Hamstringverletzungen bei Frauen: anatomische Risikofaktoren

Hamstringverletzungen bei Frauen: anatomische Risikofaktoren
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Hamstringverletzungen sind langwierig, schmerzhaft und komplex in der Rehabilitation. Die bisherigen Behandlungsleitlinien basieren auf Erkenntnissen bei männlichen Sportlern. Vor dem Hintergrund, dass Athletinnen mindestens ebenso häufig davon betroffen sind, es zwischen Männern und Frauen jedoch anatomische und biomechanische Unterschiede gibt, verwundert es, dass bisher keine spezifischen Empfehlungen existieren. Ein klinischer Kommentar beleuchtet die anatomischen und biomechanischen Unterschiede der Lumbal-, Hüft- und Leistenregion von Mann und Frau und leitet daraus passende Empfehlungen für Sportlerinnen mit Hamstring-Pathologien ab (1). Ein sinnvolles Rehabilitationsprogramm sollte die Funktionalität und die Leistungsfähigkeit des verletzten Sportlers wiederherstellen, zudem vorhandene Defizite beheben, die zum Auftreten der Verletzung geführt haben könnten, und darauf hinwirken, eine Wiederverletzung zu verhindern. Dazu müssen die unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten berücksichtigt werden.

Unterschiede im Becken – Risikofaktoren für die Hamstringmuskulatur

Bei Frauen ist das Becken, und somit die Hüftpfanne, signifikant stärker Richtung anterior gekippt. Diese stärkere Neigung des Beckens wurde mit Hamstringverletzungen in Zusammenhang gebracht. Erklären lässt sich das, da aufgrund der proximalen Befestigung der Hamstringsehnen an den Sitzbeinhöckern die Sehne in einer relativ verlängerten Position ist. Auch der Gluteus maximus und der Gluteus medius sind bei Frauen aufgrund dessen verlängert und schwächer. Das Becken von Frauen ist breiter und die Beckenöffnung runder. Das größere Verhältnis von Beckenbreite zu Oberschenkellänge ist teilweise dafür verantwortlich, dass Frauen schwächere Hüftbeuger haben als Männer. Das wiederum führt wie bereits beschrieben zu einer geringeren Beanspruchung des Gluteus medius. Frauen, deren Hüftabduktoren und Aussenrotatoren kräftiger sind, haben nachweislich ein geringeres Risiko für Verletzungen der unteren Extremität insgesamt.

Hypermobilität der Gelenke und Steifigkeit der Hamstringsehne

Tendenziell haben Frauen eine größere Beweglichkeit und Gelenklaxizität als Männer. Dadurch ist der Bewegungsumfang in der Hüftflexion und Hüftinnenrotation bei 90 Grad Beugung größer. Das kann die Muskeln der hinteren kinetischen Kette belasten und zu einer übermäßigen Innenrotation der Hüfte führen. Es gilt als wahrscheinlich, dass die passive Steifigkeit der Hamstringsehne geringer ist als bei Männern und gleichzeitig die Dehnungstoleranz höher. Auch Instabilitäten im Iliosakralgelenk können zu Hamstringverletzungen beitragen. Ergänzend scheinen Unterschieden in der neuromuskulären Kontrolle von Rumpfmuskulatur und unterer Extremität ungünstige Auswirkungen haben zu können.

Fazit: (Exzentrische) Kräftigungsübungen, teilweise mit spezifischem Fokus auf die weibliche Anatomie, für das Gesäß, die transversale Bauchmuskulatur, Hamstringmuskulatur, aber auch Übungen zur Rumpfstabilisierung und Beweglichkeitstraining können die anatomischen und biomechanischen Risikofaktoren ausgleichen, die Zeit bis zum Return-to-Sport und das Risiko einer erneuten Verletzung verringern.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. O'Sullivan L, Preszler J, Tanaka M. Hamstring Injury Rehabilitation and Prevention in the Female Athlete. Int J Sports Phys Ther. 2022; 17: 1184-1193. doi:10.26603/001c.38254