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Fortsetzung Bewegung & Neuroplastizität: Das Gehirn – kein Muskel und doch unglaublich trainierbar

Bewegung wirkt primär auf das Gehirn

Doch was passiert denn nun bei Bewegung im oder mit dem Gehirn? Dazu ist es notwendig, den Begriff »Bewegung« etwas klarer zu umreißen. In der Forschung wird unterschieden zwischen der Wirkung chronischer und akuter Bewegung. Bei akuter Bewegung geht es darum, ob die parallel bzw. sehr zeitnah ausgeführte Bewegung einen direkten Einfluss auf einen Prozess hat, z. B. das Lernen von Vokabeln. Bei chronischer Anwendung soll herausgefunden werden, ob Bewegung, die ganz unabhängig von solch akutem Nutzen ist, langfristig positive Auswirkungen auf das Gehirn hat. Um letztere geht es in diesem Artikel.

Die ursprünglichen Arbeiten zu Bewegung und Kognition beim Menschen betrachteten so genannte Exekutivfunktionen, also Funktionen, die die Kontrolle von Handlungen steuern (z. B. Verhaltenskontrolle oder Arbeitsgedächtnis). Diese Funktionen sind an den Frontalkortex gekoppelt. Prof. Dr. Arthur Kramer vom Beckman Institute an der Universität von Illinois (USA) fand heraus, dass bei körperlich fitten älteren Menschen die exekutiven Funktionen weniger stark von Alterungsprozessen betroffen waren als bei weniger fitten Senioren. Die graue Substanz wird weniger stark abgebaut, wenn regelmäßig Gesundheits-/Breitensport betrieben wird (1).

Bewegung wirkt aber auch auf den Hippocampus. Dieser ist wahrscheinlich die plastischste und am stärksten veränderbare Struktur im Gehirn. Er wird auch als »Tor zum Gedächtnis« bezeichnet, weil ein Großteil der Informationen, die dort langfristig gespeichert werden sollen, zuerst den Hippocampus durchlaufen. Er ist die einzige Struktur im menschlichen Gehirn, in der in nennenswertem Umfang lebenslang neue Neuronen gebildet werden. Normalerweise ist die Bildung der Nervenzellen nach der ersten Hälfte der Schwangerschaft abgeschlossen. Doch im Hippocampus findet lebenslang die so genannte adulte Neurogenese statt.

Wie Prof. Kempermann und andere Forscher herausfinden konnten, erhöht Bewegung die Bildung neuer Neuronen im Hippocampus. Die Bildung neuer Nervenzellen aktivitätsabhängig zu steuern, könnte notwendig sein, um neue Informationen flexibel verarbeiten zu können, beispielsweise wenn bekannte Informationen in einen neuen Kontext eingebaut werden müssen. Denn genau diese Flexibilität und Möglichkeit der Adaptation ist für das Überleben vorteilhaft. Das zeigt, dass das Gehirn nicht einfach eine große »Festplatte« ist, sondern ein Netzwerk, dessen Bahnen und Verknüpfungen entsprechend aktueller Anforderungen veränderbar sind, um die Zukunft in einem gewissen Rahmen vorherzusagen und sich darauf einzustellen.

Qualität und Quantität: Was bevorzugt das Gehirn?

Dass Bewegung das Hirn auf Trab bringt, ist also bereits bewiesen. Doch wie viel und welche Bewegung sind besonders förderlich? Wenn die Hypothese richtig ist, dass aus evolutionsbiologischer Sicht Bewegung und Kognition zusammengehören, sollte vielfältige, abwechslungsreiche Bewegung das Mittel der Wahl sein. Tatsächlich sprechen Untersuchungen dafür, dass das Gehirn davon profitiert, wenn es einer Vielzahl von Stimuli ausgesetzt wird. Dennoch gibt es noch keinen Konsens darüber, ob bestimmte Sportarten für das Gehirn besonders zu empfehlen sind.

Auf internationaler Ebene befasst sich das Global Council on Brain Health (GCBH) mit dem Komplex aus körperlicher Aktivität und Hirngesundheit, um die Denkfähigkeit auch im Alter möglichst aufrechtzuerhalten. Dazu haben die Wissenschaftler im Juli 2016 einen Konsens veröffentlicht (2).

1. Körperliche Aktivität hat einen positiven Einfluss auf die Hirngesundheit.
a. Ein körperlich aktiver Lebensstil
(z. B. Gehen, Treppensteigen, Gartenarbeit) fördert die Hirngesundheit.
b. Sportliche Aktivität (z. B. Walking, Radfahren, Krafttraining usw.) fördert die Hirngesundheit.
2. Menschen können körperliche Aktivität in jedem Alter aufnehmen.
3. Randomisierte kontrollierte Studien zeigen, dass Sport günstige Veränderungen der Gehirnstruktur und der Hirnfunktion zur Folge hat.
4. Epidemiologische Studien zeigen, dass körperlich aktive Menschen ein geringeres Risiko für kognitiven Abbau haben.
5. Obwohl es eine Verbindung zwischen körperlicher Aktivität und Hirngesundheit gibt, kann nicht mit wissenschaftlicher Evidenz gesagt werden, dass körperliche Aktivität das Risiko für Erkrankungen des Gehirns verringert, welche Demenz auslösen.

Prof. Dr. Brigitte Röder, Leiterin der Arbeitsgruppe Biologische Psychologie und Neuropsychologie der Universität Hamburg, formuliert es so: »Das Gehirn ist ein Teil des Körpers und profitiert von Sport genauso wie der Rest des Körpers. Epidemiologische Studien zeigen, dass im Leben frühzeitiger Sport und kontinuierliche körperliche Aktivität günstig sind. Das Risiko für kognitive Einbußen ist bei regelmäßigem Sport geringer als bei Menschen, die erst spät damit begonnen haben. Allerdings nimmt der positive Effekt ab, wenn mit dem Sport aufgehört wird.«

Meta-Analysen haben ergeben, dass nur drei Sporteinheiten von weniger als einer Stunde pro Woche notwendig sind, um positive Effekte auf das Gehirn zu erzielen (3). Damit deckt sich diese Erkenntnis mit den Empfehlungen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Prof. Röder und ihr Team haben in einem Vergleich von Probanden, die ein Ausdauertraining absolvierten, zu denen, die ein Stretching-Programm durchführten, festgestellt, dass ein Anstieg in der maximalen Sauerstoffsättigung VO2max mit Veränderungen in der Gedächtnisleistung korreliert.

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Prof. Dr. Brigitte Röder, Leiterin der Arbeitsgruppe Biologische Psychologie und Neuropsychologie, Universität Hamburg © Röder
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