Optimale Trainingsstrategien für ältere Diabetes-Patienten
Regelmäßige körperliche Aktivität ist für Menschen mit Diabetes eine wirksame „Medizin“ – gerade im fortgeschrittenen Alter, wenn Komorbiditäten, Sturzgefahr und funktionelle Einschränkungen zunehmen. Doch wie häufig, wie intensiv und in welcher Trainingsform können Senioren mit Diabetes sicher trainieren, um ihren HbA₁c-Wert – den Langzeitmarker des Blutzuckers – zu senken und zugleich ihre Alltagsfunktionen zu bewahren? Ein aktueller systematischer Review mit Meta-Analyse liefert dazu neue, praxisrelevante Kennzahlen (6). Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und mit den jüngsten Empfehlungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) (2) und der American Diabetes Association (ADA) (1) verknüpft.
Evidenzlage zu Trainingseffekten bei Diabetes
Kernergebnis | Praxisimplikation | Evidenzquelle |
Moderate (ca. 40–60 Prozent VO₂max) und hohe Intensitäten (≥ 60 Prozent VO₂max) senken HbA1c signifikant | Auch fitte Senioren profitieren von HIIT-ähnlichen Reizen, sofern kardial abgeklärt. | (6) |
Aerobes vs. Krafttraining: kein signifikanter Unterschied auf HbA1c/Nüchternglukose | Kombination bleibt Goldstandard, Fokus auf Patientenpräferenzen. | (6) |
≥ 150 min/Woche moderate Aktivität + 2–3 Krafteinheiten; Sitzzeiten < 30 min | Wochenplan so gestalten, dass max. 2 bewegungsarme Tage in Folge auftreten. | (2) |
„Exercise Snacks“ (Mikroworkouts ≤ 5 Min.) reduzieren postprandiale Glukosespitzen | Niedrigschwellige Option für multimorbide oder bewegungseingeschränkte Patienten. | (5) |
Krafttraining steigert Muskelkraft → 44 Prozent geringeres Diabetes-Risiko | Priorisieren bei Sarkopenie-gefährdeten Senioren. | (4) |
Balance-/Multikomponentenprogramme senken Sturzrisiko bei älteren Diabetikern mit DPN | 2 × pro Woche sensomotorisches Training einplanen. | (5) |
Ältere Diabetes-Patienten: die 150-Minuten-Regel bleibt gültig
Die aktuelle Meta-Analyse von Yan et al. (6) bestätigt eindrücklich den altbekannten „Dosis-Wirkungs-Effekt“: Ältere Diabetespatienten, die mindestens 150 Minuten pro Woche moderat aktiv sind, erreichen im Mittel einen zusätzlichen HbA₁c-Rückgang von -0,44 Prozentpunkten (95 Prozent KI: -0,63 bis -0,25) gegenüber kürzeren Programmen. Entscheidend ist dabei nicht nur das Wochenvolumen, sondern auch die Verteilung: maximal zwei aufeinanderfolgende bewegungsarme Tage, ideal sind drei bis fünf Einheiten à 30–50 Minuten. Die aktualisierten ADA-Standards 2025 (1) stützen diese Evidenz und legen für Senioren wahlweise ≥ 150 Min. pro Woche moderates oder ≥ 75 Min. pro Woche hochintensives Ausdauertraining fest – ergänzt um zwei bis drei Kraft- und mindestens zwei Balance-Einheiten. Wer funktionell eingeschränkt ist, kann das Ziel zunächst in Zehn-Minuten-Blöcke splitten; die kumulative Belastung erzielt vergleichbare Effekte.
Ausdauer vs. Krafttraining – gleichauf, aber die Kombination punktet
Zahlreiche randomisierte Studien zeigen, dass rein aerobes und rein kraftorientiertes Training die glykämische Kontrolle ähnlich stark verbessern. In der Praxis überzeugt jedoch der Hybrid-Ansatz, weil er Sarkopenie vorbeugt, die aerobe Kapazität steigert und für Abwechslung sorgt. Beachtenswert ist, dass schon ein Rückgang des HbA₁c um 0,3 Prozent das Risiko mikrovaskulärer Komplikationen um etwa 10 Prozent senkt.
Phase | Dauer | Inhalt | Leitintensität (RPE/HF)* |
Kraft | ca. 30 Min. | 6–8 Grundübungen (z. B. Kniebeuge, Rudern, Beinpresse), 2 Sätze à 8–12 Wdh. | RPE 13–15 |
Aerob | 20–30 Min. | Zügiges Gehen, Schwimmen oder Radergometer | 60–70 Prozent HFmax ≈ RPE 11–13 |
Cool-down & Balance | 10 Min. | Tai-Chi-Sequenzen, Tandem- oder Ein-Bein-Stand | RPE < 11 |
* RPE = Rate of Perceived Exertion/subjektive Belastungsempfindung (Bereich: 6 = überhaupt nicht anstrengend, 20 = maximal anstrengend), HF = Herzfrequenz
Reihenfolge und Setting dürfen variieren: Manche Patienten starten lieber mit Ausdauer, andere mit Kraft – der Wechsel erhöht die Motivation. Wichtig ist, jede Woche Progression (z. B. +5 Prozent Last oder +5 min Dauer) einzuplanen, sofern keine Kontraindikationen bestehen.
Timing – Training nach der Mahlzeit
Die DDG-Praxisempfehlung 2024 (2) rückt das Zeitfenster innerhalb von 90 Minuten nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit in den Fokus: Muskelgeführte Glukoseaufnahme ohne Insulin wirkt hier besonders effektiv und flacht postprandiale Spitzen stärker ab als nüchternes Training. Im Alltag genügt bereits ein zehnminütiger Spaziergang unmittelbar nach Mittag- oder Abendessen („exercise snacking“). Für Patienten mit eingeschränkter Mobilität eignen sich Stuhl-Aufstehübungen, Wadenheben oder Mini-Pedaltrainer. Als praktische Faustregel kann man sagen: Je dichter an der Mahlzeit, desto kleiner darf die Einheit sein, ohne dass der Blutzuckereffekt verlorengeht. Diese Mikro-Workouts lassen sich leicht in den Alltag integrieren und steigern so die Langzeitadhärenz.
■ Hutterer C
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Quellen:
American Diabetes Association Professional Practice Committee. 13. Older Adults: Standards of Care in Diabetes—2025. Diabetes Care. 2025; 48(Suppl 1): S266-S282. doi:10.2337/dc25-S013
Esefeld K, Kress S, Behrens M, Zimmer P, Stumvoll M, et al. Diabetes, Sport und Bewegung. Diabetologie und Stoffwechsel (Supplement). 2024; 19: 279-289. doi:10.1055/a-2312-0420
US Preventive Services Task Force, Nicholson WK, Silverstein M, Wong JB, Barry MJ, et al. Interventions to Prevent Falls in Community-Dwelling Older Adults: US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA. 2024; 332: 51-57. doi:10.1001/jama.2024.8481
Wang M, Collings PJ, Jang H, Chen Z, Shi Q, et al. Prospective associations between muscle strength and genetic susceptibility to type 2 diabetes with incident type 2 diabetes: A UK Biobank study. BMC Med. 2025; 23: 93. doi:10.1186/s12916-024-03819-9
Weston KL, Little JP, Weston M, McCreary S, Kitchin V, et al. Application of Exercise Snacks across Youth, Adult and Clinical Populations: A Scoping Review. Sports Med Open. 2025; 11: 27. doi:10.1186/s40798-025-00829-6
Yan X, Lu Y, Zhang H, Zhu C, Tian L, et al. Optimal strategies for exercise intervention in older people diabetic patients: The impacts of intensity, form, and frequency on glycemic control: An exercise prescription for older people with diabetes. Arch Gerontol Geriatr. 2025;128: 105621. doi:10.1016/j.archger.2024.105621