Notfälle auf Laufsportveranstaltungen
Vor dem Hintergrund der Popularität von Laufen als Breitensport erhöht sich auch die Anzahl entsprechender Laufsportveranstaltungen. Je nach Grad der Professionalisierung, Laufstrecke, Alter, individuellem Risikoprofil der Teilnehmenden sowie Wetterbedingungen, Zuschauerzahl und weiteren Faktoren ergibt sich die Frage, auf welche Notfälle sich Rettungsdienste vor Ort einstellen müssen. Eine deutsche Übersichtsarbeit stellt die Inzidenz, Pathophysiologie und Therapie der häufigsten Verletzungs- und Krankheitsbilder bei Laufsportveranstaltungen dar (1).
Vorbestehende Individualrisiken
Gerade wenn Gruppen von Läufern gemeinsam antreten, die das Laufen zur Sekundärprophylaxe vorbestehender Erkrankungen wie Hypertonie, koronare Herzkrankheit (KHK) oder Diabetes mellitus betreiben, können diese vorbestehenden Pathologien zum Risiko werden. Diabetes-Patienten etwa können durch anhaltende Anstrengung in eine symptomatische Hypoglykämie mit Ketoazidose geraten, die sich in neurologischen Ausfällen äußert. Dies gilt auch für Fehlfunktionen oder die falsche Einstellung automatischer Insulinpumpen. Ist bei Laufsportveranstaltungen die Teilnahme vorerkrankter Personen bekannt, sollte sich das Rettungspersonal entsprechend darauf einstellen.
Einnahme und Missbrauch von Substanzen
Besondere Risiken entstehen durch die eigenmächtige Einnahme leistungssteigernder Substanzen, die von ca. 7 Prozent der Athleten vor Wettkämpfen konsumiert werden. Je nach Stimulanzienart können unkontrollierte sympathoadrenerge Effekte z. B. zu Tachykardien, Palpitationen, Herzrhythmusstörungen, Rhabdomyolyse und Myokardischämien führen. Regelmäßig konsumierte Anabolika begünstigen Leberschäden sowie Herzinsuffizienz und Infarkte; in Kombination mit Insulin steigt das Risiko für Hypoglykämie signifikant. Bis zu 49 Prozent der Marathonläufer nehmen zudem vor dem Wettkampf nicht verschreibungspflichtige NSAR, COX2-Inhibitoren oder Paracetamol ein. Auch diese landläufig als harmlos empfundenen Mittel sind problematisch, weil sie die Schmerzschwelle senken und durch die Inhibition der Prostaglandinsynthese bei entsprechender Prädisposition zu gastrointestinalen Blutungen, Magengeschwüren, kardiovaskulären Ereignissen und Nierenschäden führen können.
Doch auch ärztlich verordnete Medikamente stellen teilweise ein Risiko dar. So erhöhen Statinpräparate bei gleichzeitiger sportlicher Anstrengung das Rhabdomyolyse- und Östrogene das Thromboserisiko. Antikoagulanzien steigern bei Traumen die Wahrscheinlichkeit von Blutungen.
Elektrolytstörungen und Dehydration
13 Prozent der Langstreckenläufer rutschen durch übermäßige Aufnahme hypotoner Getränke und Hyperthermie in eine Hyponatriämie. Leider gestaltet sich hier die präklinische Diagnose als äußerst schwierig, da unspezifische Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Ataxie, Orientierungsstörungen, Bewusstseinsstörungen, generalisierte Krampfanfälle und Atemnot auch auf andere Anstrengungsfolgen wie Hitzschlag oder Dehydratation hinweisen können. Umso essenzieller ist die eingehende klinische Untersuchung nach dem ABCDE-Schema, die Erhebung des neurologischen Status sowie nach Möglichkeit die Bestimmung des Serumnatriumspiegels.
Zu hydratationsbedingten Gesundheitsstörungen gehören auch Einschränkungen der Nierenfunktion, die z.B. durch katecholamininduzierte renale Vasokonstriktion, reduziertes Plasmavolumen, einsetzende Rhabdomyolyse oder die Einnahme von NSAR entstehen können. Auch sie können sich ähnlich wie Kollaps oder Hitzschlag äußern, was das Augenmerk auf spezifischere Symptome wie Oligurie, Polyurie, Anurie, periphere Ödeme oder metabolische Azidose richten sollte.
Durch belastungsabhängige Sympathikusaktivierung induzierte Ischämien der Darmmukosa verursachen bei 30 bis 90 Prozent der Langstreckenläufer gastrointestinale Symptome wie Diarrhö, Erbrechen, Reflux oder Koliken. Schwere Fälle resultieren in blutigen Durchfällen, abdominaler Angina, hämorrhagischer Gastritis, rektalen Blutungen und weiteren Pathologien. Grundsätzlich ist sofort eine symptomatische Therapie nebst vorsichtiger Rehydrierung einzuleiten.
Plötzlicher Herztod und Kollaps
Kreislaufstillstände auf Laufsportveranstaltungen sind zwar äußerst selten, doch die Überlebensraten sind gering: Eine Studie gibt das Risiko, nach einem Kreislaufstillstand während eines Halbmarathons oder Marathons zu versterben, mit 71 Prozent an. Betroffen sind davon mit 93 Prozent hauptsächlich Männer im Durchschnittsalter zwischen 45 und 50 Jahren sowie KHK-Patienten (65–70 Prozent). Die meisten Fälle von Plötzlichem Herztod treten auf den letzten 5 Kilometern eines Marathons auf, wobei vorbestehende hypertrophe Kardiomyopathien die Mortalität signifikant erhöhen.
59 Prozent der medizinisch vorstelligen Langstreckenläufer erlitten einen Kollaps als Folge einer klassischen orthostatischen Dysregulation. Meist reicht hier nach sorgfältiger Anamnese und Sicherung der Vitalfunktionen nach ABCDE-Schema eine vorsichtige Rehydrierung aus.
Weichteilverletzungen
Sehr häufig werden Läufer von anstrengungsassoziierten Muskelkrämpfen (AAMK) geplagt, deren Ursache meist in einer zu geringen Trinkmenge oder unzureichender Dehnung zu suchen ist. Entsprechend kann den manchmal überraschend schmerzhaften und hinderlichen Krämpfen durch orale Rehydrierung und gezielte Dehnung des betroffenen Muskels entgegengewirkt werden.
Tendinopathien treten auf, wenn überbeanspruchte Sehnen progressiv degenerieren. Achillessehnentendinopathien und Plantarfasziitiden melden sich jeweils meist schon vor dem Wettkampf mit dem hinweisgebenden Ruhe- oder Belastungsschmerz. Genau wie akute Zerrungen der Oberschenkelmuskulatur, Muskelfaserrisse, Prellungen oder Verrenkungen werden sie präklinisch mit abschwellenden Maßnahmen (Kühlung, ggf. Kompression), Ruhigstellung und passende Analgetika behandelt.
Akute Traumata, Medikamente, Noxen oder ein Hitzschlag können die Membran der Muskelzellen schädigen oder den Zusammenbruch der intrazellulären Energieversorgung verursachen. Dadurch entwickelt sich eine Rhabdomyolyse, bei der die erhöhten Serummyoglobulinspiegel in letzter Folge ein akutes Nierenversagen, Herzrhythmusstörungen, Kreislaufstillstände, eine disseminierte intravasale Gerinnung oder ein ödembedingtes Kompartmentsyndrom auslösen können. Da die Anfangssymptome (Schmerzen, Bewegungseinschränkung, Schwäche) das tatsächliche Ausmaß einer Rhabdomyolyse leicht verschleiern können, sollte der Patient nach der Soforthilfe mittels Kühlung und Analgesie aufmerksam weiterbeobachtet und bei unklarer Diagnose ggf. ins Krankenhaus eingewiesen werden, wo ein serologisches Labor Elektrolytstörungen und potenzielle Nierenschäden abklärt.
Von einem Kompartmentsyndrom spricht man, wenn ein trauma- oder anstrengungsbedingter Druckanstieg in den Muskellogen mit massiver Ödembildung in einem Teufelskreis aus weiterem Druckanstieg und Minderperfusion resultiert – oft z. B. an der vorderen Schienbeinmuskulatur. Unspezifische initiale Symptmone wie Muskelschwäche oder Krämpfe führen bei der präklinischen Diagnostik oft in die Irre. Erst später zeigen sich klarere Anzeichen wie Minderdurchblutung, Hypästhesie und Muskelverhärtung mit Ruheschmerz. Da ein unbehandeltes Kompartmentsyndrom zu schweren irreversiblen Gewebeschädigungen führen kann, müssen auch Durchblutung, Motorik und Sensibilität wiederholt überprüft werden.
Knochenverletzungen
Jede Art von erschöpfungs- oder unachtsamkeitsbedingter (Mikro)Fraktur zeigt sich klinisch in einem durch Palpation lokalisierbaren Belastungsschmerz, begleitet von Sekundärsymptomen wie Rötung und Schwellung. Präklinisch verschafft die sofortige Ruhigstellung mittels Schiene oder Orthese sowie passende Analgesie dem verletzten Knochen die notwendige Entlastung. Das gleiche gilt für Gelenk- oder Knorpelverletzungen.
Generell liegt die Herausforderung bei Laufsportveranstaltungen neben unspezifischen Überanstrengungssymptomen v.a. im Flüssigkeitsmanagement und einer sorgfältigen Anamnese.
■ Kura L
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Quellen:
Finke SR, Jänig C, Deschler A, Hanske J, Herff H, Hinkelbein J, Böttiger BW, Schmidbauer W, Schroeder DC. Notfallmedizinische Aspekte bei Laufveranstaltungen. Notf Rett Med. 2021: 1-10. doi:10.1007/s10049-021-00959-w