Gesäßschmerzen: Piriformis- und tiefes gluteales Schmerzsyndrom
Schmerzen im Gesäß treffen viel und wenig Sport treibende Menschen gleichermaßen. Als Ursache wird häufig ein Übeltäter ausgemacht: der Piriformis. Dieser Muskel verbindet das Kreuzbein und den Oberschenkel miteinander. Er ist einer der sechs Hüftrotatoren auf der Hüft-Rückseite und teilt sich den Beckenraum zudem mit einigen Nerven. Der Begriff »Piriformis-Syndrom« wurde 1947 erstmals von Dr. Daniel Robinson beschrieben. Seiner Auffassung nach klemmt der Piriformis den entweder durch den Piriformis oder darum herum laufenden Ischiasnerv ein.
Das häufigste Symptom des Piriformis-Syndroms ist ein allgemeiner Schmerz im Gesäß, der aufgrund der Kompression des Ischiasnervs in das Bein ausstrahlen kann oder sich durch Kribbeln oder Empfindungsstörungen bemerkbar macht. Beim Abtasten oder Druck in der Region können Schmerzen ebenso zunehmen wie bei längerem Sitzen und Stehen. Die Symptome sind in der Regel einseitig, können aber auch auf beiden Seiten auftreten. Obwohl zur Epidemiologie des Piriformis-Syndroms wenig bekannt ist, wird das Beschwerdebild für 0,3 bis 0,6 Prozent aller Fälle von Schmerzen im unteren Rücken und/oder Ischialgie verantwortlich gemacht (1). Die meisten Betroffenen sind im mittleren Alter und weiblich.
Die Diagnose wird in der Regel durch das Beschwerdebild und eine körperliche Untersuchung gestellt, kann aber auch durch bildgebende Verfahren gesichert werden. Neuere Forschungen zeigen vielversprechende Ergebnisse bei der genauen Diagnose des Piriformis-Syndroms mittels Ultraschall: Bei betroffenen Personen war der Muskel dicker und die Querschnittsfläche vergrößert (6).
Ist es wirklich der Piriformis?
Ob jedoch der Piriformis und die Kompression des Ischiasnervs so oft wie gemeinhin vermutet der Übeltäter für die Beschwerden im Gesäß ist, stellen Wissenschaftler und Kliniker immer häufiger in Frage. Manche lehnen die Existenz des Ischias-Entrapments auch komplett ab. Denn ein Teil der Patienten hat zwar einen tiefen Gesäßschmerz, aber keine Ausstrahlung ins Bein, Kribbeln oder Taubheitsgefühl, wie es bei Beteiligung eines Nervs zu erwarten wäre. Zudem weiß man, dass auch andere im Beckenbereich beheimatete Strukturen eine solche Symptomatik hervorrufen können, beispielsweise andere Nerven und Gesäßmuskeln, Kniesehnenmuskeln (Hamstrings), Gemelli-Muskeln, gefäßführende Faserbänder und Sehnen. Bei Frauen können unter Umständen auch Eierstockzysten oder Endometriose an einer Schmerzsymptomatik im Gesäß beteiligt sein (zahlreiche weitere mögliche Ursachen siehe (2)). Aus diesem Grund hat die Bezeichnung »tiefer Gesäßschmerz« oder »tiefes gluteales Schmerzsyndrom« (Deep Gluteal Pain Syndrome, DGS) als übergeordnete Beschreibung für alle Schmerzsymptome in diesem Bereich den Begriff Piriformis-Syndrom heute weitgehend abgelöst.
Doch die Frage bleibt: Was genau verursacht Beschwerden im Gesäß? Reicht ein verhärteter Muskel für das verbreitete Beschwerdebild aus? Ein Trauma von Hüfte oder Gesäß oder langes Sitzen (z. B. bei Taxifahrern, Radfahrern, sitzender Büroarbeit) sind typische Ursachen. Bei Athleten kann beispielsweise während Phasen mit intensivem Gewichtstraining eine Hypertrophie des Piriformis-Muskels ursächlich für die Symptome sein. Hinzu kommen anatomische Engpässe im Becken und ein ungünstiger Verlauf des Ischiasnervs (3).
Prof. Dr. Sven Reuter, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmediziner und Physiotherapeut, erklärt: »Kommt jemand mit Schmerzen in der Gesäßregion, gilt es herauszufinden, ob die Ursache wirklich im Gesäß, beispielsweise dem Piriformis, liegt, oder ob der Gesäßschmerz von anderer Stelle ausstrahlt. Dafür kommen die Lendenwirbelsäule und sämtliche Hüftpathologien in Frage. Meiner Erfahrung nach findet man bei den meisten Betroffenen durch umfassende Anamnese und körperliche Untersuchung eine Ursache in den genannten Bereichen, die dann ins Gesäß strahlen.«
Das bedeutet auch, dass die Diagnose »tiefes gluteales Schmerzsyndrom« (oder das enger gefasste Piriformis-Syndrom) erst dann gestellt werden sollte, wenn alle anderen Gründe für die Beschwerden ausgeschlossen wurden und keine eindeutige Ursache auszumachen ist.