Mit Bewegung gegen Typ-2-Diabetes-mellitus – Biomedizinische Forschung und Sporttherapie 2.0
Editorial der Ausgabe #05-06/2020 der DZSM. Darin befasst sich Prof. (FH) PD Dr. Christian Brinkmann mit der Evaluierung von Sporttherapien bei Diabetes-Typ-2. Seinen Fokus legt er dabei auf neue Analyse- und Messtechnologien.
Die Erstellung komplexer Ursache-Wirkungs-Modelle, welche Adaptationen an sportliche Belastungen möglichst umfassend beschreiben, kann helfen, Sport- und Bewegungsprogramme im Hinblick auf ihre Wirksamkeit bei der Bekämpfung der Erkrankung Typ-2-Diabetes mellitus zu evaluieren und für eine personalisierte Therapie zu optimieren. Hierzu sind auch Daten aus der „Omics“-Forschung sowie Informationen von modernen Biosensoren nützlich.
Laut International Diabetes Federation haben wir in Deutschland bereits eine Diabetes-Prävalenz von über 15% bei Erwachsenen erreicht (7). Diabetes ist weiter auf dem Vormarsch! Mehr als 90% der PatientInnen sind Personen mit einem Typ-2 Diabetes mellitus. Aufgrund der vielseitigen Komorbiditäten und Sekundärerkrankungen ergibt sich für die PatientInnenversorgung eine enorme Belastung für das Gesundheitssystem (9) und es braucht mehr denn je wirksame Strategien und therapeutische Maßnahmen, um die Stoffwechselerkrankung und das PatientInnenleiden abzumildern. Die Sporttherapie ist ein wichtiger Baustein in der PatientInnenversorgung und kann sogar bei manchen Betroffenen zur vollständigen Remission der Erkrankung führen (10).
Sport als Medizin: Komplexe Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge
Eine fortschrittliche Sporttherapie sollte grundsätzlich evidenzbasiert sein. Eine der Sporttherapie dienliche Aufgabe der sportmedizinischen Forschung im Bereich der Stoffwechselerkrankungen besteht in der Erstellung von komplexen Ursache-Wirkungs-Modellen, die biologische Adaptationen an sportliche Belastungen auf molekularer und zellulärer Ebene beschreiben und zur Beurteilung für die Effektivität und Effizienz von Trainingsprogrammen herangezogen werden können, um diese ggf. auch sinnvoll zu adjustieren. Die Integration immer weiterer Wirkmechanismen aus unterschiedlichen Organsystemen und deren Interaktionen (Organ-Crosstalk) in solche Modelle kann schließlich zu einem immer umfassenderen Verständnis führen und dabei auch offenlegen, warum welche Trainingsformen/-methoden besonders für bestimmte PatientInnen geeignet sind.
Bedeutsam sind Wirkungen von Sport z. B. auf die chronische Inflammation und den oxidativen Stress, welche einen fruchtbaren Boden für die Störung der Insulinsensitivität und die Entstehung von Sekundärkomplikationen bilden. Hier konnte in der Vergangenheit in zahlreichen Studien die anti-inflammatorische und anti-oxidative Wirkung von regelmäßigem Training und die Hochregulierung von Schutzkapazitäten z. B. im Muskel und Blut bei Personen mit Typ-2 Diabetes mellitus gezeigt werden (4, 11, 14).
Neuer im Fokus der Forschung steht z. B. das Mikrobiom. Kürzlich wurde gezeigt, dass sport-induzierte Veränderungen in der Darmflora stark mit Veränderungen der Glukosehomöostase und der Insulinsensitivität bei Menschen mit Prä-Diabetes korrelieren (12). Hier scheint es eine (indirekte) Verbindung zwischen Darm(bewohnern) und dem Muskel zu geben. Epigenetische Veränderungen, durch welche die Genregulation durch Training beeinflusst werden kann, sind ebenso ein spannendes Forschungsfeld und deren Komplexität wird zunehmend deutlich.
Besonders interessante Puzzleteile sind auch die sogenannten microRNAs, welche die Genexpression post-transkriptional vermitteln. Es sind bereits einige microRNAs identifiziert, welche bei Diabetes-PatientInnen dysreguliert sind und von denen einige offenbar durch Training wieder zurückreguliert werden können (8, 15). Besonders an den miRNAs ist, dass sie an einem Crosstalk zwischen Organen beteiligt sein können und z. B. von einer Zelle über das Blut mit Hilfe von Vesikeln zu fernen Organen transportiert werden (6).
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„Omics“-Forschung als Schlüssel für personalisierte Therapie
Die Nutzung neuer Analysetechniken aus den Bereichen der Metabolomik, Genomik, Epigenomik, Transkriptomik, Proteomik und Mikrobiomik erlauben durch einen hohen Grad an Automatisierung die Generierung immer größerer Datenmengen. Insbesondere die Zugänglichkeit von Datensätzen, die eine weiterführende Analyse durch die Scientific Community erlaubt, sollte postuliert werden. Die Herausforderung besteht vor allem darin, relevante Aspekte herauszufiltern. Die „Omics“-Forschung kann zukünftig sicherlich auch weitere Aufklärung über interindividuelle Reaktionen auf sportliche Belastungen liefern und beitragen zu erklären, warum manche Diabetes-PatientInnen in bestimmten Bereichen (glykämische Kontrolle, kardiovaskuläre Fitness etc.) mehr oder weniger auf bestimmte Belastungsreize/Trainingsprogramme reagieren (16), was auch der Schlüssel zu einer immer personalisierteren Sporttherapie sein kann.
Wirksamkeitsnachweis durch moderne CGM-Sensortechnologie
Neue Erkenntnisse zu Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen lassen sich auch mit Hilfe neuerer Sensortechnologien gewinnen. Über Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM-Systeme), die den Zucker minimal-invasiv in der Interstitialflüssigkeit im Unterhautfettgewebe messen, ergeben sich neue Variablen zur Beurteilung der Wirksamkeit von sportlicher Aktivität auf das Glukoseprofil, z. B. die „Time in/out of range“, oder nur „Zeit bei Hyperglykämie“ oder „Mittlerer durch Sensor aufgezeichneter Glukosewert“ (5). Bei Interventionen können hier bereits frühzeitig Veränderungen erfasst werden, die sich z. B. im Langzeitblutzuckerwert HbA1c, Surrogatparameter für die Beurteilung der glykämischen Kontrolle, oft noch nicht so schnell so klar abzeichnen.
Machbarkeit und Akzeptanz von Trainingsprogrammen
Innovative Trainingsarten wie Exergaming (Sport mit Spielkonsolen) (13) oder ein Hypoxietraining (3), als auch alternative Trainingsmethoden wie das High-Intensity-Intervalltraining (2) oder ungewöhnliche Trainingsmodalitäten wie ein Nüchtern-Training (1) können durch die biomedizinische Forschung auf ihre Effektivität und Effizienz hin bewertet werden. Für die Auswahl des „richtigen“ Trainings sollte in der modernen Sporttherapie, auch unter Beachtung individueller Komplikationen und möglicher Kontraindikationen, aber keinesfalls nur die Effektivität und Effizienz zählen. Es müssen in der Praxis neben der Machbarkeit vor allem auch die persönlichen Präferenzen der TeilnehmerInnen bei der Gestaltung bewegungsorientierter Angebote Berücksichtigung finden! Eine langfristig hohe Adhärenz zu den Trainingsprogrammen muss immer das oberste Ziel sein. Denn eines ist gewiss: Man kommt nur vorwärts, wenn man sich bewegt! – und das am besten mit Freude, ein Leben lang!
■ Brinkmann C
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Quellen:
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