Prävention chronischer Erkrankungen: Wieviel Bewegung ist mindestens nötig?

Prävention chronischer Erkrankungen: Wieviel Bewegung ist mindestens nötig?
© Jenny Sturm / Adobe Stock

Bewegung hat in der Prävention praktisch aller chronischen Erkrankungen schon lange eine große Bedeutung. Systematische Übersichtsarbeiten und Metaanaly­sen haben vielfach gezeigt, dass Bewegung oft ähnlich wirksam ist wie Medikamente. In dieselbe Richtung zielt auch die Initiative »Exercise is Medicine«, die 2007 vom American College of Sports Medicine ins Leben gerufen wurde, um Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister über die positiven Effekte von Bewegung zu informieren und aufzuklären (z. B. (5)).

Wie viel von welcher Bewegung für Prävention notwendig ist und mit welcher Intensität sie betrieben werden muss, blieb bisher häufig unbeantwortet. Das lag unter anderem daran, dass in der Vergangenheit die Dauer und Intensität absolvierter körperlicher Aktivität meist nur per Fragebogen ermittelt wurde, was anfällig für Fehleinschätzungen und sozial erwünschte Aussagen ist. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt aufgrund prospektiver Beobachtungsstudien 150 bis 300 Minuten moderater bis intensiver körperlicher Aktivität (Moderate to Vigorous Physical Activity – MVPA) oder 75 bis 150 Minuten intensiver körperlicher Aktivität (Vigorous Physical Activity – VPA) pro Woche oder eine Kombination aus beidem plus zwei Einheiten Krafttraining. Etwa die Hälfte der Bevölkerung schafft es nicht, sich an diese Empfehlungen zu halten. Ist damit Hopfen und Malz verloren? Werden all diese Menschen deswegen zwangsläufig chronisch krank?

10 bis 15 Minuten Bewegung pro Tag …

Eine Metaanalyse hat sich die Dosis-Wirk­ungs-Beziehung von körperlicher Aktivität auf die Mortalität und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs angesehen (4). Die Auswertung der Daten von über 30 Millionen Teilnehmern zeigte, dass im Allgemeinen ein höheres Aktivitätsniveau mit einem niedrigeren Risiko für die genannten Ereignisse einherging. Die größten Unterschiede im Erkrankungs- oder Sterberisiko lagen jedoch zwischen keiner Aktivität, d. h. null Metabolische Äquivalente (MET) pro Woche und 8,75 MET-Stunden pro Woche. Mit 8,75 zusätzlichen MET-Stunden pro Woche – das entspricht den von der WHO empfohlenen 150 Minuten – verringerte sich das relative Risiko für die Gesamtmortalität um 31, für kardiovaskuläre Mortalität um 29 und für krebsbedingten Tod um 15 Prozent.

Das metabolische Äquivalent beschreibt das Verhältnis von Arbeitsumsatz zu Ruheumsatz. Zügiges Gehen entspricht ungefähr 3,5 MET; zwischen drei bis sechs MET spricht man von moderater Intensität. Bis zu einer Menge von 17,5 MET-Stunden/Woche vergrößerten sich die Effekte weiter, darüber war die Datenlage schwächer.

Allerdings zeigten die umfassenden Daten auch, dass bereits 75 Minuten moderater Aktivität (4,275 MET-Stunden) pro Woche, also die Hälfte der von der WHO empfohlenen Menge, nennenswerten gesundheitlichen Nutzen bringen können. »Die wichtige Botschaft ist, dass auch schon mit 10 bis 15 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag viel erreicht werden kann«, erklärt Prof. Dr. Wilhelm Bloch vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln.

… oder nur 15 Minuten pro Woche?

Dass sogar noch kürzere Einheiten günstige Effekte bringen können, fand eine prospektive Untersuchung an über 70.000 Erwachsenen im Alter von durchschnittlich 62,5 Jahren heraus. Die Teilnehmer trugen Fitnesstracker, damit auch sehr kurze Belastungen inklusive deren Häufigkeit, Dauer und Intensität (leicht, moderat, intensiv) ausgewertet werden konnten (1). Nach diesen Daten liegt das gesundheitsförderliche Minimalvolumen intensiver körperlicher Aktivität bei ungefähr 15 Wochenminuten für die Gesamtmortalität und -inzidenz sowie die Krebsmortalität und -inzidenz. Hinsichtlich der Herz-Kreislauf-Mortalität und -Inzidenz lag sie bei 19,2 Minuten. Am stärksten senkte sich die Gesamt- und Krebsmortalität bei 53 bis 55 Minuten intensiver körperlicher Aktivität pro Woche (> 6 MET). Das vorzeitige Sterberisiko ließ sich mit 27 bzw. 31 Aktivitätseinheiten von maximal zwei Minuten pro Woche senken. Um die Herz-Kreislauf-Mortalität um 35 Prozent zu verringern, genügten sogar zwei Einheiten mit einer Länge von bis zu zwei Minuten täglich (14 pro Woche).

Kurz gesagt: Mit nur 15 bis 20 Minuten pro Woche, also zwei bis vier Minuten pro Tag, zeigten sich in dieser Studie bereits Auswirkungen auf die Gesamtmortalität! Allerdings sollte dieses beeindruckende Ergebnis mit gewisser Vorsicht betrachtet werden. Denn erfasst wurde intensive körperliche Aktivität (VPA) nur, indem zwischen Gehen und Laufen unterschieden wurde. Ob die Teilnehmenden zusätzlich andere VPA ausübten, zum Beispiel Radfahren, Schwimmen oder Treppensteigen, blieb offen. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass die Personen deutlich mehr Zeit in intensiver Aktivität verbrachten und die gemessenen Effekte dadurch verfälscht sein könnten. Zum Einfluss moderater Aktivität machte die Studie keine Aussage.

Prof. Dr. Wilhelm Bloch
Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Institut für Kreislauf­forschung und Sport­medizin an der Deutschen Sporthochschule Köln © Bloch

Hase oder Igel: Besser kurz und intensiv oder lang und moderat?

Eine andere große Studie widmete sich einer weiteren spannenden Frage: Was ist wichtiger – die Intensität, mit der eine Aktivität ausgeübt wird, oder ein hohes Aktivitätsvolumen? Oder anders gefragt: Sind die Benefits für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dieselben, wenn der Aktivitätsumfang durch eine große Dauer mit geringer Intensität oder durch kurze Episoden hoher Intensität erreicht wird (3)?

Insgesamt zeigte sich, dass ein höherer sport- bzw. bewegungsbedingter Energie­verbrauch und ein größerer Anteil an moderater und intensiver Aktivität mit geringerem Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert war. Entscheidend scheint dabei aber der Anteil von moderater und intensiver körperlicher Aktivität am Energieverbrauch zu sein. Betrug dieser beispielsweise 20 statt 10 Prozent der Energieaufwendungen für Bewegung (15 kJ/kg pro Tag), lag die Inzidenz an kardiovaskulären Ereignissen um 14 Prozent niedriger. In die Praxis übertragen bedeutet das, dass 14 Minuten langsames Spazieren weniger bringen als 7 Minuten strammes Gehen.

Auch bei steigendem Energieverbrauch durch Bewegung bleibt das Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse gleich hoch, wenn nur 10 Prozent der Bewegung moderat oder intensiv waren. Die größte Risikoreduktion (40 Prozent) fand sich bei einem Energieverbrauch von 30 kJ/kg pro Tag, von dem 40 Prozent in mindestens moderater Aktivität absolviert wurden (Tabelle 1).

Bewegung, Risikoreduktion kardiovaskulaere Ereignisse
Tabelle 1: Vergleich der Risikoreduktion (Hazard Ratio) für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse bei einem Energieumsatz durch Sport/Bewegung von 10, 20 und 30 kJ/kg pro Tag und unterschiedlichen Anteilen moderater und intensiver Intensität (10–40 Prozent; 95 Prozent Konfidenzintervall). DZSM 2023

Auch diese Studie legte offen, dass schon mit relativ wenig zusätzlichem Energieaufwand relevante Risikoreduktionen erreicht werden können. »In der Prävention ist es das Ziel, mit konkreten Vorgaben einen möglichst großen Teil der Bevölkerung dazu zu bewegen, etwas für die Gesundheit zu tun. Die Studien zeigen, dass der Aufwand nicht extrem hoch sein muss, um gewisse Vorteile zu erzielen«, sagt Prof. Bloch. Und weiter: »Klar ist aber auch, dass solche Vorgaben nicht für jeden gleichermaßen sinnvoll oder wirksam sein können.

Die Komplexität kann man erahnen, wenn man sich die Empfehlungen der Forschung zur Prävention einzelner Entitäten ansieht: Demnach muss ein optimales kardiovaskuläres Training bei einer Herzfrequenz von mehr als 130 Schlägen pro Minute erfolgen, Training mit Fokus auf den Stoffwechsel bis 130 Schläge. Für Brustkrebs liegt das Bewegungsoptimum bei zusätzlichen 15–18 MET-Stunden pro Woche, zur Prävention des Kolonkarzinoms bei 25 MET-Stunden pro Woche. Daher sind allgemeine Empfehlungen zwar grundsätzlich gut, individuelle Bewegungspläne aber auf jeden Fall zielführender, damit der Einzelne für seine Gegebenheiten optimale Ergebnisse erreichen kann.«

Die Zukunft: individuelles Training durch Sensoren

Für die individuelle Trainingssteuerung werden zukünftig sensorbasierte selbstlernende Systeme immer mehr Bedeutung gewinnen. Ob es um die Glukosemessung im Blut, optimale Herzfrequenz, eine Live-Laktatmessung oder smarte Textilien geht: »Das ist Zukunft, aber nicht Science Fiction«, ist sich Wilhelm Bloch sicher. Zunächst werden solche Methoden und Produkte für die Steuerung von Menschen mit bestimmten Erkrankungen entwickelt und getestet, doch anschließend werden sie nach und nach auch im Leistungssport und für alltägliche Lifestyle-Anwendungen zugänglich werden. Das Potenzial der individualisierten Trainingssteuerung schätzt Prof. Bloch als groß ein: »Mit Schrittzählern wurde bereits gezeigt, dass sie motivierend wirken. Viele Menschen nutzen außerdem schon jetzt Gesundheits- oder Lifestyle-Tracking, um anhand besserer Informationen ihr Training zu steuern.«

Fazit: Schon mit wenigen Minuten moderater bis intensiver Aktivität pro Tag können vorzeitige Todesfälle verhindert und das Auftreten chronischer Erkrankungen verringert werden. Bestehende Risikofaktoren (z. B. Übergewicht) können den Effekten entgegenwirken und sollten nicht vernachlässigt werden.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Ahmadi MN, Clare PJ, Katzmarzyk PT, Del Pozo Cruz B, Lee IM, Stamatakis E. Vigorous physical activity, incident heart disease, and cancer: how little is enough? Eur Heart J. 2022; 43: 4801-4814. doi:10.1093/eurheartj/ehac572

  2. Ainsworth BE, Haskell WL, Whitt MC, Irwin ML, Swartz AM, Strath SJ, O'Brien WL, Bassett DR Jr, Schmitz KH, Emplaincourt PO, Jacobs DR Jr, Leon AS. Compendium of physical activities: an update of activity codes and MET intensities. Med Sci Sports Exerc. 2000; 32: 498-504. doi:10.1097/00005768-200009001-00009

  3. Dempsey PC, Rowlands AV, Strain T, Zaccardi F, Dawkins N, Razieh C, Davies MJ, Khunti KK, Edwardson CL, Wijndaele K, Brage S, Yates T. Physical activity volume, intensity, and incident cardiovascular disease. Eur Heart J. 2022; 43: 4789-4800. doi:10.1093/eurheartj/ehac613

  4. Garcia L, Pearce M, Abbas A, Mok A, Strain T, Ali S, Crippa A, Dempsey PC, Golubic R, Kelly P, Laird Y, McNamara E, Moore S, de Sa TH, Smith AD, Wijndaele K, Woodcock J, Brage S. Non-occupational physical activity and risk of cardiovascular disease, cancer and mortality outcomes: a dose-response meta-analysis of large prospective studies. Br J Sports Med. Online first 28 February 2023. doi:10.1136/bjsports-2022-105669

  5. Papagianni G, Panayiotou C, Vardas M, Balaskas N, Antonopoulos C, Tachmatzidis D, Didangelos T, Lambadiari V, Kadoglou NPE. The anti-inflammatory effects of aerobic exercise training in patients with type 2 diabetes: A systematic review and meta- analysis. Cytokine. 2023; 164: 156157. doi:10.1016/j.cyto.2023.156157