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Potenziale der Individualisierung im Sport und Gesundheitscoaching stärker nutzen

Editorial der Ausgabe #9/2017 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Prof. Kuno Hottenrott plädiert darin für eine bessere Nutzung der Erkenntnisse über den Einfluss genetischer und epigenetischer Faktoren auf die Trainierbarkeit und Leistungsfähigkeit. Dieses Wissen sollte für ein individualisiertes Training eingesetzt werden.

Potenziale der Individualisierung im Sport und Gesundheitscoaching stärker nutzen
© DZSM 2017

Kenntnisse zum Einfluss genetischer und epigenetischer Faktoren auf die Trainierbarkeit und Leistungsfähigkeit haben das Potenzial für eine stärkere Individualisierung des Trainings in der gesamten Lebensspanne (3, 6).

Unzureichende Individualisierung des Trainings

In der Reaktionsfähigkeit auf regelmäßige körperliche Aktivität besteht eine beträchtliche Heterogenität; gleiche Trainingsbelastungen können zu deutlich unterschiedlichen Trainingsanpassungen führen (4). Neben Alter, Geschlecht und ethnischer Herkunft trägt vor allem die trainingsbedingte Ausprägung des Phänotyps zur Variabilität der Trainingsreaktion bei. Auch die aktuellen Ergebnisse in der Molekularbiologie und Genetik verweisen auf die Zweckmäßigkeit eines spezifischen und individualisierten Trainings (7).

Die Muskelanpassung beim Ausdauer- und Krafttraining aktiviert unterschiedliche molekulare Signalwege und Anpassungsregulatoren und diese sind u. a. durch ein angepasstes Timing und verschiedene Ernährungsstrategien optimierbar (13). Um diese und weitere Erkenntnisse aus der Wissenschaft für eine gezielte Ansteuerung von Trainingsstimuli nutzen zu können, ist eine stärkere Individualisierung des Trainings notwendig. Das Potenzial der Individualisierung im Leistungs-, Gesundheits- und Rehabilitationssport wird bisher unzureichend genutzt.

Im Leistungssport, welcher das Ziel der (maximalen) Ausprägung individueller Leistungsvoraussetzungen hat, halten viele Sportverbände noch an veralteten Rahmentrainingskonzeptionen fest und die individuelle Situation sowie die individuellen Voraussetzungen des Athleten finden zu wenig Berücksichtigung. Seit Jahren werden Trainingsdaten von Leistungssportlern erhoben, jedoch steht eine systematische Auswertung und Analyse dieser Daten, insbesondere unter der Detektion individueller Profile (Trainingstypen), bisher aus (8).

Aus einer reinen deskriptiven Datenauswertung lassen sich Anpassungs- und Trainingstypen des Sportlers nicht erkennen und begründete Konzepte für individuelle Trainingspläne nicht erstellen. Auch werden die modernen Möglichkeiten technologischer Innovationen, der Einsatz von Wearables, zu wenig für die Individualisierung des Leistungstrainings, d. h. zur Optimierung der Belastungs-Beanspruchungs-Regulation genutzt. Für eine Individualisierung der Trainingsbelastungen sind fachliche Kompetenzen des Trainers insbesondere hinsichtlich der Belastungs-Beanspruchungs-Steuerung notwendig.

Je genauer Trainer die individuellen Reaktionsweisen ihres Athleten kennen, desto gezielter ist eine Beanspruchungssteuerung umsetzbar. Kann die vertrauensvolle und kooperative Athlet-Trainer-Beziehung beispielsweise aufgrund der Konzentration von Leistungsstützpunkten nicht weitergeführt werden, steht die Individualisierung des Trainings vor neuen Herausforderungen.

Bild Kuno Hottenrott
Prof. Dr. Kuno Hottenrott, Direktor, Institut für Sportwissenschaft und Institut für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg © Hottenrott
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