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Sportlerleiste, Leistenhernie und Schenkelhernie

Sportlerleiste, Leistenhernie und Schenkelhernie
© Galina Barskaya / Adobe Stock

Leistenschmerzen und Leistenverletzungen sind häufige Beschwerden bei Sportlern. Im Fußball entfallen 4 bis 19 Prozent aller Verletzungen bei Männern auf die Leiste, bei Frauen liegt die Zahl mit 2 bis 14 Prozent etwas niedriger. Besonders in Sportarten mit großer Belastung der unteren Extremität (z. B. Langstreckenlauf, Volleyball), Drehbewegungen (z. B. Eis- und Feldhockey, Wasserball), schnellen Richtungswechseln (z. B. Tennis, Futsal) und auch Tritten, etwa gegen einen Ball (z. B. Fußball, Australian Football) sind Leistenbeschwerden häufig (4). Höheres Spielniveau, verringerte Hüftadduktionskraft (absolut und relativ zur Abduktion) und geringeres sportspezifisches Training gehen ebenfalls mit einem erhöhten Risiko einer Leistenverletzung bei Sportlern einher (6). Aufgrund der Anatomie des Beckens und des steiler stehenden Leistenkanals mit der größeren Öffnung für den Samenstrang treten sie bei Männern insgesamt häufiger auf als bei Frauen. Trotz der Häufigkeit ist die eindeutige Diagnose oft schwierig. Dass gleich mehrere Strukturen und Verletzungen Schmerzen in der Leistengegend hervorrufen können, ist einer der Gründe dafür. Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl von Begrifflichkeiten und Bezeichnungen für ähnliche Symptomatiken gibt, die zudem unterschiedlich umschrieben werden (3, 6). Hier soll es um zwei bzw. drei häufige Entitäten gehen: die Sportlerleiste (oft auch als weiche Leiste oder Sportlerhernie bezeichnet) und die Leistenhernie (Leistenbruch) bzw. Schenkelhernie.

Sportlerleiste: ziehende, brennende, elektrisierende Schmerzen

Die Sportlerleiste ist ein typisches Problem im Leistungssport und den bereits genannten Sportarten. Sie ist kein Leistenbruch, sondern eine »umschriebene Vorwölbung im Bereich der Leistenkanalhinterwand, die sich aufgrund einer Schwäche der untersten Schicht, der Transversalfaszie, ausbildet. Dadurch wird bei Anstrengung ein darüber liegender Hautnerv gedrückt und verursacht Schmerzen«, erklärt Dr. Ulrike Muschaweck, Spezialistin für Hernienchirurgie mit eigenem OP-Zentrum in München. Die Folge sind die von den Betroffenen typischerweise als zur Oberschenkelinnenseite oder Hodenaußenseite »ziehend«, »brennend« und »elektrisierend« beschriebenen Schmerzen. Die Schwierigkeit bei Schmerzen der Leistenregion besteht darin, den Ursprungsort eindeutig zuzuordnen (5). Pathologien im oder um das Hüftgelenk wie Probleme an Iliosakralgelenk (ISG) und Becken, Iliopsoas, Schambein oder Adduktoren können ebenso Schmerzen im Umfeld der Leiste verursachen, werden allerdings häufig als »dumpf« und »dunkel« beschrieben (7).

Eingehende Anamnese und Diagnostik sind das A und O

»Eine sehr gute Anamnese ist wichtig, um exakt zu lokalisieren, woher der Schmerz kommt, welche Symptome der Patient genau beschreibt, bei welchen Bewegungen und Aktivitäten die Beschwerden auftreten und wie der Schmerz charakterisiert wird. Nur dann kann auch entsprechend zielgerichtet behandelt werden«, betont Prof. Dr. Matthias Seelig, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Krankenhaus Bad Soden und Spezialist für Hernien-Operatio­nen, Sportlerleisten und chronische Leistenschmerzen. Teilweise tritt die Sportlerleiste nicht isoliert auf, sondern zusammen mit anderen leistenassoziierten Schmerzen, beispielsweise Adduktorenverletzungen oder Knochenödemen im Schambein.

Eine eingehende Diagnostik muss die Anamnese ergänzen. Diese besteht aus einer umfassenden klinischen Untersuchung, um beispielsweise eine Beinlängendifferenz zu entdecken, die über das ISG Schmerzen in der Leiste auslösen kann. Eine Tastuntersuchung kann hinweisend sein, um sowohl das Leistengewebe und eventuelle Bruchlücken zu erkennen oder die Symphyse als Ursprungsort zu identifizieren. Auch Provokationstests helfen dabei, den Schmerzort und -ursprung genau zu lokalisieren. Zusätzlich ist insbesondere der dynamische Ultraschall, bei dem der Patient den Bauch anspannt oder hustet, um Belastung auf die Leiste zu bekommen, ein wichtiges Instrument. Ein MRT ist immer dann erforderlich, wenn die Beschwerden nicht eindeutig von pathologischen Befunden im Bereich des Hüftgelenks differenziert werden können. Außerdem kann es hilfreich sein, um andere Ursachen für die Beschwerden zu entdecken.

Konservativ oder operativ therapieren?

Ist die Diagnose »Sportlerleiste« anhand des Beschwerdebildes und der Untersuchungsergebnisse eindeutig, geht es um die Wahl der Therapiemethode. Eine konservative Behandlung ist immer möglich, aber nicht immer sinnvoll. Sie besteht aus Entlastung und Schonung, eventuell Kälte- oder Wärmeanwendungen und ergänzender Physiotherapie. Wie lang ein konservatives Vorgehen versucht werden sollte, hängt von mehreren Faktoren ab, beispielsweise davon, wie lange die Beschwerden schon bestanden. »Sind die Beschwerden gerade erstmals aufgetreten, ist häufig nur eine kurze Pause nötig. Schmerzen, die länger als zwei Monate bestehen, sind oft nur durch eine Operation erfolgreich zu adressieren«, erklärt Prof. Seelig.

Dr. Muschaweck empfiehlt, dem konservativen Versuch maximal sechs Wochen einzuräumen: »Alles, was darüber hinaus geht, begünstigt meiner Erfahrung nach die Chronifizierung der Beschwerden. Das sollte unbedingt vermieden werden« Beide betonen, dass bei eindeutiger Diagnose einer Sportlerleiste und wenn der Athlet nicht mehrere Wochen pausieren kann oder möchte, eine frühe Operation angeboten werden kann. Denn die bestehenden Verfahren haben alle wenige Komplikationen und sind wenig belastend.

Dr. Ulrike Muschaweck, Spezialistin für Hernienchirurgie, München
Dr. Ulrike Muschaweck, Spezialistin für Hernienchirurgie, München © Muschaweck