Hochintensives Intervalltraining: HIIT in Kindersport und Therapie

Hochintensives Intervalltraining: HIIT in Kindersport  und Therapie
© Dusan Kostic / AdobeStock

HIIT, also hochintensives Intervalltraining, war im Trainingsumfeld von Kindern lange Zeit tabu. Es herrschte die Auffassung, dass diese Trainingsform gefährlich oder zumindest ungesund sein könnte, da durch die intensive körperliche Belastung hormoneller Disstress verursacht würde. Inzwischen haben zahlreiche Untersuchungen das Gegenteil belegt. Kinder sind für manche Trainingsformen offenbar sogar besser oder zumindest gleich gut aufgestellt wie Erwachsene.

Der Blick ins Körperinnere, durch das Mikroskop und ins Blut zeigt das: Der Anteil an Typ-I-Muskelfasern ist höher als der bei Erwachsenen. Unter Belastung ist die Laktatkonzentration im Blut geringer. Auch die Kreatinphosphat-Speicher werden weniger schnell entleert und schneller wieder gefüllt. Hinzu kommen kürzere Zirkulations- und Diffusionsstrecken durch die geringere Körpergröße und die kürzeren Versorgungswege bis in die entfernteste Muskelzelle.

Intensives Training ist auch für Kinder gesund und sicher. »Man muss eigentlich nur zuschauen, was Kinder auf dem Pausenhof machen: Sie geben Vollgas, machen Pause, geben Vollgas, machen Pause. Schon im Naturell eines Kindes liegt die Belastung in Intervallen. Daher plädiere ich bei Kindern je nach Sportart und sportlichem bzw. therapeutischem Ziel klar für Intervalltraining«, erklärt Prof. Dr. Billy Sperlich aus der Arbeitsgruppe für integrative und experimentelle Trainingswissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Kinder können von HIIT profitieren

Die Forderung, hochintensives Training für Kinder vermehrt zu integrieren, formuliert Prof. Sperlich nicht aus dem Bauch heraus. Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe hat er in den vergangenen Jahren mehrere Studien mit Kindern durchgeführt oder Reviews erstellt, die die bekannten Ergebnisse zusammentragen. Demnach fördert HIIT auch bei Kindern die Anpassung des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels. Im Grunde laufen die gleichen Anpassungen ab wie beim Erwachsenen.

Durch intensives Intervalltraining nimmt besonders das Schlagvolumen zu und die Herzdimensionen verändern sich. Die absolute und relative Sauerstoffaufnahmekapazität V˙O2max steigt bei Kindern durch HIIT schnell an. Kinder können aerobe Stoffwechselvorgänge nutzen, bevor sie auf die anaerobe Energiegewinnung zurückgreifen müssen (4).

»Kinder fühlen sich nach HIIT unmittelbar erschöpft, regenerieren aber sehr schnell nach einer Trainingseinheit«, erklärt Prof. Sperlich. Und nicht nur das: Die Ermüdung während des HIIT, die so genannte Ermüdungsresistenz oder Fatigue Resistance, ist bei Kindern im Vergleich zu Jugendlichen und Erwachsenen verlangsamt. Welche physiologischen, anatomischen und psychologischen Faktoren dabei zusammenspielen, ist noch nicht endgültig geklärt. Doch eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass die absolute sowie die auf das Körpergewicht umgerechnete relative Leistung im Verlauf einer HIIT-Einheit weniger stark nachlässt als bei Erwachsenen.

Oder anders ausgedrückt: Kinder brauchen weniger Pause, um annähernd dieselbe Leistung mehrfach abzurufen (5). Selbst Kinder, die weniger als vier Stunden pro Woche sportlich aktiv sind, können mit erwachsenen Ausdauer­athleten konkurrieren – natürlich nicht, was die absolute Leistung angeht. Doch die Stoffwechselparameter und Ermüdungswerte gleichen denen von Erwachsenen, die ihren Körper durch umfangreiches Training von mindestens sechs Einheiten pro Woche über mindestens zwei Jahre zu solchen Anpassungen bewegt haben (2). So weit, so gut.

Prof. Dr. Billy Sperlich, Arbeitsgruppe für integrative und experimentelle Trainingswissenschaft, Julius-Maximilians- Universität Würzburg
Prof. Dr. Billy Sperlich, Arbeitsgruppe für integrative und experimentelle Trainingswissenschaft, Julius-Maximilians-Universität Würzburg © Sperlich
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HIIT – was ist damit genau gemeint?

Kinder können also von HIIT profitieren, aber worüber reden wir eigentlich genau? Mit HIIT ist ein hochintensives Intervalltraining als eine Form des Ausdauertrainings gemeint. Diese Trainingsform ist zu unterscheiden von HIT – also hochintensives (Widerstands-)Training – eine Methode des Krafttrainings, mit der die Proteinsynthese angekurbelt werden soll. Im Rahmen von HIIT gibt es viele Variablen, die unterschiedlichste Ausprägungen ermöglichen: Intervallzahl und -länge, Pausenlänge und -gestaltung (aktiv oder passiv), Serienanzahl und die Wahl der Belastungsintensität. Grob können drei Trainingsformen unterschieden werden: kurze, mittlere und lange Belastungs- bzw. Entlastungsdauer.

Tabelle 1 zeigt beispielhaft, wie die Belastungsintensität und Intervalllänge für Kinder und Jugendliche im Nachwuchsleistungssport variiert und entsprechend Alter, Sportart und individuellen Vorlieben variiert werden kann. Allerdings gibt es noch keine wissenschaftlich gestützten Best-Practice-Modelle für die langfristige Trainingsgestaltung. Was die Pausengestaltung zwischen den Intervallen angeht, scheinen Kinder, zumindest bei kurzen Intervallen, stark von einer passiven Pause zu profitieren. In einem Setting mit Laufintervallen und aktiven oder passiven Pausen von jeweils 15 Sekunden liefen die Kinder der letzten Gruppe dreimal so lang und die doppelte Strecke (1).

Tabelle 1: Adaptiert aus (4). Prozentzahlen entsprechen der Intensität ausgehend von der maximalen Leistungsfähigkeit, entweder der maximalen Herzfrequenz (HFmax) oder der Geschwindigkeit bei der maximalen Sauerstoffaufnahme (vV˙O2max). © DZSM 2019

Sinnvoll eingesetzt, verbessert HIIT im Kinder- und Jugendtraining nicht nur deutlich die Leistungsfähigkeit, sondern macht auch Spaß. »Wird HIIT ergänzend zum normalen Training ein- bis zweimal pro Woche zusätzlich eingesetzt, kann man fantasievoller trainieren, beispielsweise mit Staffel-Sprints«, zeigt Prof. Sperlich das Potenzial auf. »Das Gefühl der Kinder darf dabei aber nicht übergangen werden. Sie wissen sehr gut, wann sie eine Pause brauchen. Wenn ein Trainer das ignoriert, sinkt die Motivation und es kann körperlich zu viel werden«. Die Leistungsfähigkeit von Kindern schwankt auch mit den Wachstums­phasen und besonders in der Pubertät. Übertraining, Überlastungsverletzungen und sogar Burn-out können die Folgen sein. Von der American Academy of Pediatrics gibt es hierzu konkrete Empfehlungen (3) zur Trainingsgestaltung.

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HIIT im therapeutischen Setting

Hochintensives Intervalltraining hat in den letzten 15 Jahren nicht nur Einzug in den (Nachwuchs-)Leistungs- und Breitensport gehalten, auch in der Therapie verschiedener Erkrankungen wird das Potenzial der Methode erforscht. So zeigten Sperlich und Kollegen, dass ein dreimaliges wöchentliches HIIT-Programm mit vierminütigem Aufwärmen und dreiminütigen Intervallen bei Kindern mit ADHS im Vergleich mit 60-minütigem Ausdauertraining (Ballspiele, Mannschaftsspiele oder Klettern), die motorischen Fähigkeiten, das Selbstbewusstsein, die allgemeine Lebensqualität, die Kompetenz und auffällig stark die Aufmerksamkeit verbesserte (6).

Auch in der Therapie anderer Erkrankungen kann HIIT mit Erfolg eingesetzt werden. »Wichtig ist, dass die Patienten im Vorfeld eine sportmedizinische Untersuchung durchführen, um ihre Belastbarkeit zu prüfen und damit je nach Erkrankung beim Training gegebenenfalls eine Überwachung stattfindet«, betont Prof. Dr. Andreas Nieß, Ärztlicher Direktor der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen. Dies gilt insbesondere bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, z. B. nach Myokardinfarkt, chronischer Herzinsuffizienz oder nach Apoplex. Dass HIIT innerhalb kurzer Zeit deutliche Effekte auf die Leistungsfähigkeit, besonders auf die VO2max hat, ist unstrittig. Für andere krankheitsrelevante Zielgrößen ist der Vorteil des
HIIT gegenüber der Dauermethode weniger klar gesichert.

So haben Studien, die HIIT mit einem klassischen niedrigintensiven Ausdauertraining verglichen haben, gezeigt, dass das intensive Intervalltraining nicht grundsätzlich überlegen ist. Eine Metaanalyse (7), die für KHK-Patienten HIIT mit einem klassischen Ausdauertraining verglich, fand heraus, dass sich zwar die VO2max unter HIIT deutlich verbesserte, doch auf Ruhepuls, Blutdruck und BMI das Ausdauertraining günstiger wirkte. Unklar ist, ob ein möglicher Vorteil des HIIT sich auch über längere Trainingszeiträume abbilden lässt. Hierzu fehlen im Moment die Studien.

Prof. Dr. Andreas Nieß, Ärztlicher Direktor der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen
Prof. Dr. Andreas Nieß, Ärztlicher Direktor der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen © Nieß

Eine generelle Empfehlung an alle Patienten, HIIT der Dauermethode vorzuziehen, möchte Prof. Nieß nicht aussprechen: »Für ein individuelles Training müssen immer die Grunderkrankung, die laufende Therapie, die Ausgangsfitness und mögliche orthopädische Probleme beachtet werden. Auch die Vorkenntnisse und Vorlieben der Patienten sind wichtig. Wenn der Person Intervalltraining mehr liegt als Ausdauertraining, ist es naheliegend, dieses bevorzugt anzuwenden. Umgekehrt kommen manche Patienten mit dem HIIT nicht zurecht.«

HIIT ist ohne Zweifel ein weiteres wertvolles Trainingsinstrument in Prävention und Therapie. Es isoliert anzuwenden, ist für die meisten Personen wohl nicht zielführend. Eine Kombination mit der Dauermethode, aber auch mit weiteren Trainingsinhalten ist wahrscheinlich empfehlenswerter.

Wie anfangen?

Leistungssportler sind gut überwacht und betreut, Patienten ebenfalls. Wie aber gehen Freizeitsportler vor, die HIIT machen möchten? Grundsätzlich sollte, wenn das erste Mal Sport getrieben oder nach längerer Pause wieder begonnen wird, eine sportmedizinische Untersuchung durchgeführt werden, um mögliche Kontraindikationen für Sport allgemein oder eine bestimmte Belastungsform zu entdecken. Die Ergometrie hilft zudem bei der individuellen Festlegung der Trainingsintensitäten im HIIT. »Dann sollte eine Beratung durch einen ausgebildeten Trainer erfolgen, um das Programm so zu begleiten, damit der Trainingsaufbau gelingt«, sagt Prof. Nieß. Auch die Sportart muss berücksichtigt werden. »Beim Joggen kann es leichter zu Überlastungsreaktionen des Bewegungsapparats kommen als beim Radfahren. Insgesamt gibt es aus den HIIT-Studien aber keine Hinweise auf eine höhere Verletzungsrate«, betont der Sportmediziner.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Baquet G, Dupont G, Gamelin FX, Aucouturier J, Berthoin S. Active Versus Passive Recovery in High-Intensity Intermittent Exercises in Children: An Exploratory Study. Pediatr Exerc Sci. 2019; 31: 248-253. doi:10.1123/pes.2018-0218

  2. Birat A, Bourdier P, Piponnier E, Blazevich AJ, Maciejewski H, Duché P, Ratel S. Metabolic and Fatigue Profiles Are Comparable Between Prepubertal Children and Well-Trained Adult Endurance Athletes. Front Physiol. 2018; 9: 387. doi:10.3389/fphys.2018.00387

  3. Brenner JS; American Academy of Pediatrics Council on Sports Medicine and Fitness. Overuse injuries, overtraining, and burnout in child and adolescent athletes. Pediatrics. 2007; 119: 1242-5. doi:10.1542/peds.2007-0887

  4. Engel FA, Sperlich B. (Hoch-)intensives Intervalltraining mit Kindern und Jugendlichen im Nachwuchsleistungssport. Wien Med Wochenschr. 2014; 164: 228-238. doi:10.1007/s10354-014-0277-x

  5. Hebestreit H, Mimura K, Bar-Or O. Recovery of muscle power after high-intensity short-term exercise: comparing boys and men. J Appl Physiol. 1993; 74: 2875-80

  6. Liou K, Ho S, Fildes J, Ooi SY. High Intensity Interval versus Moderate Intensity Continuous Training in Patients with Coronary Artery Disease: A Meta-analysis of Physiological and Clinical Parameters. Heart Lung Circ. 2016; 25: 166-74. doi:10.1016/j.hlc.2015.06.828