Fortsetzung Leistenschmerzen im Leistungssport: Ursachen, Prävention, Therapie
Holistischer statt reduktionistischer Trainingsansatz
Grundlage dafür ist natürlich eine gute Eingangsdiagnostik, um Beschwerden und Verletzungen, die eine andere Therapie benötigen, nicht zu übersehen. Fallen die bestehenden Beschwerden in die Adduktor-, Iliopsoas- und/oder Schambein-assoziierte Kategorie, so muss es das mittelfristige Ziel sein, die gesamte auf- bzw. absteigende Bewegungskette in ihrem Zusammenspiel zu optimieren, weil an einem Richtungswechsel eine Vielzahl von Muskeln beteiligt ist. Prof. Reuter beobachtet, dass man sich in der Therapie häufig nur auf die isolierte Kräftigung einzelner Muskeln konzentriert: »Das klassische Adduktorentraining ist auf jeden Fall nicht verkehrt, aber ich empfinde den Ansatz als zu reduktionistisch. Aus Studien weiß man, dass der Transfer von isoliert geübten Bewegungen in den Alltag oder die sportliche Aktivität nicht gut funktioniert«, betont er. Deswegen setzt er in der Zusammenarbeit mit betroffenen Athletinnen und Athleten darauf, intersegmentale Koordinationsmuster und das Zusammenspiel zwischen unterer und oberer Extremität über die Beckenverbindung zu verbessern. »Häufig reicht die auf diese Weise verbesserte muskuläre Kapazität aus, um das System zu stabilisieren und die Beschwerden in den Griff zu bekommen.« Bisher liegen zu diesem Vorgehen nur wenige Untersuchungen vor. Belastbare Zahlen gibt es daher dazu noch nicht.
Adduktorenkraft als Prädiktor für Leistenschmerzen
Hingegen wurde bereits untersucht, dass die Kräftigung der Adduktoren, beispielsweise im Rahmen des Programms zur Verletzungsprävention FIFA 11+, zwar gering ausfällt, aber deutlich verbessert werden kann, wenn die Copenhagen Adductor Exercise in das Aufwärmprogramm integriert wird (2). Interessant ist auch die Möglichkeit, drohende Leistenbeschwerden noch vor deren Auftreten prognostizieren zu können. Einige Untersuchungen zeigen, dass ein regelmäßiges Monitoring der Adduktorenkraft dabei helfen könnte, der Entwicklung von Leistenschmerzen entgegenzuwirken. Zum einen scheint das Verhältnis von Adduktor- zu Abduktorkraft prädiktiven Wert zu besitzen und Spieler mit erhöhtem Risiko für eine Leistenverletzung identifizieren zu können (5). Zum anderen scheint die Adduktorenkraft bereits vor dem Auftreten von Leistenschmerzen messbar nachzulassen (4).
Hüftimpingement
Eine andere in kontakt- und rotationsintensiven Sportarten häufige geometrische Ursache für Leistenschmerzen ist das Impingement der Hüfte (femoroacetabuläres Impingement). Man unterscheidet zwei Formen: Beim Cam-Impingement hat der Hüftkopf durch knöcherne Veränderung einen erhöhten Rand, der bei bestimmten Bewegungen an der Hüftgelenkspfanne anschlägt. Beim Pincer-Impingement umschließt die Hüftgelenkspfanne den Hüftkopf durch eine vermehrte Überdachung zu weit und es kommt bei Bewegungen zum verfrühten Anschlagen des Schenkelhalses am Pfannenrand. Das Labrum, das die Hüftpfanne wie ein Dichtungsring umschließt, kann durch das Impingement verletzt werden und einreißen.
Cam-Impingement durch zu intensive Belastung in der Jugend
»Inzwischen weiß man, dass besonders das Cam-Impingement durch eine Überlastung der Epiphysenfugen während des Wachstums entsteht. Üben Kinder und Jugendliche während der Wachstumsphase mehr als dreimal pro Woche rotationsintensive Sportarten wie Fußball, Eishockey oder Tennis aus, so begünstigt dies die Entstehung der knöchernen Veränderung am Hüftkopf. Es handelt sich folglich um eine bereits in der Jugend entstandene Fehlbildung, die erst später, abhängig von verschiedenen Faktoren (z. B. der Knorpelqualität), Beschwerden verursachen kann«, erklärt PD Dr. Marco Ezechieli, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Chefarzt am St.-Josefs-Krankenhaus Salzkotten. Typischerweise treten erste Beschwerden im Alter von 20 bis 30 Jahren häufig auf beiden Seiten in Form von Leistenschmerzen auf. Oft ist die Ursache nicht das Impingement allein, sondern es spielen noch weitere Faktoren eine Rolle. Vom Cam-Impingement sind mehr Männer betroffen, während das Pincer-Impingement eher bei Frauen auftritt und von unklarerer Pathogenese ist. Hier scheint eher Veranlagung eine Rolle zu spielen.