Seite 3 / 3

Fortsetzung Neurologische Sportmedizin – weit mehr als Gehirnerschütterungen und periphere Nervenschäden!

Sport als neurologische Apotheke

Es stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt also zumeist nicht mehr die Frage ob, sondern wie Sport und körperliche Aktivität bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen individuell am wirksamsten ist. Traditionell untersuchen die meisten Interventions-Studien die Effekte von Ausdauer- und/oder Krafttraining – zumeist mit positiven Ergebnissen. Die Bestimmung von Surrogatmarkern von Neuroplastizität in Serum und neuronaler Bildgebung verstärken dabei die bereits vielfach aus Tiermodellen gewonnenen Erkenntnisse zur Wirkweise von körperlichem Training auf das Gehirn (16). Auch klinisch lassen sich aus größeren Datenmengen erste Erkenntnisse zu Therapieeffekten, -dauer und Dosis-Wirkungsverhalten ziehen (10, 21). Hier besteht sicher noch die größte und herausforderndste, aber vermutlich auch dankbarste Aufgabe für die sportneurologische Zukunft. Die Standardisierung von nicht-ausdauer- & nicht-kraftbasierten Interventionen (z. B. im Rahmen von Koordinationstraining) sowie deren Kombination mit anderen Trainings- und Beanspruchungsformen ist wissenschaftlich sicher schwierig.

Wollen wir aber in der Zukunft noch wirksamere Therapieempfehlungen aussprechen, bedarf es tierexperimenteller und klinischer Studien, die die komplexe Struktur und Funktionsweise des Gehirns ebenso berücksichtigen wie die vielseitigen Gestaltungsmöglichkeiten von Sportinterventionen, auch über die motorischen Beanspruchungsformen Ausdauer und Kraft hinaus. Hier gilt es, Effekte von allgemeiner körperlicher und sportlicher Aktivität differenziert im Hinblick auf Outcome-Parameter wie Inzidenz/Prävalenz der entsprechenden Erkrankung, Progression, Funktionalität etc. zu betrachten. Koordinative Beanspruchung induziert zum Beispiel ebenfalls neuroplastische Veränderungen auf vielen Ebenen im Tiermodell (8) wie im menschlichen Gehirn (20), findet sich jedoch noch selten in Leitlinien zur sportlichen Aktivität bei neurologischen Erkrankungen (da oftmals noch keine evidenzbasierten Daten vorliegen).

Sollte es gelingen, künftig verschiedene Beanspruchungsformen individuell kombiniert zu dosieren und deren Wirkung systematisch zu erfassen, bieten sich aus sportneurologischer Sicht immense therapeutische Möglichkeiten. Dann wäre Sport tatsächlich nicht nur ein Medikament, sondern wie eine Apotheke aus der man verschieden wirksame ‚Tabletten‘ in unterschiedlicher Dosierung und Art der Anwendung applizieren könnte – ein Prinzip, das vielleicht für kein Organ so wichtig ist wie für das Gehirn.

Fazit

Die eingangs erwähnte wachsende Popularität der neurologischen Sportmedizin im anglo-amerikanischen Raum ist wohl nicht unberechtigt der ‚Concussion-Epidemie‘ (6) zuzuschreiben. Für die ganzheitliche medizinische Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern sowie für Patientinnen und Patienten, sind jedoch auch weitere sportmedizinische Aspekte von sportneurologischen Verletzungen, neurologische Überlastungs- und Überbeanspruchungsschäden und insbesondere die Sporttherapie neurologischer und neurodegenerativer Erkrankungen bedeutsam.

Für die Entwicklung und Implementierung klinisch bedeutsamer Innovationen und praxisrelevanter, wissenschaftlich fundierter Forschung am Standort Deutschland muss es gelingen, fachneurologische und sportmedizinische Expertise zu bündeln und für den (organisierten) Sport und die Sporttherapie zu gestalten. Hierdurch kann nachhaltig eine stetig wachsende Verbesserung der Gesundheit und Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern sowie eine optimierte Versorgung von neurologisch Erkrankten erzielt werden, die eine Stärkung der Gesundheitsförderung im und durch Sport schafft.

■ Reinsberger C

Ähnliche Beiträge zum Thema finden Sie weiter unten!

Quellen:

  1. Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Expertise: Schädel-Hirn-Verletzungen im deutschen Spitzensport. 2016. https://www.bisp-sht.de [25th September 2018].

  2. Capovilla G, Kaufman KR, Perucca E, Moshe SL, Arida RM. Epilepsy, seizures, physical exercise, and sports: A report from the ILAE Task Force on Sports and Epilepsy. Epilepsia. 2016; 57: 6-12. doi:10.1111/epi.13261

  3. Chang CWJ, Donovan DJ, Liem LK, O’Phelan KH, Green DM, Bassin S, Asai S. Surfers’ myelopathy: a case series of 19 novice surfers with nontraumatic myelopathy. Neurology. 2012; 79: 2171-2176.

  4. Conidi FX, Drogan O, Giza CC, Kutcher JS, Alessi AG, Crutchfield KE. Sports neurology topics in neurology practice. Neurol Clin Pract. 2014; 4: 153-160. doi:10.1212/01.CPJ.0000437697.63630.71

  5. Cutsforth-Gregory JK, Ahlskog JE, McKeon A, Burnett MS, Matsumoto JY, Hassan A, Bower JH. Repetitive Exercise dystonia: A difficult to treat hazard of runner and non-runner athletes. Parkinsonism Relat Disord. 2016; 27: 74-80. doi:10.1016/j.parkreldis.2016.03.013

  6. Gordon KE, Kuhle S. Reported concussion time trends within two national health surveys over two decades. Brain Inj. 2018; 32: 843-849. doi:10.1080/02699052.2018.1463105

  7. Hamer M, Chida Y. Physical activity and risk of neurodegenerative disease: a systematic review of prospective evidence. Psychol Med. 2009; 39: 3-11. doi:10.1017/S0033291708003681

  8. Kempermann G, Gast D, Gage FH. Neuroplasticity in old age: sustained fivefold induction of hippocampal neurogenesis by long-term environmental enrichment. Ann Neurol. 2002; 52: 135-143. doi:10.1002/ana.10262

  9. Lehmann M, Foster C, Dickhuth HH, Gastmann U. Autonomic imbalance hypothesis and overtraining syndrome. Med Sci Sports Exerc. 1998; 30: 1140-1145. doi:10.1097/00005768-199807000-00019

  10. Mak MK, Wong-Yu IS, Shen X, Chung CL. Long-term effects of exercise and physical therapy in people with Parkinson disease. Nat Rev Neurol. 2017; 13: 689-703. doi:10.1038/nrneurol.2017.128

  11. McCrory P, Meeuwisse W, Dvorak J, et al. Consensus statement on concussion in sport – the 5th international conference on concussion in sport held in Berlin, October 2016. Br J Sports Med. 2017; 51: 838-847.

  12. Motl RW, Sandroff BM, Kwakkel G, Dalgas U, Feinstein A, Heesen C, Feys P, Thompson AJ. Exercise in patients with multiple sclerosis. Lancet Neurol. 2017; 16: 848-856. doi:10.1016/S1474-4422(17)30281-8

  13. Naci H, Ioannidis JP. Comparative effectiveness of exercise and drug interventions on mortality outcomes: metaepidemiological study. BMJ. 2013; 347: f5577. doi:10.1136/bmj.f5577

  14. Pham M, Bäumer T, Bendszus M. Peripheral nerves and plexus: imaging by MR-neurography and high-resolution ultrasound. Curr Opin Neurol. 2014; 27: 370-379. doi:10.1097/WCO.0000000000000111

  15. Pilutti LA, Platta ME, Motl RW, Latimer-Cheung AE. The safety of exercise training in multiple sclerosis: A systematic review. J. Neurol. Sci. 2014; 343: 3-7.

  16. Reinsberger C. Of running mice and exercising humans – the quest for mechanisms and biomarkers of exercise induced neurogenesis and plasticity. Dtsch Z Sportmed. 2015; 66: 36-41. doi:10.5960/dzsm.2015.165

  17. Reuter I, Mehnert S. Engpasssyndrome peripherer Nerven bei Sportlern. Akt. Neurol. 2012; 39: 292-308. doi:10.1055/s-0032-1314870

  18. Tettenborn B, Mehnert S, Reuter I. Sportverletzungen peripherer Nerven. Klin Neurophysiol. 2016; 47: 57-77.

  19. Toth C, McNeil S, Feasby T. Central nervous system injuries in sport and recreation – A systematic review. Sports Med. 2005; 35: 685-715. doi:10.2165/00007256-200535080-00003

  20. Thomas C, Baker CI. Teaching an adult brain new tricks: A critical review of evidence for training-dependent structural plasticity in humans. Neuroimage. 2013; 73: 225-236. doi:10.1016/j.neuroimage.2012.03.069

  21. Xu W, Wang HF, Wan Y, Tan CC, Yu JT, Tan L. Leisure time physical activity and dementia risk: a dose-response meta-analysis of prospective studies. BMJ Open. 2017; 22; 7: e014706.