Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Fachdisziplin und Tätigkeitsfelder
Dr. med. Malte Christian Claussen, Sportpsychiater an der Universität Zürich, plädiert in seinem Editorial für die #6/2021 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) für ein stärkeres inhaltliches Engagement der Sportpsychiatrie und Sportpsychotherapie im Querschnittsfach Sportmedizin.
Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie ist eine noch junge medizinische Spezialisierung und Disziplin der beiden psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgebiete, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Psychiatrie und Psychotherapie. Als Querschnittsfach bündelt die Sportmedizin das sportmedizinische Wissen der medizinischen Fachrichtungen und Disziplinen (4). Sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Inhalte sind somit auch Inhalte der Sportmedizin. Sport und Bewegung in Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen sowie psychische Gesundheit und Erkrankungen im Leistungssport sind etablierte Tätigkeitsfelder der Sportpsychiatrie und -psychotherapie (12).
Sportspezifische psychische Erkrankungen im Breitensport, zum Beispiel die Muskeldysmorphie und die Sportsucht sowie bestimmte Substanzgebrauchsstörungen werden häufig auch als Tätigkeitsfelder von Sportpsychiatern und -psychotherapeuten angesehen. Psychische Erkrankungen im Breitensport lassen sich aber in den beiden etablierten Tätigkeitsfeldern nicht abbilden. Vorgeschlagen wird daher, die Tätigkeitsfelder der Sportpsychiatrie und -psychotherapie, um einen dritten Tätigkeitsbereich zu erweitern.
Einordnung der Sportmedizin und Sportpsychiatrie
Auf die Einordnung der Sportmedizin in Fort- und Weiterbildung durch die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention – Deutscher Sportärztebund wird im folgenden Bezug genommen (4):
Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie kann als der Teil der theoretischen und praktischen Sportmedizin angesehen werden, der den Einfluss von Bewegung und Sport sowie des Bewegungsmangels auf den psychisch gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufe untersucht, damit die gewonnenen Erkenntnisse sowohl in der Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen als auch in deren Prävention und Rehabilitation sowie zum Wohle des Sports eingesetzt werden können.
Sportler aller Leistungsklassen stehen im Fokus der Sportmedizin und auch der Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Die gesundheitlich relevante „Erhaltungsdosis an Bewegung“ unter präventiven Gesichtspunkten erlangt in unserer von Bewegungsmangel geprägten Gesellschaft für körperliche und psychische Erkrankungen zunehmend an Bedeutung. Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie beschäftigt sich wie die Sportmedizin, nebst Diagnostik, mit den präventiven, therapeutischen und rehabilitativen Möglichkeiten von Sport und Bewegung.
Präventive und therapeutische Wirkungen von Sport und Bewegung sind für die psychische Gesundheit und bei psychischen Erkrankungen gut belegt (7) und haben beispielsweise in die S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie zur unipolaren Depression Einzug gehalten (5).
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen weisen ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auf (3). Chronische körperliche Erkrankungen und ein schlechterer Zugang zur somatischen Gesundheitsversorgung werden mit als Gründe für die mitunter deutlich geringere Lebenserwartung von Menschen mit psychischen Erkrankungen angeführt (13). Exercise is Medicine® und die präventiven und therapeutischen Wirkungen von Sport und Bewegung sind auch hier nachweislich wirksam, die körperliche Gesundheit zu verbessern (6).
In der Sportpsychiatrie und -psychotherapie kommt der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung und Rehabilitation von Sportverletzungen und Sportschäden ebenso eine hohe Bedeutung zu. Körperliche, psychische und soziale Belastungen und Risiken im Breiten- und Leistungssport und ihre daraus resultierenden „Sportverletzungen“ und „Sportschäden“ für die psychische Gesundheit sind genauso zu beachten.
Im Leistungssport wurde bis vor wenigen Jahren angenommen, dass es dort keine ernsthaften psychischen Probleme geben kann. Mittlerweile ist gut belegt, dass psychische Beschwerden und Erkrankungen häufige Gesundheitsprobleme im Leistungssport sind (10). Die mutigen Interviews von Sportlern lehrten uns in den letzten Jahren zudem, dass ihre mentale Stärke kein Garant für psychische Gesundheit ist. Psychische Gesundheit, körperliche Gesundheit und Leistung können im Sport nicht getrennt voneinander betrachtet werden (1). Psychische Belastungen und Erkrankungen erhöhen das Verletzungsrisiko und mindern die Leistung. Verletzungen und ausbleibende sportliche Erfolge sind wiederum Risiken für die psychische Gesundheit (10).
Die Sportpsychiatrie und -psychotherapie sollte sich als Disziplin der Psychiatrie und Psychotherapie, mit ihrem sportmedizinischen Wissen daher auch im Querschnittsfach Sportmedizin einbringen.