Achillessehnen-Tendinopathie: Heilung durch Belastung
Obwohl die stärkste Sehne im Körper extreme Belastungen aushalten kann, reagiert sie relativ empfindlich auf Druck- und Scherkräfte sowie repetitive hohe Belastungen. Beschwerden an der Achillessehne betreffen daher besonders Läufer und Athleten aus Sportarten mit schnellen Richtungswechseln, wenngleich sie durchaus auch in der »unsportlichen« Allgemeinbevölkerung vorkommen. Das Alter begünstigt die Entstehung ebenfalls: Männer mittleren Alters sind überdurchschnittlich häufig von einer Achillessehnen-Tendinopathie betroffen. Eingeteilt werden die Beschwerden entsprechend ihrer Lokalisation in ansatznahe (Insertions-) und ansatzferne (mid-portion) Tendinopathien. Erstere befinden sich an der Sehnen-Ansatzstelle am Fersenbein (Calcaneus) und bis zu zwei Zentimeter darüber. Weit häufiger sind ansatzferne Tendinopathien, die zwei bis sieben Zentimeter oberhalb der Insertion durch Schmerz, gelegentlich Schwellung sowie verminderte Belastbarkeit gekennzeichnet sind. Um diese soll hier gehen.
Geringe Gewebequalität verursacht Beschwerden
Wiederholte Mikroverletzungen der Sehne entstehen beispielsweise durch zu schnelle Erhöhung von Trainingsumfang oder -intensität, neue Trainingsformen sowie durch seltene, aber intensive Belastungen und falsches oder altes Schuhwerk. Passieren zu viele Mikroverletzungen in zu kurzer Zeit, kommt der Körper mit der Sehnenheilung, dem so genannten remodeling, nicht mehr nach. Anstelle des für eine hohe Gewebequalität verantwortlichen Kollagen Typ 1 verwendet er dann ein anderes Kollagen (Typ 3), wodurch sich die Widerstandsfähigkeit der Sehne verringert und die Struktur desorganisierter wird. Durch Wassereinlagerungen schwillt die Sehne nun an und bekommt Knötchen.
»Eine gesunde Sehne hat eine spiegelnde Oberfläche und sieht hierarchisch streifig aus. Degenerativ veränderte Sehnenanteile wirken hingegen glasig bis schleimig«, erklärt Prof. Dr. Anja Hirschmüller, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie am Altius Swiss Sportmed Center Rheinfelden und Sportärztin des Jahres 2021. Diese Veränderung geht im Übrigen meist ohne Entzündungsreaktion einher, weswegen entzündungshemmende Medikamente (NSAR) nicht grundsätzlich – und wenn, nur kurzfristig – zur Schmerzlinderung empfohlen werden sollten. Vielmehr geht man davon aus, dass die Schmerzen durch Einsprossung von Blutgefäßen und Nerven ins Gewebe während des degenerativen Prozesses entstehen. In der Umgebung dieser Strukturen wurden Neurotransmitter gefunden, die für die Übertragung der Schmerzsignale verantwortlich sein könnten.
Je früher, desto besser
Eigentlich ist eine Achillessehnen-Tendinopathie keine zeitkritische Verletzung. Doch je geringer der Grad der Sehnenveränderung zu Therapiebeginn ist, desto vollständiger und unter Umständen auch schneller kann eine Ausheilung gelingen. Die Einteilung der Verletzungsstadien geht von der anfänglichen reaktiven Tendinopathie über die so genannte Disrepair-Phase bis zur degenerativen Tendinopathie (2). Tatsächlich kann durch eine gute konservative Therapie die Gewebedegeneration und das Einwachsen neuer Blutgefäße und Nerven in den ersten beiden Phasen meist rückgängig gemacht und hochwertiges Sehnengewebe wieder aufgebaut werden. Wann Betroffene einen Arzt aufsuchen, ist sehr verschieden: »Das hängt von vielen Faktoren ab«, sagt Dr. Guido Laps, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Spezialist für Fuß-, Sprunggelenks- und komplexe Achillessehnenchirurgie. »Das individuelle Schmerzempfinden spielt ebenso eine Rolle wie die Beeinträchtigung der Lebensqualität, beispielsweise weil die Sportausübung nicht mehr wie gewünscht möglich ist«.
Bildgebung nur bedingt notwendig
Die Diagnose kann in der Regel rein klinisch über das Beschwerdebild und per Ultraschalluntersuchung bestätigt werden. Weitere Bildgebung ist nicht unbedingt notwendig, doch Dr. Laps erklärt, warum er mitunter auch auf MRT-Untersuchungen zurückgreift: »Im MRT kann ich den Schweregrad besser einschätzen. Wie stark ist der Verschleiß? Gibt es Längsrisse in der Sehne? Anhand dieser Informationen kann ich individueller entscheiden, welche ergänzenden Therapieoptionen gegebenenfalls zusätzlich zur Basisbehandlung für den Patienten in Frage kommen.«
Therapie einer Achillessehnen-Tendinopathie: Ein Marathon, kein Sprint
Konservative Therapiemöglichkeiten verbessern sich immer weiter. Dr. Laps betont, dass von seinen Patienten mit der Diagnose „Achillessehnen-Tendinopathie“ 80 bis 90 Prozent unter konservativer Behandlung beschwerdefrei werden. Allerdings, auch das stellt er klar, müssen Patienten darüber aufgeklärt werden, dass die Behandlung mindestens drei bis vier Monate dauert und unbedingt fortgesetzt werden muss, auch wenn der akute Schmerz schon früher deutlich zurückgeht. Prof. Hirschmüller ergänzt, dass man während des Trainings keine Angst haben muss, wenn man die Sehne spürt oder leichte Schmerzen hat; während der Therapie kann also weiter Sport getrieben werden, sofern eine mittlere Schmerzintensität (3 von maximal 10, wobei 10 »unerträglich« bedeutet) nicht überschritten wird. Manchmal ist es dennoch empfehlenswert, die auslösende Laufoder Sprungbelastung für einige Zeit zu reduzieren und auf andere Sportarten (z.B. Radfahren, Schwimmen) auszuweichen. Auch sollten auslösende biomechanische Faktoren abgeklärt und gegebenenfalls korrigiert werden.
Heilung nur unter hoher Belastung der Sehne möglich
Die Behandlung hat zum Ziel, den Stoffwechsel im verletzten Bereich anzukurbeln, damit der Heilungsprozess in Gang gesetzt wird. Dazu braucht es als Grundlage ein Hochlasttraining (»Tendoloading«) für die Achillessehne. Klassischerweise kommen exzentrische Übungen zum Einsatz. Die am besten untersuchte Übung mit der besten Evidenz ist der exzentrische »Heel-Drop« (4). Dabei steht der Patient je nach Schmerz und Trainingszustand einoder beidbeinig mit dem Vorfuß auf einer Treppenstufe. Nun lässt er die Ferse nach unten sinken und drückt sich dann bis in den maximalen Zehenstand. Empfohlen sind 30 Wiederholungen dreimal pro Tag. Da diese Trainingsform recht eintönig ist, ist die Compliance langfristig häufig gering.
Eine andere gezielte Belastungsform ist etwa das Heavy Slow Resistance Training (HSRT), bei dem mit Unterstützung von Geräten oder Gewichten dreimal pro Woche geübt wird. Silbernagel und Crossley (6) haben ein mögliches Programm für den Return-to-Sport auf Basis von klinischen Studien veröffentlicht. Egal, welche Form gewählt wird: Die Mitarbeit des Patienten sowie eine hohe Belastung der Sehne ist entscheidend. »Meist empfinden Patienten die ersten beiden Wochen als mühsam. Nach etwa sechs Wochen tritt oft eine deutliche Besserung ein. Und dann heißt es unbedingt weitermachen, denn Sehnengewebe heilt sehr langsam«, erklärt Prof. Hirschmüller.
Ergänzende Therapieverfahren
Je nach Vorgeschichte kann eine Lauf- oder Ganganalyse bei der Erkennung schädlicher, die Achillessehne belastender Bewegungsmuster hilfreich sein. Fuß-Fehlstellungen können mit Hilfe von Einlagen oder speziellem Schuhwerk korrigiert werden. Zwei weitere Verfahren, die bei einer Achillessehnen-Tendinopathie eingesetzt werden, sind Stoßwellentherapie und Plättchenreiches Plasma (PRP). Zwar ist die Evidenz hier noch nicht ausreichend, um sie grundsätzlich zu empfehlen, aber sowohl Prof. Hirschmüller als auch Dr. Laps berichten von guten klinischen Ergebnissen. Eine randomisierte Kontrollstudie (5) verglich über 12 Wochen hinweg zwei Gruppen.
Gruppe 1 übte nur mit exzentrischem Training, Gruppe 2 erhielt zusätzlich drei Stoßwellenbehandlungen. Der VISA-A-Score, mit dem Schmerz, Funktion und Aktivität abgebildet werden kann, verbesserte sich signifikant in beiden Gruppen vom Ausgangswert 50 (Gruppe 1: exzentrisch) bzw. 51 (Gruppe 2: exzentrisch plus Stoßwelle) auf 73,0 bzw. 86,5. Hinsichtlich des Parameters Schmerz verbesserten sich beide Gruppen ebenfalls signifikant, Gruppe 2 jedoch stärker. Aus Gruppe 1 gaben 56 Prozent an, dass ihr Zustand »stark verbessert« oder »vollkommen wiederhergestellt« sei, in Gruppe 2 waren es 82 Prozent. Die Kombination aus exzentrischem Training und Stoßwellenbehandlung scheint demnach sinnvoll. Ein Review hingegen findet überwiegend geringe bis sehr geringe Evidenz für diese Kombinationstherapie (3). Bei Insertionstendinopathien ist die Datenlage hinsichtlich Stoßwelle besser und die Evidenz höher.
PRP – Plättchenreiches Plasma
Auch zum Einsatz von PRP ist sich die Wissenschaft noch uneins. »Die Datenlage ist bei der Achillessehne nicht so gut wie für die Behandlung der Plantarfaszie, aber unsere klinische Erfahrung zeigt, dass insbesondere leukozytenarmes Plasma gut funktioniert«, sagt Prof. Hirschmüller. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine randomisierte Kontrollstudie, in der die Probanden zusätzlich zu exzentrischem Training vier PRP-Injektionen mit leukozytenarmem Plasma (oder Placebo) im Abstand von jeweils 14 Tagen erhielten (1). Andere Untersuchungen fanden geringere Effekte, die Prof. Hirschmüller auf uneinheitliche Studien-Szenarien zurückführt: »Hier ist zu beachten, dass sehr viele unterschiedliche Protokolle zur Herstellung des Plasmas genutzt werden. Manche verwenden leukozytenreiches, andere leukozytenarmes Plasma. Auch wie oft, in welchem Abstand und wohin es gespritzt wird, kann ausschlaggebend sein. Wird unter Ultraschallkontrolle injiziert, kann die betroffene Stelle natürlich besser lokalisiert werden, als wenn das nach Gefühl erfolgt.«
Exzentrisches Belastungstraining bleibt weiterhin der Goldstandard in der Behandlung einer Achillessehnen-Tendinopathie. Welche Methoden gegebenenfalls zusätzlich zum Einsatz kommen, hängt auch vom Patientenwunsch ab. »Es sollte berücksichtigt werden, was der Patient anstrebt, welches Leistungsniveau er hatte und wohin er zurück möchte. Manche sind zufrieden damit, die Eigenübungen durchzuführen, andere wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen. Entscheidend ist auch, wie lange die Beschwerden schon andauern und ob vor einer OP als letzter Option alle Register gezogen werden sollen«, sagt Dr. Laps.
Die OP hat ihre Berechtigung
Wenn sämtliche konservativen Therapieversuche trotz hoher Compliance nach mindestens sechs Monaten keine zufriedenstellende Besserung zeigen, »dann ist die Operation auf jeden Fall gerechtfertigt und hat eine gute Prognose«, macht Prof. Hirschmüller deutlich. Bei der OP wird das degenerativ veränderte Gewebe entfernt. Durch diesen Reiz kann die Heilung und Bildung gesunder Sehnenstruktur beginnen. Sowohl offene als auch minimalinvasive endoskopische Techniken (Tenoskopie) werden je nach Schwere und zugrunde liegender Pathologie durchgeführt. In jedem Fall sind die Zeiten vorbei, in denen Entlastung bis zur Schmerzfreiheit oder Schienen bzw. Orthesen zur Ruhigstellung als sinnvoll betrachtet wurden. Die Sehne braucht Belastung, um zu heilen.
■ Hutterer C
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Quellen:
Boesen AP, Hansen R, Boesen MI, Malliaras P, Langberg H. Effect of High-Volume Injection, Platelet-Rich Plasma, and Sham Treatment in Chronic Midportion Achilles Tendinopathy: A Randomized Double-Blinded Prospective Study. Am J Sports Med. 2017; 45: 2034-2043. doi:10.1177/0363546517702862
Cook JL, Purdam CR. Is tendon pathology a continuum? A pathology model to explain the clinical presentation of load-induced tendinopathy. Br J Sports Med. 2009; 43: 409-416. doi:10.1136/bjsm.2008.051193
Korakakis V, Whiteley R, Tzavara A, Malliaropoulos N. The effectiveness of extracorporeal shockwave therapy in common lower limb conditions: a systematic review including quantification of patient-rated pain reduction. Br J Sports Med. 2018; 52: 387-407. doi:10.1136/bjsports-2016-097347
Magnussen RA, Dunn WR, Thomson AB. Nonoperative treatment of midportion Achilles tendinopathy: a systematic review. Clin J Sport Med. 2009; 19: 54-64. doi:10.1097/JSM.0b013e31818ef090
Rompe JD, Furia J, Maffulli N. Eccentric loading versus eccentric loading plus shock-wave treatment for midportion achilles tendinopathy: a randomized controlled trial. Am J Sports Med. 2009; 37: 463-470. doi:10.1177/0363546508326983
Silbernagel KG, Crossley KM. A Proposed Returnto-Sport Program for Patients With Midportion Achilles Tendinopathy: Rationale and Implementation. J Orthop Sports Phys Ther. 2015; 45: 876-886. doi:10.2519/jospt.2015.5885