Fortsetzung Gesäßschmerzen: Piriformis- und tiefes gluteales Schmerzsyndrom
Diagnostik – knifflig, aber wichtig
Tatsächlich ist die Diagnostik manchmal ein wenig knifflig. Zwar existieren klinische Tests zum Erkennen eines Piriformis-Syndroms, doch ist jeder einzelne Test für sich allein ungenau. Eine Kombination des aktiven Piriformis- und des Piriformis-Stretch-Tests im Sitzen bringt die besten Aussagen (4). Werden beide Methoden kombiniert, liegt die Sensitivität bei 0,91, die Spezifität bei 0,80. Die Wahrscheinlichkeit für eine korrekte positive Diagnose liegt bei 4,57 (positive Likelihood Ratio) und für eine falsch negative Beurteilung bei 0,11 (negative Likelihood Ratio) (4). Neben diesen Tests sollten weitere Untersuchungen erfolgen, die andere Ursachen spezifischer erkennen können, beispielsweise der Heel-Drag-Test, um eine Beteiligung der Hamstrings auszuschließen.
Helfen kann auch, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der diversen Schmerzursachen im Beckenbereich zu vergleichen:
■ Symptome und Erscheinungsbild: Das DGS präsentiert sich tendenziell mit unspezifischen Symptomen, die sich mit anderen Becken-, Hüft-, Iliosakral- und Wirbelsäulenpathologien überschneiden. Sie treten vermehrt bei längerem Sitzen und Stehen auf. Andere Muskelverletzungen der Hüfte zeigen sich häufig mit spezifischeren Symptomen oder treten vor allem während der Bewegung auf, so dass eine Lokalisation oder Abgrenzung der Beschwerden möglich ist.
■ Ätiologie: Die genaue Ätiologie des DGS ist kaum exakt auszumachen. Ein dynamisches Impingement kommt ebenso in Frage wie Neuropathien durch Einklemmen von Nerven, Myalgien der Hüftrotatoren (u. a. Piriformis-Muskel) und myofasziale Syndrome. Auch anderen Schmerzen im Gesäß liegen häufig Muskelverletzungen der Hüfte zu Grunde, z. B. Muskelzerrungen, Muskel(faser)risse, Tendinopathien oder entzündliche Vorgänge.
Als Differenzialdiagnosen kommen unter anderem verschiedene Tendinopathien der Hüfte und des Beckens in Frage (5), beispielsweise die proximale Hamstring-Tendinopathie, Insertionstendinopathien der Adduktoren oder das Trochanter-major- Schmerzsyndrom – vor allem bei Sportlern. Zu den häufigen Ursachen der Tendinopathie bei Athleten gehören akute oder chronische Traumata, Überbelastung und Übertraining. Betroffen sind vermehrt Aktive in Sportarten, bei denen die Hüfte hohen Belastungen ausgesetzt ist (z. B. Fußball, Tennis, Handball, Hockey). Bei Nichtsportlern stehen altersbedingte oder durch sitzenden Lebensstil ausgelöste Degenerationen stärker im Vordergrund. Weitere Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht und berufliche Belastung, aber auch metabolische, genetische und neurologische Erkrankungen sind bei allen Betroffenen relevant. Eine ausführliche Anamnese erfasst all diese Risikofaktoren. Ist mit der Anamnese und klinischen Untersuchung die Beschwerdenursache noch immer nicht klar, können Ultraschall und MRT weitere Hinweise liefern.
Behandlung – individuell statt »one fits all«
Für eine wirksame Behandlung des tiefen glutealen Schmerzsyndroms existiert erstaunlicherweise kein internationaler Konsensus. Die meisten Behandlungsvorschläge beziehen sich auf das Piriformis-Syndrom. »Die Überschneidungen zwischen der Behandlung von – allgemein gesprochen – Schmerzen des unteren Rückens und des DGS sind groß«, erklärt Prof. Reuter. »Gut beschrieben sind neurale Mobilisationstechniken, Weichteiltechniken mit Behandlung der myofaszialen Strukturen, Dehnungen, aktive Übungen und Kräftigung«. Dieser konservative Ansatz bringt meist Besserung. Reichen die Maßnahmen nicht aus, sind Injektionen mit schmerzlindernden Substanzen einen Versuch wert. Vor einer Operation sollte gezielt geprüft werden, ob die Ursache für die Beschwerden von einer anderen Region ausgehen.
Um das Auftreten von DGS, Piriformis-Syndrom und anderen Muskelverletzungen und Tendinopathien bei Sportlern zu verringern, sind präventive Maßnahmen sinnvoll. »Optimalerweise werden zusammen mit einem Physiotherapeuten die Schwachstellen identifiziert. Das gilt in Prävention und Therapie gleichermaßen. Hat der oder die Betroffene eher ein Kraftproblem oder sind die Kapazitäten im Seitenvergleich deutlich verschieden? Besteht eine eingeschränkte Beweglichkeit oder ein anderes Problem?
Daran wird dann individuell gearbeitet, um die Voraussetzungen für hohe Belastungen zu schaffen. Daher gibt es keine ‚One-fits-all-Lösung‘«, betont Prof. Reuter. Zudem ist es sinnvoll, sportartspezifische Bewegungsabläufe und -anforderungen zu analysieren und die Trainingsbelastung anzupassen. Bei wenig sportlich Aktiven hingegen ist wahrscheinlich regelmäßige körperliche Aktivität mit gezielter Muskelkräftigung aller großen Muskelgruppen ein wichtiges Element.
Fazit: Die Bedeutung des Piriformis-Syndroms als Ursache für Schmerzen im Gesäß gilt heute als überschätzt. Bei unklarer Genese wird inzwischen der Begriff »tiefes gluteales Schmerzsymdrom« verwendet. Doch auch diese Diagnose ist eher ungenau und eine gezielte Suche nach dem schmerzauslösenden Problem umso wichtiger. Die konservative Behandlung von Gesäßschmerzen mit einer Kombination aus aktiven Übungen, Dehnungen und myofaszialen Techniken bringt meist Linderung.
■ Hutterer C
Quellen:
Hicks BL, Lam JC, Varacallo M. Piriformis syndrome. Treasure Island, StatPearls Publishing; 2021.
Hu YE, Ho GWK, Tortland PD. Deep Gluteal Syndrome: A Pain in the Buttock. Curr Sports Med Rep. 2021; 20: 279-285. doi:10.1249/JSR.0000000000000848
Larionov A, Yotovski P, Filgueira L. Novel anatomical findings with implications on the etiology of the piriformis syndrome. Surg Radiol Anat. 2022; 44: 1397-1407. doi:10.1007/s00276-022-03023-5
Martin HD, Kivlan BR, Palmer IJ, Martin RL. Diagnostic accuracy of clinical tests for sciatic nerve entrapment in the gluteal region. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2014; 22: 882-888. doi:10.1007/s00167-013-2758-7
Sirico F, Palermi S, Massa B, Corrado B. Tendinopathies of the hip and pelvis in athletes: A narrative review. JHSE. 2020; 15: 748-762. doi:10.14198/jhse.2020.15.Proc3.25
Zhang W, Luo F, Sun H, Ding H. Ultrasound appears to be a reliable technique for the diagnosis of piriformis syndrome. Muscle Nerve. 2019; 59: 411-416. doi:10.1002/mus.26418