb-Winkel. Er bildet im Röntgenbild den Winkel zwischen der Deckplatte des obersten und der Bodenplatte des untersten Neutralwirbels (am Wendepukt der Seitverbiegung).

Messung des Cobb-Winkels (89 Grad) bei einer Skoliose
Messung des Cobb-Winkels (hier: 89 Grad) bei einer Skoliose © Creative Commons

Strukturelle versus funktionale Skoliose

Die Gründe für eine Skoliose sind außer bei verletzungsbedingter Wirbelsäulendeformation fast immer multifaktoriell. Gesichert sind genetische Einflüsse; Defizite in der Melatoninversorgung (3) und ein Defekt im Manganstoffwechsel (4) werden diskutiert. Da man jenseits der Adoleszenz an keinem dieser Faktoren etwas ändern kann, konzentriert man sich auf die Behandlung. Dabei wird unterschieden zwischen «echter» idiopathisch-struktureller Skoliose, die sich irreversibel in bindegewebigen, knorpeligen und knöchernen Veränderungen zeigt, sowie funktioneller Skoliose.

Bei strukturellen Skoliosen gilt es, durch gezielte Dehnung der konkaven und Kräftigung der konvexen paravertebralen Muskulatur, Haltungsschulung und eventuell Korsettversorgung mindestens Progredienzen zu verhindern (ab Cobb-Winkeln von 40° lumbal oder 50° thorakal gilt eine Operationsempfehlung). Funktionelle Skoliosen hingegen folgen meist Haltungsasymmetrien, Schonhaltungen oder extremer unilateraler Belastung im Leistungssportbereich. Sie sind mindestens eine Zeitlang reversibel und profitieren am besten von multimodaler Behandlung.

Dr. Wolfram Reisner, niedergelassener Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin in München, nimmt sich deshalb für die klinische Untersuchung von Skoliosen besonders viel Zeit: «Zum Beispiel ist der dauerhafte Ausgleich einer echten Beinlängendifferenz per Fersenerhöhung grundsätzlich sinnvoll – wäre aber fatal, wenn die Differenz rein funktionell durch eine temporäre ISG-Blockade oder fasziale Fehlspannung bedingt ist! Der Patient würde dadurch nur noch stärker in die Skoliose rutschen. Lösen wir das tatsächliche Problem stattdessen durch manuelle oder osteopathische Techniken, Physiotherapie, Akupunktur, Stoßwellen und andere Methoden, kann der Beckenschiefstand die Wirbelsäule nicht mehr in die seitliche Ausbiegung zwingen.» Natürlich müsse man aber die umgebenden Muskelstrukturen nach Behebung funktioneller Ursachen sofort gezielt kräftigen, um Rezidive zu verhindern.

Dr. med. Wolfram Reisner, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie, München
Dr. med. Wolfram Reisner, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie, München © Reisner
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