DZSM-MITTEILUNG

10.04.2020

Sport in Zeiten von Corona

Deutsche Fassung des Editorials der Ausgabe 4/2020 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) mit Link zum englischsprachigen Originalbeitrag.

Dieser Artikel ist Teil unseres Fokusthemas "COVID-19: Infos und Empfehlungen". Den Link zur Übersicht aller Beiträge des Themenschwerpunkts finden Sie am Ende des Textes oder durch Eingabe des Suchbegriffs #Covid-19 in das Suchfeld dieser Website.

Sport in Zeiten von Corona
Teodor Lazarev / AdobeStock

Die COVID-19-Infektion kann uns alle treffen. Wir haben es mit einem hochinfektiösen Virus zu tun, das sehr leicht übertragen werden kann, weil es sich in den oberen Luftwegen ansiedelt und dort proliferiert. Maßnahmen wie soziale Kontaktbeschränkungen sind wichtig, um die Infektionswelle abzuflachen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, aber sie werden uns wahrscheinlich nicht vor dem Risiko einer Infektion schützen, sondern eher den Zeitpunkt des Geschehens hinauszögern. Sollten wir uns trotz aller Maßnahmen infizieren, dann ist es eminent wichtig, gesundheitlich und in Bezug auf körperliche Fitness auf einem optimalen Niveau zu sein.

Doch was können wir selbst dafür tun? Wir sollten uns möglichst „fit“ halten, um so auch bei einer Infektion möglichst unbeschadet durchzukommen. Daher ist es – neben anderen Faktoren, die den Lebensstil betreffen – wichtig, dass wir unsere körperliche Leistungsfähigkeit und die Funktion unserer Organsysteme erhalten und gegebenenfalls auch in der jetzigen Phase steigern. Dafür ist körperliches Training eine Grundvoraussetzung und sollte auch trotz aller Einschränkungen beibehalten werden, um den Fitnesszustand zu erhalten. Aber jetzt ist auch die Zeit, bisher Inaktive zu ermuntern, körperliche aktiv zu werden und ihren Fitnesszustand zu verbessern. In entsprechend angepasster Form kann auch bei weniger Aktiven die individuelle Leistungsfähigkeit gesteigert werden, solange keine Krankheitssymptome vorliegen. Dies ist insbesondere wichtig, da wir nicht davon ausgehen können, dass die Infektionswelle in wenigen Wochen abebbt, sondern wir mit Monaten oder sogar ein bis zwei Jahren Gefährdung rechnen müssen.

Die jetzt getroffenen Maßnahmen zur sozialen Distanzwahrung erlauben es auch weiterhin, draußen körperlich aktiv zu bleiben und individuell Sport zu treiben. Gleichzeitig zeigen sie, dass auch die politischen Entscheidungsträger die Notwendigkeit von körperlicher Aktivität in dieser Zeit erkennen und entsprechend gehandelt haben.

Körperliches Training und Immunsystem

Doch was bringt uns körperliches Training im konkreten Zusammenhang mit der COVID-19-Infektion? Wir können dadurch nicht das Infektionsrisiko abmildern; das Virus macht da keine Unterschiede – aber unser Körper kann besser auf die Verarbeitung der Infektion eingestellt werden. Hier kommt dem stabilisierenden Effekt körperlicher Aktivität auf das Immunsystem eine wesentliche Rolle zu. Es ist mittlerweile sehr gut belegt, dass körperliche Aktivität zu Veränderungen des Immunsystems führt, die sich nicht nur klinisch, sondern auch grundlagenwissenschaftlich nachweisen lassen.

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Infektion könnte hier neben anderen Mechanismen vor allem auch die Stärkung der Eigenregulation des Immunsystems eine Rolle spielen. Diese Eigenregulation ist wichtig, um die Immunreaktion auf einen neuen Erreger so einzustellen, dass auf der einen Seite der Erreger (in diesem Fall die SARS-CoV-2-Viren bzw. die von ihnen befallenen Zellen) eliminiert wird und andererseits die Reaktion nicht überschießt. Gerade die überschießende Antwort des Immunsystems ist es nämlich, die den Organismus überlastet und zum Versagen bringen kann. Es ist in den letzten Jahren gezeigt worden, dass gerade die inhibitorischen Zellen des Immunsystems, hier vor allem die sogenannten T-regulatorischen Zellen, in Abhängigkeit von körperlicher Leistungsfähigkeit und Training in Zahl und Funktion gesteigert werden. Dies dürfte ein wichtiger Mechanismus für eine angemessene Reaktion des Körpers auf das neue Virus sein.

Aber warum sind es vor allem ältere Menschen, die klinische Probleme und häufiger letale Verläufe nach Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zeigen? Zudem sind solche Menschen mit Erkrankungen des Herzkreislaufsystems oder kardiovaskulären Risikofaktoren wie arterieller Hypertonie und Typ-2-Diabetes neben Lungenerkrankungen und Raucheranamnese besonders betroffen. Erklärungen hierfür sind wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen, doch zeigt sich bei älteren Menschen, dass sie die inhibitorischen Zellen des Immunsystems nicht mehr so effizient aktivieren können. Dadurch reagieren sie gerade auf neue Erreger, bei denen das Immunsystem eher unspezifisch und heftig antwortet, weniger angemessen. Daher ist es umso wichtiger, dass wir unser Immunsystem aktivieren und „trainieren“ und es damit „fit“ halten.

Dazu sind besonders Ausdaueraktivitäten mit moderater Intensität von zentraler Bedeutung, weil hierdurch eine erhöhte Zirkulation der Immunzellen sowie eine Aktivierung des Immunsystems stattfinden. Höhere Intensitäten haben den Nachteil, dass dadurch die Immunkompetenz unterdrückt werden kann und dann eine höhere Infektionsgefahr besteht („Open Window“-Theorie nach Extrembelastungen). Selbst kurze Trainingseinheiten von 10 Minuten können für Untrainierte bereits die optimale Dauer sein, die dann über die Zeit gesteigert werden kann (ähnliche Trainingskonzepte sind Grundlage beim Lauf10!-Programm der Präventiven Sportmedizin und Sportkardiologie der TU München und des Bayerischen Fernsehens (https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/abendschau/lauf10/index.html).

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Herzkreislaufsystem und COVID-19

Aber nicht nur das Immunsystem ist wichtig, um eine Infektion zu überstehen. Herz, Gefäße und Lunge werden dabei in hohem oder höchstem Maß belastet, daher sind Patienten mit Vorerkrankungen dieser Organsysteme besonders gefährdet. Auch wenn eine definitive Erklärung hierfür noch aussteht, so ist doch der arteriellen Hypertonie, Typ-2-Diabetes mellitus und der Herzinsuffizienz gemeinsam, dass sie alle zu einer Versteifung oder Funktionsstörung des linken Ventrikels führen (diastolische Dysfunktion, Heart Failure with preserved oder reduced ejection fraction). Sowohl die diastolische wie auch die systolische Funktionseinschränkung der linken Herzkammer begünstigen einen Rückstau des Blutes in den Lungenkreislauf. Dieses ist besonders bei Fieber und Tachykardie in noch größerem Maße gegeben. Jemand, der als kardiopulmonaler Patient bereits an seinem Limit ist und nur geringe Kompensationskapazität durch Adaptation der Peripherie wie erhöhte Kapazität der oxidativen Muskelenzyme hat, ist sicherlich deutlich stärker gefährdet, eine pulmonale Infektion, ob durch Influenza- oder SARS-CoV-2-Viren, nicht zu tolerieren.

Menschen mit guter kardiopulmonaler Fitness haben somit einen Vorteil, der vom Alter in gewisser Weise unabhängig ist. Natürlich nimmt mit dem Alter die Steifigkeit des Herzens zu und die Funktion der Muskulatur ab, so dass das Alter einen zentralen Risikofaktor für die schlechte Prognose von COVID-19-Patienten darstellt. Es steht aber außer Frage, dass körperliches Training gerade das Herzkreislaufsystem leistungsfähig erhält und die Belüftung der Lunge fördert. Dadurch wird auch die Durchblutung durch den Euler-Liljestrand-Reflex verbessert und die Immunkompetenz gesteigert – Kapazitäten, die zur erfolgreichen Bewältigung einer COVID-19-Infektion von wesentlicher Bedeutung sind, gerade für untrainierte und alte Menschen.

Körperliche Leistungsfähigkeit ist wichtig zum Überstehen schwerer Infektionserkrankungen

Während zum Beispiel das Alter als Risikofaktor nicht beeinflussbar ist, ist nicht nur die medikamentöse Behandlung klassischer Risikofaktoren wichtig, um die Mortalität zu senken, sondern es kommt auf die Funktionsfähigkeit von Organsystemen an. Die Rolle von körperlicher Fitness als Prädiktor der Mortalität bei schweren Erkrankungen ist in den letzten Jahren wissenschaftlich und klinisch immer mehr in den Vordergrund gerückt. Die Muskelmasse nimmt bei längerem Liegen etwa 20 Prozent pro Woche ab: Menschen mit wenig Muskelmasse und schlechter Funktion sind besonders gefährdet.

Wenn es bei COVID-19 zu einer Viruspneumonie kommt, ist diese nicht nur lobär, sondern betrifft meist alle Lungenlappen und es kommt überwiegend zu einer deutlich erhöhten Lungensteifigkeit und damit erhöhter Atemarbeit. Neue Befunde zeigen, dass als primäre Maßnahmen bei COVID-19-Pneumonie die nichtinvasive Unterstützung der Atmung mit klassischem Continuous Positive Airway Pressure (CPAP) die größte Menge an mittlerem Atemwegsdruck generieren und damit die effektivste Rekrutierung von Lungenabschnitten bieten kann. Dabei sind Atemdrücke bis 18 cm H2O notwendig, was entsprechend eine große Anstrengung für die Atemmuskulatur bedeutet. Die italienischen Erfahrungen zeigen: Wenn eine Intubation vermieden werden kann (und vielleicht sogar zu Hause CPAP möglich ist), verbessert die Prognose. Wenn die bis zu dreifache Umsatzsteigerung durch die Infektion und die erhöhte Atemarbeit in die Nähe der maximalen Leistungsfähigkeit geraten, kommt es zum metabolischen Versagen. Dass die Leistungsfähigkeit und das Tolerieren von CPAP eine besondere Bedeutung haben, wenn es zu einer Knappheit an Beatmungsplätzen kommt, folgt unmittelbar daraus.

Empfehlungen zu körperlichem Training

– Tägliche mehrmalige Atemübungen mit tiefem Ein- und Ausatmen, um die Lunge zu belüften.

– Tägliche Übungen zu Hause mit Ausdauer-, Kraft- und Koordinationsübungen
(z. B. 7-Minuten-Workout: https://www.sport.mri.tum.de).

– Tägliche körperliche und sportliche Aktivität mit moderater Intensität
Anregungen unter https://twitter.com/SportmedizinU

– Trainierte sollten das Programm wie bisher durchführen.

– Keine zusätzliche körperliche Aktivität bei vorliegenden Krankheitssymptomen, da hier zusätzlicher Stress auf das Immunsystem und das kardiopulmonale System entsteht.

– Dem Körper nach dem Training Regenerationsphasen geben, in denen der Trainingsreiz zur Anpassung genutzt werden kann und sich das Immunsystem „erholt“. Man sollte körperlich aktiv bleiben oder aktiver werden, ohne den Körper zu überlasten.

– Auf Regeln ist zu achten: Abstandhalten von mehreren Metern zwischen Sporttreibenden, Vermeiden von Sport in Räumen außer im eigenen Fitness-Studio zu Hause, Möglichst keine Berührungen von Parkbänken oder Kinderspielplätzen, regelmäßiges Händewaschen oder Händedesinfektion sowie gegebenenfalls das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken.

■ Bloch W, Halle M, Steinacker JM

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Quellen:

  1. ALHAZZANI W, et al. Surviving Sepsis Campaign: Guidelines on the Management of Critically Ill Adults with Coronavirus Disease 2019 (COVID-19); 2020. https://www.esicm.org/wp-content/uploads/2020/03/SSC-COVID19-GUIDELINES.pdf [24th March 2020].

  2. AUSTRALIAN AND NEW ZEALAND INTENSIVE CARE SOCIETY (ANZIS). COVID-19 Guidelines. Version 1; 2020. https://www.anzics.com.au/wp-content/uploads/2020/03/ANZICS-COVID-19-Guidelines-Version-1.pdf [24th March 2020].

  3. INTERNET BOOK OF CRITICAL CARE (IBCC). COVID-19. https://emcrit.org/ibcc/covid19/ [24th March 2020].

  4. NACOTI M, CIOCCA A, GIUPPONI A, BRAMBILLASCA P, LUSSANA F, PISANO M, GOISIS G, BONACINA D, FAZZI F, NASPRO R, LONGHI L, CEREDA M, MONTAGUTI C. At the Epicenter of the Covid-19 Pandemic and Humanitarian Crises in Italy: Changing Perspectives on Preparation and Mitigation; 2020. https://catalyst.nejm.org/doi/abs/10.1056/CAT.20.0080 Pub. March 21, 2020 [24th March 2020].

  5. Zheng YY, Ma YT, Zhang JY, Xie X. COVID-19 and the cardiovascular system. Nat Rev Cardiol. 2020 [Epub ahead of print]. doi:10.1038/s41569-020-0360-5